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Unterschätzter Reichtum Böckler Impuls

Verteilung: Unterschätzter Reichtum

Ausgabe 19/2021

Das reichste Hundertstel der deutschen Haushalte verfügt nach den üblichen Statistiken über etwa zwei Billionen Euro. Tatsächlich könnten es dreieinhalb Mal so viel sein.

Die Frage, wie reich die Superreichen wirklich sind, ist statistisch schwer zu beantworten. In Staaten wie Deutschland, die mangels Vermögenssteuer oder Registerdaten über keine amtlichen Vermögensstatistiken verfügen, behilft sich die Ungleichheitsforschung damit, Daten aus Umfragestudien mit journalistischen Reichenlisten zu kombinieren. Doch selbst die modernsten ökonometrischen Methoden dürften nicht dafür ausreichen, die Vermögen der Reichsten „akkurat, geschweige denn vollständig abzubilden“, so der Bamberger Wirtschaftsprofessor Mishael Milaković und sein Kollege Jan Schulz, Mitglied eines Promotionskollegs der Hans-Böckler-Stiftung, die in der Fachzeitschrift „Review of Income and Wealth“ einen aktuellen Beitrag zum Thema veröffentlicht haben.

Die Superreichen schweigen über ihr Vermögen

Die Schwierigkeiten bei der Erfassung des Reichtums liegen den Wissenschaftlern zufolge vor allem in der Natur von Umfragen begründet. „Deren Stichprobengrößen in Kombination mit gut dokumentierten Effekten sozialer Erwünschtheit machen es äußerst unwahrscheinlich, dass die Reichsten mit ihrem Vermögen überhaupt Berücksichtigung finden.“ Das betreffe selbst groß angelegte Befragungen wie das Sozio-oekonomische Panel (SOEP). 

Nach Berechnungen der Bamberger Forscher sind es zwar nur 0,1 bis 0,4 Prozent der Vermögenden an der äußersten Spitze, die im SOEP systematisch nicht erfasst werden. Durch die extreme Vermögenskonzentration haben diese winzigen Anteile jedoch massive Auswirkungen auf das geschätzte Gesamtvermögen: Ohne statistische Korrekturen belief sich das geschätzte Gesamtvermögen der reichsten fünf Prozent der Deutschen 2012 – dem letzten Jahr, für das im SOEP verwertbare Vermögensdaten vorliegen – auf ungefähr 2,9 Billionen Euro, tatsächlich dürften es aber eher 8 Billionen gewesen sein. Beim obersten Prozent wächst das Vermögen sogar um das Dreieinhalbfache von etwa 2 auf 7 Billionen. Auch die öffentlich breit diskutierten Kennzahlen zur Vermögensungleichheit wie der Vermögensanteil des obersten Prozents am Gesamtvermögen wären demnach „viel zu niedrig gegriffen und die Vermögensungleichheit in Deutschland damit weit größer als bisher vermutet“.

Wie sich Reichtum schätzen lässt

Die durch Umfragen oder journalistische Recherchen zu superreichen Einzelpersonen gewonnenen Vermögensdaten sind unzulänglich. Auch reicht es nicht, die Kurve, die sich aus dem statistisch noch relativ gut erfassten Anstieg des Vermögens von Millionär zu Millionär ergibt, einfach nach oben zu verlängern. Denn die internationale Ungleichheitsforschung zeigt, dass die Sprünge von Person zu Person oder Haushalt zu Haushalt am oberen Ende immer größer werden. Solche Zusammenhänge lassen sich immerhin durch bestimmte mathematische Funktionen beschreiben. Die Analysen von Schulz und Milaković basieren auf Potenzgesetzen, die eine sogenannte Zipf-Verteilung abbilden und mit denen sich die Vermögen der Superreichen schätzen lassen. Nach diesem Schema besitzt die reichste Person doppelt so viel wie die zweitreichste, drei Mal so viel wie die drittreichste und so weiter. „Diese extreme Konzentration unterstreicht auch die Notwendigkeit, das höchste Vermögen korrekt zu erfassen: Wird dieses, wie in Umfragestudien, unterschätzt oder nicht berücksichtigt, setzt sich der Messfehler über die gesamte Verteilung nach unten fort und verstärkt sich. Wer das Gesamtvermögen richtig erfassen will, muss also auf das Spitzenvermögen schauen“, so die Forscher.

Jan Schulz, Mishael Milaković: How Wealthy Are the Rich?, Review of Income and Wealth, Oktober 2021

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