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Magazin Mitbestimmung

: 'Die Konservativen führen einen falschen Kampf'

Ausgabe 09/2004

Der gesellschaftliche Konsens um die Unternehmens-Mitbestimmung soll aufgekündigt werden, die Wirtschaftsverbände entwerfen im Alleingang Reformvorschläge. Dazu und zur Europäischen Aktiengesellschaft befragten wir DGB-Vorstandsmitglied Dietmar Hexel.

Dietmar Hexel, 54, ist Mitglied im Geschäftsführenden Vorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes DGB und im Vorstand der Hans-Böckler-Stiftung. Die Fragen stellte Cornelia Girndt, Redakteurin des Magazin Mitbestimmung.

 

 

Der gesellschaftliche Konsens um die Mitbestimmung im Aufsichtsrat soll aufgekündigt werden, die Wirtschaftsverbände entwerfen im Alleingang Reformvorschläge. Die deutschen Gewerkschaften sind erneut gefordert. Und auch die europäischen: Wie können Arbeitnehmerinteressen wirkungsvoll in den neuen Europäischen Aktiengesellschaften artikuliert werden?
Konservative Wirtschafts- und Wissenschaftskreise wollen die Arbeitnehmervertreter aus den Aufsichtsräten der Aktiengesellschaften herausdrängen. Was ist los in Deutschland?
Die Konservativen führen einen falschen Kampf - sie werden ihn deshalb verlieren. Die Arbeitnehmer wollen Verantwortung tragen, gestalten und mitentscheiden, nicht kommandiert werden. Es ist absurd und frech, unter dem Etikett einer "Modernisierung der Mitbestimmung" zu reklamieren, die Arbeitnehmervertreter sollen ganz aus den Aufsichtsräten verschwinden. Tatsache ist: Eine wissensbasierte Industriegesellschaft setzt mehr Teilhabe durch Mitbestimmung der Menschen voraus - nicht weniger. Die Fähigkeiten der Arbeitnehmer und ihr Wissen sind unsere wichtigsten Zukunftsressourcen.

Die Mitbestimmung in den Aufsichtsräten muss sich auch neuen Realitäten stellen - die großen börsennotierten Unternehmen agieren zunehmend transnational. Welche Reformen hat der DGB auf der Agenda?
Ausländische Beschäftigte sollen ein passives Wahlrecht erhalten. Damit wäre der Weg frei, die Aufsichtsräte auf der Arbeitnehmerseite zu internationalisieren, wodurch auch die Interessen nichtdeutscher Standorte künftig in den Aufsichtsräten repräsentiert wären. Wir sind auch bereit, das zum Teil bürokratische Wahlverfahren zu vereinfachen. Diese und weitere Vorschläge haben wir in einem DGB-Positionspapier Anfang 2004 niedergelegt.
Wir müssen darüber streiten, wie Teilhabe und Arbeitnehmerbeteiligung am Unternehmen in Zukunft aussehen sollen. Das schließt die Debatte in anderen Ländern Europas ein. Wir brauchen echte Teilhabe durch Mitbestimmung der Arbeitnehmer an anonymen Kapitalgesellschaften. Wirtschaften muss dem Menschen dienen, und globalisierte Unternehmen müssen demokratisch kontrollierbar sein.

Auch die deutschen Arbeitgeberverbände wollen demnächst Reformvorschläge in die politische Arena einbringen. An welchen Punkten polarisieren sich die Meinungen?
Die entscheidende Frage ist: Werden Arbeitnehmer respektiert und wird anerkannt, dass sie gemeinsam mit den Managern die Wertschöpfung des Unternehmens hervorbringen? Einige Arbeitgeber fordern, dass Arbeitnehmer nichts auf der Ebene der Unternehmensentscheidung zu suchen haben. Das sehen wir - und auch das deutsche Bundesverfassungsgericht - ganz anders. Mit -einem Herr-im-Hause-Standpunkt kommen wir nicht nach vorne. Das ist aus dem letzten Jahrhundert. Vergegenwärtigen wir uns: Aktionäre geben nur Geld, Arbeitnehmer geben dagegen einen Teil ihres Lebens für das Unternehmen. Jede wichtige Entscheidung auf Unternehmensebene hat Konsequenzen für die Arbeitnehmer und die Region, in der das Unternehmen arbeitet. Deshalb müssen wir über die -zukünftige Gestalt von Mitbestimmung und Teilhabe in ganz Europa sprechen.

Und wo könnte man auch einen Konsens mit den Arbeitgeberverbänden finden?
Gemeinsamkeiten könnte es beim passiven Wahlrecht für ausländische Beschäftigte und einigen Wahlverfahrensfragen geben sowie bei der Einsicht, dass alle Aufsichtsratsmitglieder sich ständig weiterqualifizieren müssen.

Warum gibt es keine gemeinsame Reform-Kommission zur Mitbestimmung, bei der zum Beispiel die Betriebs- und Tarifparteien und die Wissenschaft ihr Know-how einbringen?
Wir haben dem BDA unsere Mitarbeit in der von den Arbeitgeber-verbänden gegründeten Reformrunde zur Mitbestimmung vorgeschlagen. Mitbestimmung ist ja eine Angelegenheit miteinander, nicht gegeneinander. Mit der gemeinsamen Mitbestimmungskommission der Hans-Böckler- und der Bertelsmann Stiftung, von 1995 bis 1998 haben alle sehr gute Erfahrungen gemacht. Wir bedauern, dass die BDA diesen Vorschlag zur Mitarbeit, den auch Berthold Huber gemacht hat, abgelehnt hat.
 
Gibt es Hinweise, wie sich die derzeit in der Wählergunst so favorisierte CDU/CSU positionieren wird?
Wir haben registriert, dass der CDU-Fraktionsvorsitzende Friedrich Merz am 2. April 2004 in Berlin bekundet hat, dass die CDU für die Mitbestimmung ist und sie nicht abschaffen will. Aber er ist pessimistisch, was die Entwicklung in Europa angeht. Wir nicht. Dies wurde auch in einem Gespräch der DGB-Spitze mit dem Präsidium der CDU im letzten Jahr bestätigt. Allerdings dürften die Arbeitgeberverbände, wenn sie denn im Herbst ihre Vorschläge vorlegen, bei der CDU/CSU die Unterstützung finden, die sie bei der rot-grünen Regierung nicht finden.

Wie können wir Qualität und Professionalität der Aufsichtsratsarbeit auf der Arbeitnehmerseite weiter verbessern?
Generell machen wir uns in den -Aufsichtsräten für eine nachhaltige, ethisch vertretbare Entwicklung der Unternehmen stark. Daraus ziehen Arbeitnehmer - wie auch Kunden, Zulieferer und Aktionäre - den größten Vorteil. Und das erfordert eine ständige Aktualisierung unseres Know-hows. Während die Arbeitnehmervertreter lange im Geschäft sind und die Geschäftsprozesse sehr gut kennen, gibt es bei den Anteilseignern oft Lücken oder Ahnungslosigkeit. Wir hingegen müssen unsere Kenntnisse im strategischen Management verbessern. Wir haben vielfältige Fortbildungen für unsere Aufsichtsräte, die wir noch stärker systematisieren wollen.

Wie könnte das aussehen?
Der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften haben vielfältige Angebote für die Qualifizierung der Aufsichtsräte, die wir besser verknüpfen wollen. Auch eine Selbstverpflichtung jedes Aufsichtsratsmitglieds zur Weiterbildung ist selbstverständlich, nicht nur weil jeder dem Aktienrecht genügen muss. In diesem Kontext könnten auch bestimmte Qualitätsstandards für die Aufsichtsratsarbeit und ein Zertifikat sinnvoll sein.

Gegner der Mitbestimmung behaupten, eine starke Rolle von Arbeitnehmern im Aufsichtsrat behindere deutsche Unternehmen an den internationalen Kapitalmärkten.
Die das behaupten, bleiben den Beleg schuldig. Einer wissenschaftlichen Überprüfung hält das nicht stand. Gute Unternehmensführung setzt voraus, dass Ziel und Zweck des Unternehmens strategisch bestimmt werden. Wie könnte man dabei die wichtigsten Wertschöpfer des Unternehmens außen vor lassen? Es hat sich inzwischen herumgesprochen, dass die ausschließliche Kapitalmarktorientierung in die Sackgasse und vor die Wand fährt. Schon deshalb ist gute Corporate Governance ohne Mitbestimmung viel schwieriger zu praktizieren, wenn nicht gar unmöglich. Fragen Sie doch mal Vertreter der in den letzten Jahren stark internationalisierten Branche Stahl.

Am 8. Oktober ist Stichtag für die Europäische Aktiengesellschaft. Derzeit wird die SE-Richtlinie in nationales Recht umgesetzt. Wie laufen die Verhandlungen?
Der Deutsche Gewerkschaftsbund will in den Unternehmen europäischer Rechtsform die Mitbestimmung und Teilhabe der Arbeitnehmer sichern. Dies ist mit der Richtlinie zur Arbeitnehmerbeteiligung in einer Europäischen Aktiengesellschaft (SE) gelungen. Auch wenn im Gesetzentwurf der Bundesregierung nicht all unsere Wünsche erfüllt werden, so verdient der Entwurf doch Lob und Anerkennung.

Schwieriger gestalten sich die Verhandlungen um die Fusionsrichtlinie, die jüngst von der EU-Kommission vorgelegt wurden.
Hier gibt es noch Handlungsbedarf. Im Falle einer grenzüberschreitenden Verschmelzung hält es der DGB für unverzichtbar, die Mitbestimmung der Arbeitnehmer entsprechend der SE-Richtlinie zu regeln. Das heißt: Auch hier müssen Vereinbarungen im Rahmen von Verhandlungen zwischen Unternehmensleitung und den beteiligten Arbeitnehmervertretungen gefunden werden. Diesen bei der SE gefundenen Kompromiss können alle Beteiligten mittragen. Es sollte daher nicht versucht werden, diese Lösung bei der Verschmelzungsrichtlinie wieder in Frage zu stellen, indem man die Mitbestimmungsfrage neu aufwirft.

Die deutschen Unternehmerverbände sind keine Verbündeten für unsere Anliegen im Ausland. Stattdessen präsentieren sie Befürchtungen - etwa die, dass Europa-AGs und -Holdinggesellschaften fusionierender Konzerne nicht ihren Sitz in Deutschland nehmen.
Die Verbände vielleicht nicht, die Unternehmen sind sehr wohl Verbündete. Die Kritiker der Mitbestimmung sollten nicht unterschätzt, aber auch nicht überbewertet werden. Sie nutzen die Globalisierung sowie die Europäisierung dazu, Ängste zu schüren und die Mitbestimmung als Standortnachteil zu diskreditieren. Wahr ist: Mitbestimmung hat stabile gesellschaftliche und betriebliche Beziehungen hervorgebracht. Das ist breiter gesellschaftlicher Konsens: Wir wollen in Deutschland eine Wirtschaftsordnung, die von Teilhaben, Verantwortung, Gemeinwohl und Privateigentum geprägt ist.
 
Wird sich die deutsche Mitbestimmung in einer europäischen Landschaft behaupten und auch in diese einfügen?
Die Chancen stehen nicht schlecht. Nicht umsonst geht Mitbestimmung auf die europäische Idee von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit zurück. Unter Herrschaft ist niemand frei. Mitbestimmung ist stets auch ein Mittel, Fremdherrschaft und fremdbestimmtes Arbeiten zu begrenzen und Eigenverantwortung zu fördern. Doch jeder kommt auf seine Weise zum Ziel. Europa kennt unterschiedliche Modelle der Arbeitnehmerbeteiligung und Teilhabe. Wir lernen, mit der Vielfalt zu leben - vor dem Hintergrund gemeinsamer Grundwerte. Spannend werden die Mitbestimmungsregelungen in den zukünftigen Europäischen Aktiengesellschaften. Es könnten ganz neue Modelle der Unternehmensorganisation entstehen, die zu mehr echter Teilhabe führen. Darüber müssen wir in Europa sprechen. Und dadurch die Diskussion über Teilhabe und Einfluss der Arbeitnehmer verstärken.

 

Das DGB-Positionspapier
"Teilhaben und Gestalten: Mitbestimmen - auf gleicher Augenhöhe" findet man auf Deutsch im Internet unter http://www.dgb.de/ (Themen A-Z, Mitbestimmung, Teilhaben und Gestalten).

»Mit einem Herr-im-Haus-Standpunkt kommen wir nicht nach vorne.«  Dietmar Hexel

»In der Europäischen Aktiengesellschaft können ganz neue Mitbestimmungsmodelle entstehen.«

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