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Wie sich Ausbeutung verhindern lässt Böckler Impuls

Häusliche Pflege: Wie sich Ausbeutung verhindern lässt

Ausgabe 17/2021

Wenn ausländische Pflegekräfte in deutschen Haushalten zum Einsatz kommen, sind ihre Arbeitsbedingungen oft untragbar. Die Politik muss die Branche regulieren.

Die 24-Stunden-Pflege muss dringend reformiert werden. Die Situation der meist aus Mittel- und Osteuropa stammenden Arbeitskräfte ist geprägt durch problematische Arbeitsbedingungen und eine unsichere Rechtslage. In der Regel wohnen die Betreuerinnen unter einem Dach mit der zu pflegenden Person, sie sind rund um die Uhr im Einsatz, werden aber nur für wenige Stunden pro Tag bezahlt. Zum einen sollte die Politik durch alternative Angebote dafür sorgen, den Bedarf nach sogenannter Live-In-Care zu verringern. Zum anderen sollte sie, wo sich nicht darauf verzichten lässt, die Verantwortung von Vermittlungsagenturen sowie Qualitätsstandards für gute Arbeit regeln. Zu diesem Ergebnis kommt ein Forschungsteam um Eva Kocher von der Europa-Universität Viadrina und Bernhard Emunds vom Nell-Breuning-Institut im Rahmen eines Forschungsprojekts, das von der Hans-Böckler-Stiftung gefördert wurde.

Die Begriffe „24-Stunden-Pflege“ oder „Live-In-Care“ bezeichnen ein breites Spektrum an Sorgearbeit, das Arbeitskräfte in deutschen Privathaushalten übernehmen. Es reicht von Unterstützung im Alltag und Haushaltsführung über Beaufsichtigung sowie „kognitive Aktivierung“ bis hin zu Aufgaben der Grundpflege. Mitunter wird sogar – anders, als es das Gesetz vorsieht – medizinische Pflege durchgeführt. Das große Problem sind die überlangen Arbeitszeiten. Von Live-In-Arbeitskräften wird häufig erwartet, dass sie sieben Tage die Woche und praktisch 24 Stunden am Tag zur Verfügung stehen, sodass sie sich beinahe in permanentem Bereitschaftsdienst befinden. Da Arbeitsort und Wohnort zusammenfallen, befinden sie sich zudem „in einer besonderen Situation der Verletzbarkeit sowie der Abhängigkeit vom Wohlwollen der Betreuten und ihrer Familien“. 

Für Aufsehen hat ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts im Juli 2021 gesorgt: Das Gericht hatte sich mit dem Fall einer bulgarischen Pflegekraft befasst, die nach eigener Aussage rund um die Uhr im Einsatz war, aber nur sechs Stunden pro Tag vergütet wurde. Eine gängige Praxis in der Branche. Doch nach Auffassung des Gerichts stand der Arbeitskraft in diesem Fall, in dem explizit ein Arbeitsverhältnis mit einer bulgarischen Agentur vereinbart war, auch für die Zeiten der Bereitschaft der Mindestlohn zu – womit sie für deutlich mehr als 30 Stunden pro Woche zu bezahlen war. „Mit diesem Urteil wird einmal mehr der von Gewerkschaften und Forschung seit Jahren identifizierte dringende Regelungsbedarf der Branche offenkundig“, heißt es in der Analyse.  

Die Vorschläge der Expertinnen und Experten: 

  • Die stationäre Pflege muss verbessert und bezahlbare professionelle Dienstleistungen zur Angehörigenpflege müssen ausgebaut werden. Dadurch würde die Nachfrage nach Live-In-Care zurückgehen.
  • Grundlage von Live-In-Care sollte ein Arbeitsvertrag zwischen der Arbeitskraft und einer Agentur sein. Die Pflegebedürftigen beziehungsweise ihre Angehörigen schließen dann wiederum einen Vertrag mit der Agentur. Damit sind nicht nur Mindeststandards des Arbeits- und Gesundheitsschutzes einschließlich der Arbeitszeitbegrenzung, sondern auch Mindestentgelte und soziale Absicherung gewährleistet. 
  • Als ergänzende öffentliche Finanzierungsquelle kommt vor allem die Pflegeversicherung in Frage. Prinzipiell ermöglicht das Sozialgesetzbuch schon heute, den Umwandlungsanspruch und den Entlastungsbetrag für ein als „Unterstützung im Alltag“ anerkanntes Angebot an häuslicher 1:1-Betreuung zu nutzen. Diese Kofinanzierung durch die Pflegekasse sollte deutlich ausgebaut werden. 
  • Im Vorfeld muss klar festgelegt sein, welche Arbeiten die Betreuungskraft übernimmt und welcher Anteil von Bereitschaftszeit dabei geplant ist. Voraussetzung hierfür ist eine umfassende Bedarfserhebung, die von einem kommunalen Pflegestützpunkt koordiniert werden sollte.
  • Damit die gesetzlich vorgeschriebenen freien Zeiten eingehalten werden können, braucht es zusätzliche Personen, die Betreuungs- und Bereitschaftszeiten übernehmen. Die Agenturen sollten dafür Personal vorhalten.
  • Ein wichtiger Schritt der Bundesregierung könnte eine Aufklärungskampagne sein, die die problematische Seite von häuslicher Pflege durch Migrantinnen thematisiert.
  • Zur Sicherung der Qualität von Agenturen sollte ein Zertifikat geschaffen werden, das durch eine unabhängige Prüfstelle vergeben und zur Voraussetzung für den Empfang öffentlicher Leistungen gemacht wird. Ein Zertifikat sollten nur Agenturen erhalten, die selbst als Arbeitgeber in der häuslichen 1:1-Betreuung auftreten, Verantwortung für die Einhaltung der gesetzlichen Höchstarbeitszeiten übernehmen und ausreichend Personal vorhalten.

Bernhard Emunds, Eva Kocher u. a.: Gute Arbeit für Live-In-Care, Gestaltungsoptionen für Praxis und Politik (pdf), NBI-Positionen 2021 / 2, Oktober 2021

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