Interview: US-Regierung schwächt Gewerkschaften
Yasmin Hilpert leitet den Bereich Arbeit und Soziales an der deutschen Botschaft in Washington. Ein Gespräch über die Situation der Gewerkschaften, politische Polarisierung und internationale Solidarität. Das Gespräch führte Maren Knödl
Frau Hilpert, wenn Sie auf die USA blicken, vier Jahre nach dem Sturm aufs Kapitol: Wie steht es um die demokratische Kultur?
Demokratie ist immer fragil und muss täglich gelebt und verteidigt werden. Wir sehen derzeit nicht nur in den USA, sondern weltweit, dass soziale Gerechtigkeit – also faire Löhne, gerechte Steuern, Antidiskriminierung und Bürgerrechte – die beste Versicherung für eine stabile Demokratie ist. Wenn diese Grundlagen erodieren, löst sich der Faden, der die Gesellschaft zusammenhält. In den USA gibt es seit vielen Jahrzehnten große gesellschaftliche Ungleichheiten, nicht erst seit Trump.
Wie sind Sie zu Ihrer heutigen Aufgabe gekommen?
Ich kam 2016 im Rahmen meiner Promotion mit Förderung der Hans-Böckler-Stiftung in die USA, arbeitete dann bei einem Thinktank zu Technologiepolitik und jetzt in der Botschaft. Zur Gewerkschaftsarbeit habe ich aber schon mit 16 gefunden: Mein Patenonkel war stellvertretender Leiter des IGBCE-Bildungszentrums in Haltern am See, und nach meinem ersten Besuch dort war ich begeistert: viel Engagement, gegenseitiger Respekt, Solidarität. Ab da habe ich jedes Jahr hospitiert, leitete später selbst Seminare zu internationaler Gewerkschaftsarbeit. Das hat meinen weiteren Weg geprägt – über Brüssel und Genf, wo ich mit dem IGBCE-Vorsitzenden Michael Vassiliadis arbeitete, bis nach Washington.
Wie würden Sie die aktuelle Situation der Gewerkschaften und der Arbeitnehmerrechte in den USA beschreiben?
Die Lage könnte im Vergleich zu Deutschland kaum unterschiedlicher sein. In Deutschland kann man einfach Gewerkschaftsmitglied werden. In den USA muss zunächst ein Betrieb gewerkschaftlich organisiert werden. Dafür müssen mindestens 50 Prozent der Beschäftigten eine Mitgliedsabsichtserklärung unterzeichnen. Dann kann eine geheime Wahl durch das National Labor Relations Board (NLRB) veranlasst werden. Vor diesen Wahlen beginnt oft das eigentliche „Union Busting“, etwa Drohungen, Standorte zu verlagern, und Einschüchterungen. Das Arbeitsrecht in den USA sieht außerdem keine Strafen für Unternehmen vor. Wenn gegen Arbeitsrecht verstoßen wird, müssen höchstens entstandene Ausfälle beglichen werden. Für Unternehmen lohnt es sich also, keine Gewerkschaften zuzulassen. Hinzu kommt, dass die Amtszeit jedes NLRB-Mitglieds fünf Jahre beträgt. Die Nachfolge wird vom jeweiligen Präsidenten nominiert – in der Regel mit parteipolitischer Mehrheit. Das kann Gewerkschaften je nach Regierung stark belasten.
Was bedeutet das für die Arbeitsbeziehungen insgesamt?
Es führt zu einem hohen Druck zwischen Unternehmen und Gewerkschaften. Jede Betriebserschließung wird zum Existenzkampf. Dabei ist starke Sozialpartnerschaft eigentlich auch im Interesse der Unternehmen. Forschung zeigt, dass mitbestimmte Betriebe krisenresilienter sind, geringeren Personalumschlag haben und betriebswirtschaftlich stabiler planen können. Diese Kooperation – also das gemeinsame Gestalten von Weiterbildung, Infrastruktur oder Industriepolitik – ist in Deutschland selbstverständlich. In den USA passiert das kaum, und das schwächt letztlich auch die Wettbewerbsfähigkeit.
Rund 400 000 Beschäftigte im öffentlichen Dienst der USA haben zuletzt ihre Tarifverhandlungsrechte verloren. Was bedeutet das für die Beschäftigten?
Das war die größte Union-Busting-Aktion in der US-Geschichte. Zusätzlich wurden etwa 250 000 Beamte entlassen, viele von ihnen Gewerkschaftsmitglieder. Das schwächt natürlich die Organisationen: Weniger Mitglieder bedeuten weniger Einnahmen und damit weniger Ressourcen, um gegen unrechtmäßiges Vorgehen zu kämpfen. Für die Beschäftigten heißt das ganz praktisch: weniger Schutz, weniger Stimme, weniger Sicherheit.
Trotzdem sind Gewerkschaften in den USA so populär wie lange nicht: Zwei Drittel der Amerikanerinnen und Amerikaner würden sich gern organisieren. Warum gelingt das kaum?
Weil das System es ihnen extrem schwer macht. Das Arbeitsrecht stammt aus den 1930er Jahren und ist völlig veraltet. Viele Unternehmen nutzen jede juristische Grauzone, um Organisation zu verhindern.
Trump adressiert vor allem das Gefühl von Benachteiligung.“
Wie erklären Sie, dass sich viele Arbeiterinnen und Arbeiter trotzdem von Donald Trump und den Republikanern vertreten fühlen?
Das liegt vor allem daran, dass die Demokraten die Arbeiterklasse seit Jahrzehnten vernachlässigt haben. Trump hat diese Repräsentationslücke genutzt. Er spricht gezielt die weißen Arbeiter an, deren Reallöhne seit über 20 Jahren stagnieren, und vermittelt ihnen das Gefühl, verstanden zu werden. Gleichzeitig inszeniert er Menschen mit Migrationsgeschichte als Sündenböcke. Politisch geschickt, aber ökonomisch verheerend: Es ändert nichts an den strukturellen Problemen.
Gibt es eine bewusste Strategie der Regierung, soziale Spaltungen zu nutzen oder zu verschleiern?
Trump adressiert vor allem das Gefühl von Benachteiligung: Zwischen 2014 und 2019 stiegen die Löhne für weiße Beschäftigte um rund 16 Prozent, für Hispanics um 24 und für Schwarze um 21 Prozent. Trotzdem verdienen Weiße im Schnitt noch immer 27 Prozent mehr als Hispanics und rund 37 Prozent mehr als Schwarze. Genau aus dieser Verschiebung entsteht bei Teilen der weißen Arbeiterklasse das Gefühl, sie würden zurückgelassen. Trumps Rhetorik spricht diese Kränkung gezielt an – mit Abwertung von Minderheiten statt mit Lösungen.
Gleichzeitig haben sich die Demokraten auf Themen wie Antirassismus, Gleichstellung und Diversität konzentriert. Das war richtig und notwendig. Die Demokraten haben es aber versäumt, aus der gemeinsamen Erfahrung von Ungleichheit ein gemeinsames politisches Bewusstsein zu formen. Hier liegt die Leerstelle, die Trump füllt: Er übersetzt ökonomische Unsicherheit in kulturelle Angst.
In vielen US-Bundesstaaten gelten sogenannte „Right to work“-Gesetze. Sie erlauben Beschäftigten, von Tarifverträgen zu profitieren, ohne Mitglied einer Gewerkschaft zu sein – was deren Einfluss erheblich schwächt. Wie wirkt sich das auf Solidarität und gesellschaftlichen Zusammenhalt aus?
Diese Gesetze klingen harmlos, untergraben aber die Solidarität. Gewerkschaften verlieren Mitglieder und damit Einfluss. In diesen Bundesstaaten sind die Löhne niedriger, die Arbeitsbedingungen schlechter und das Vertrauen in Institutionen geringer. Sozialer Zusammenhalt entsteht aber durch Fairness und gemeinsame Verantwortung – genau das wird durch solche Gesetze erodiert.
Woher nehmen Sie die Hoffnung, dass sich die Entwicklung wieder stabilisieren könnte?
Ich sehe viel Engagement, gerade auf lokaler Ebene. Gewerkschaften investieren in Kommunikation, Aufklärung und Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Gruppen. Und international wächst der Austausch: Deutsche Gewerkschaftsorganisationen, insbesondere DGB, IG Metall und IGBCE, arbeiten eng mit ihren amerikanischen und kanadischen Partnern zusammen. Ein Beispiel ist die Initiative von IGBCE und United Steelworkers mit zehn Forderungen für eine arbeitnehmerorientierte Handelspolitik. Das sind Signale, die Mut machen, denn am Ende gilt: Not schweißt zusammen. Vielleicht führt der Druck, unter dem Wirtschaft und Gewerkschaften derzeit stehen, auch zu einem neuen Verständnis von Sozialpartnerschaft, national wie international.