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Auf dem Erdbeerhof von Constantin Kaack im vorpommerschen Fuhlen- dorf Magazin Mitbestimmung

Europa: Alle warten

Ausgabe 01/2021

Eine neue EU-Behörde soll dafür sorgen, dass Arbeitsmigranten in prekären Jobs besser geschützt werden. Bisher existiert die Europäische Arbeitsagentur (ELA) überwiegend auf dem Papier. Von Eric Bonse

Miserable Bezahlung, kaum Freizeit, keine Sozialabgaben: Für viele Menschen aus Osteuropa ist das Alltag, wenn sie von dubiosen Leiharbeitsfirmen nach Deutschland oder in andere Länder entsendet werden. Die Europäische Union wollte dem einen Riegel vorschieben und gründete im Oktober 2019 die Europäische Arbeitsagentur, ELA.

Die neue Koordinierungsstelle mit vorläufigem Sitz in Brüssel soll die 27 Mitgliedstaaten der Union beim Kampf gegen Ausbeutung und Sozialbetrug unterstützen, indem sie Hinweise auf Missbrauch aufnimmt und Inspektionen koordiniert oder sogar selbst organisiert. Doch mehr als ein Jahr nach dem Start fällt die Bilanz mager aus.

Die Agentur habe zwar bereits symbolische Kontrollen etwa in Belgien oder Portugal durchgeführt und Beschwerden der Gewerkschaften aufgenommen, berichtet Interimsdirektor Jordi Curell. 60 von geplanten 140 Mitarbeitern seien schon an Bord, die Agentur sei zumindest auf dem Papier arbeitsfähig. Der Start sei jedoch durch die Corona-Krise behindert worden.

Größere Einsätze auf Baustellen oder in Fleischfabriken, auf die die Gewerkschaften gesetzt hatten, gab es bisher nicht. Im Oktober 2020 beschwerte sich der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB) darüber, dass auch gut dokumentierte Verstöße gegen Arbeits- und Entgeltregeln folgenlos geblieben seien. Die betroffenen Arbeitnehmer seien nicht einmal kontaktiert worden.

Agentur muss „eine Schippe drauflegen“

„Die Gründung der ELA hat die Hoffnung geweckt, dass die EU-Regeln durchgesetzt und die Ausbeutung von entsendeten Arbeitern beendet würden“, sagte der stellvertretende EGB-Generalsekretär Per Hilmersson. Auch wenn sich die Agentur noch im Aufbau befinde, sei es nicht hinnehmbar, dass Hinweise ohne Folgen bleiben.

Unzufrieden ist auch Gabi Bischoff, die lange im DGB-Bundesvorstand saß und nun als Europaabgeordnete in Brüssel arbeitet. Die Agentur müsse „eine Schippe drauflegen“, ein weiteres verlorenes Jahr könne man sich nicht leisten, sagt sie. Nach dem enttäuschenden deutschen EU-Vorsitz von 2020 müsse nun die portugiesische Ratspräsidentschaft das soziale Europa voranbringen.

Das Jahresbudget der ELA beträgt rund 50 Millionen Euro. Die Besetzung der Spitze ist mittlerweile geklärt: Mitte Dezember übernahm der rumänische Karrierediplomat Cosmin Boiangiu die ELA-Leitung, der die ständige Vertretung Rumäniens in der EU leitete. Laut rumänischem Gesetz darf er weder Mitglied einer politischen Partei sein noch politische Positionen beziehen, die nicht Teil des Mainstream-Konsens sind.

In einem Interview mit dem Bukarester Radiosender Europa FM erklärte Boiangiu im November 2020, die ELA werde zum Anwalt der 17 Millionen Europäer, die zurzeit in einem anderen Mitgliedstaat arbeiten. Gerade während der Pandemie gibt es zahlreiche Probleme: „Die Agentur muss dafür sorgen, dass gültiges europäisches Recht umgesetzt wird, dass die Mobilität in keiner Weise eingeschränkt wird und dass die Rechte der EU- Bürger respektiert werden, egal, wo sie arbeiten.“ Die volle Kapazität soll seine Behörde im Jahr 2024 erreichen. Bis dahin wird die Agentur noch stark mit sich selbst beschäftigt sein. In diesem Jahr steht der Umzug vom Brüsseler Provisorium ins slowakische Bratislava an. Sozialkommissar Nicolas Schmit zeigt sich zuversichtlich, dass es im neuen Jahr vorangeht. „Wir haben die Pflicht, sicherzustellen, dass die Arbeitsmarktgesetzgebung korrekt implementiert wird“, sagte er nach der Ernennung des neuen Direktors. Die EU-Kommission arbeite mit Nachdruck daran, dass Europa „stärker, resilienter und sozialer“ wird, so der Luxemburger.

Kaum neue Schwerpunkte

Kritische Töne kommen dagegen vom DGB. Die ELA dürfe nicht „zu einer reinen Informationsagentur verkommen“, warnt Susanne Wixforth von der Abteilung Internationale und Europäische Gewerkschaftspolitik. Vielmehr gehe es darum, aktiv die Umsetzung der EU-Gesetzgebung zu kontrollieren und bei Bedarf die Einleitung von Vertragsverletzungsverfahren anzuregen. Davon ist man in der Praxis allerdings noch weit entfernt.

Das Arbeitsprogramm für 2021 lässt nicht erwarten, dass der DGB zufriedener wird, setzt es doch kaum neue Schwerpunkte. Neben dem besseren Zugang zu Informationen über mobile Arbeit sowie koordinierten oder gemeinsamen Inspektionen vor Ort ist vor allem die Einsetzung von Expertengruppen vorgesehen. Sie sollen eine Ausweitung der Aktivitäten vorbereiten. Zudem will die Agentur mehr an die Öffentlichkeit gehen. Bisher hatte sie nicht einmal einen eigenen Pressesprecher. Das laufende Jahr, erklärte ELA-Chef Cosmin Boiangui, werde ein Jahr harter Arbeit sein.

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