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Diskutierende vor Publikum auf Podium Service aktuell

Tagungsbericht Labor.a 2025: Dem ungerechten Kapitalismus viel entgegengesetzt

Die LABOR.A hatte sich in diesem Jahr zahlreiche Facetten des Themas Gerechtigkeit vorgenommen. Die Diskussionen reichten von neuen Organisationsmodellen in Großbetrieben über Bildungschancen bis zu den Arbeitszeiten von Reinigungskräften.

Von Fabienne Melzer und Andreas Schulte

Nur im Film rettet ein Held die Welt. In der Wirklichkeit brauche es dagegen viele Helden, um die Welt wieder gerechter zu machen. Mit diesem Bild begrüßte Claudia Bogedan, die Geschäftsführerin der Hans-Böckler-Stiftung, das Publikum der diesjährigen Labora in Berlin. Denn das große Thema der diesjährigen Konferenz zur Arbeit der Zukunft hieß Gerechtigkeit. Darüber diskutierten rund 2000 Gäste vor Ort und online.

Klassismus im Bildungssystem aufbrechen

Eine gerechte Zukunft startet mit gerechten Bildungschancen. Wie gerecht oder vielmehr ungerecht das deutsche Bildungssystem ist, diskutierten in einer der ersten Runden die Autorin Marlen Hobrack, Micha Klapp, Staatssekretärin der Berliner Senatsverwaltung, Dario Schramm, ehemaliger Bundesschülersprecher, und Claudia Bogedan. Über die Ungerechtigkeiten im Bildungssystem waren sich alle einig. Klassismus war für Claudia Bogedan nie verschwunden. Daher brauche es die Arbeit der Stiftung, deren Förderwerk vor allem Kindern aus Arbeiterfamilien ein Studium ermöglicht.

In Deutschland hänge der Bildungserfolg noch immer viel zu sehr vom Elternhaus ab. „Ich finde es erschreckend, dass wir Kindern schon in der Grundschule sagen können, wie ihre Zukunft aussieht“, sagte Dario Schramm. Er machte dafür auch die zunehmende Belastung der Eltern verantwortlich. Gerade Menschen mit geringem Einkommen müssten immer mehr arbeiten. Ihnen fehle schlicht die Zeit, ihre Kinder in der Schule zu unterstützen.

Claudia Bogedan teilte seine Einschätzung und ergänzte: „Die Benachteiligung fängt schon vor der Grundschule an.“ Viele Eltern lesen ihren Kindern nicht mehr vor, einige auch, weil ihnen schlicht die Zeit fehle. Doch das spiele für den Bildungserfolg eine wichtige Rolle. Marlen Hobrack, die selbst in einem bildungsbenachteiligten Milieu in Sachsen aufwuchs, wies daraufhin, dass es verschiedene Formen der Sprachförderung gibt. „Meine Mutter hat uns nicht vorgelesen, aber sie hat uns vorgesungen.“ Um die Reproduktion der Klassen aufzubrechen, müsse man das Spektrum der Förderung erweitern, aber es brauche auch echte Ganztagsschulen und Lehrkräfte mit einem Bewusstsein für Klassismus. Die gebe es, aber auch viele Gegenbeispiele: „Lehrer reproduzieren den Klassismus, weil sie Kevin und Jacqueline anders behandeln“, sagte Hobrack.

Fremdwörter als erste Fremdsprache

Klassismus gehört vielleicht auch zu den Worten, die Lena Marbacher früher einmal nachschlagen musste. In ihrem Kurzvortrag „Fremdwörter als erste Fremdsprache“ erzählte die Journalistin sehr unterhaltsam, wie sie sich als Kind aus dem Arbeitermilieu und mit Berlinerisch als Muttersprache mit ihrer ersten Fremdsprache herumschlug, mit Wörtern wie antizipieren oder Gymnasium, dem einzigen Fremdwort unter den Schulbezeichnungen. „Ich habe promoviert, um aufzusteigen“, erzählte Marbacher. Und zeigte sich gleichzeitig stolz darauf, selbst keine Fremdwörter zu verwenden. „Dich kann man so gut verstehen“, höre sie immer wieder.

Menschen sitzen in einer Runde und diskutieren

Angst um den Arbeitsplatz

Um Ungerechtigkeiten in der Arbeitswelt ging es unter anderem bei der Session „Zwischen Entwertung und Gestaltung - Transformation in Ostdeutschland“. In Sachsen treibt zurzeit viele die Sorge um den Arbeitsplatz um, da die Region stark an der Autoindustrie hängt. Die Transformation betreffe auch Ingenieure, stellte Astrid Scharschuch, Entwicklungsingenieurin und Betriebsrätin beim Entwicklungsdienstleister IAV im sächsischen Stollwerk, fest. Seit 2017 beschäftige sich der Standort mit Transformation. Entwickler wurden zu Softwareentwicklern umgeschult. Motorenprüfstände wurden durch Elektro- und Batterieprüfstände ersetzt. „Aber was bleibt noch für uns, wenn Autohersteller selbst die Entwicklung ins Ausland verlagern?“, fragte Scharschuch. Die Angst in der Belegschaft sei jedenfalls groß.

Luisa Lustermann macht zurzeit eine duale Ausbildung bei Siemens in Leipzig und ist Mitglied der Jugend- und Auszubildendenvertretung. Auch sie sorgt sich um den Standort. „Die Entwicklungsabteilung in Chemnitz wurde geschlossen“, sagt die Jugendvertreterin. „Das ist für uns, die wir dort studieren, sehr bedauerlich.“ Insgesamt fühlt sie sich an der Umgestaltung des Konzerns wenig beteiligt.

Peter Cremer von der IG Metall Chemnitz Zwickau bedauerte vor allem die Wankelmütigkeit der Politik: „Die Region hat sich auf Veränderungen eingelassen. Wir haben uns in Zwickau vom Verbrenner auf die E-Mobilität umgestellt und jetzt zieht die Politik nicht durch.“ Dabei verfüge die Region über viel Erfahrung mit Umbrüchen und einer langen Tradition in der Autoindustrie. „Die Menschen hier können und wollen den Wandel“, sagte Cremer. Die Initiative Automobilregion Südwestsachsen begleitet die Beschäftigten bei der Transformation der Autoindustrie. Das Projekt will unter den Bedingungen des Wandels gute und sichere Arbeitsbedingungen erhalten. „Im Rahmen dieses Netzwerks sprechen wir mit allen Parteien in der Region und arbeiten auch mit der IHK zusammen“, sagte Cremer.

Bayer: Beschäftigte erhalten mehr Verantwortung

Der Industriekonzern Bayer will Hierarchien abschaffen. Der Ansatz: Dynamic Shared Ownership (DSO). Das Organisationsmodell ersetzt klassische Hierarchien. Mehr

Entscheidungen werden von denen gefällt, die Produkte herstellen und Dienstleistungen erbringen. Manager haben dann weniger Einfluss im Tagesgeschäft. Dies hat ausgerechnet Bayer-CEO Bill Anderson ersonnen.

Wie ein solcher Prozess gestaltet wird, diskutierte unter anderem Heike Hausfeld, Vorsitzende des Gesamtbetriebsrats bei Bayer und seit 2017 stellvertretende Vorsitzende des Aufsichtsrats. Sie sieht in DSO eine Chance, Arbeitnehmerrechte zu stärken und Teilhabe am Unternehmenserfolg zu ermöglichen. DSO könne aber nur dann nachhaltig erfolgreich sein, wenn auch die Mitbestimmungsrechte und sozialen Standards auf Seiten der Beschäftigten weiterhin gewahrt bleiben.

Auch Stefan Soltmann, Leiter der Abteilung Betriebspolitik bei der IGBCE, wies auf die Bedeutung der Mitbestimmung in diesem Prozess hin. „Dafür ist es wichtig, dass die Firmenzentrale in Deutschland bleibt.”

Die Hans-Böckler-Stiftung begleitet den Prozess bei Bayer mit einem Forschungsprojekt.

Plattformarbeiterinnen: Prekäre Verhältnisse bekämpfen

Von der Arbeitsorganisation auf Konzernebene wie bei Bayer zur kleinstmöglichen Wirtschaftseinheit, den Soloselbstständigen. Eine gemeinsame Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) und von IT for Change, einer gemeinnützigen Organisation in Indien, untersuchte die Auswirkungen der Plattformarbeit auf Arbeitsmarktteilhabe und gesellschaftliche Teilhabe von Frauen, die in diesem Sektor tätig sind. Sie diente als Ausgangspunkt einer weiteren Diskussion auf der Labora.

Auf dem Podium skizzierte Uma Rani die Gefahren der Plattformarbeit. Die Inderin arbeitet als Senior Economist im Research Department der International Labour Organization (ILO). Auftragnehmern fehlten Arbeitsrechte wie soziale Absicherung, Kollektivverhandlungen und Schutz vor Diskriminierung. Die Kosten für Betriebsmittel trügen sie selbst. Außerdem führt technisches Monitoring und algorithmische Kontrolle zu erhöhtem Druck.

Vor allem Frauen nutzen Plattformarbeit häufig als Chance für flexibles Einkommen und Marktzugang. Dies gilt besonders in Regionen mit wenigen alternativen Arbeitsmöglichkeiten. Das Problem: Frauen werden häufiger noch schlechter bezahlt als Männer und erhalten kaum soziale Absicherung.

„Durch Plattformarbeit sehen wir eine Reproduktion von Geschlechterungerechtigkeit”, resümierte Charlotte Schlüter, politische Referentin für Frauen, Gleichstellungs- und Familienpolitik beim DGB. Gewerkschaften müssten bei der besseren Vernetzung von Plattformarbeiterinnen unterstützen. Eine neue EU-Richtlinie könne dies befördern, sagt Schlüter. Sie verbessert den Datenschutz, schafft mehr Transparenz über verwendete

Algorithmen und verpflichtet Plattformen zur Meldung ihrer Arbeitsbeziehungen. Deutschland muss die Richtlinie bis Dezember 2026 umsetzen.

Mehre Menschen sitzen zusammen und reden

Zugang zu Beschäftigten in der Plattformökonomie

Um die EU-Richtlinie ging es auch in einer weiteren Runde auf der Labora. Bei Auseinandersetzungen mit dem Arbeitgeber lassen sich Beschäftigte bei Lieferdiensten schwerer organisieren. Es gibt keinen Betrieb, wo man Beschäftigte antrifft, und Arbeitgeber rücken nicht freiwillig mit einer Kontaktliste heraus. Ein Konflikt tobt derzeit bei Lieferando. Der Lieferdienst will seine festangestellten Beschäftigten an Subunternehmen auslagern. Über die Lage bei Lieferando, und wie der Betriebsrat dort Kommunikationsstrukturen aufgebaut hat, berichtete Semi Yalcin. Er gründete 2017 in Köln den ersten Betriebsrat bei dem Lieferdienst.

Welche Möglichkeiten die EU-Plattformarbeitsrichtlinie für eine bessere Vernetzung schafft, diskutierte der Lieferando-Betriebsrat Yalcin mit Ernesto Klengel, Direktor des Hugo Sinzheimer Instituts, Anna-Elisabeth Hampel von Minor – Projektkontor für Bildung und Forschung und Johannes Specht vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut der Hans-Böckler-Stiftung.

So sieht die Richtlinie vor, dass Beschäftigte von Plattformen miteinander in Kontakt treten können müssen. Der Kommunikationskanal muss technische Mindestanforderungen erfüllen, leicht handhabbar und mehrsprachig sein. Es muss einen geregelten Zugang für Interessenvertretungen geben, Unternehmen müssen es einrichten, dürfen aber nicht mitlesen.

Für Anna-Elisabeth Hampel stellte sich dabei die Frage: „Trauen Beschäftigte sich in diesen Kanälen, auch kritisch zu äußern, und wie kann man gewährleisten, dass sie sich dort sicher fühlen?“ Ernesto Klengel erweiterte das Thema über die Plattformarbeit hinaus. Gewerkschaften brauchten in der modernen Arbeitswelt grundsätzlich ein einklagbares digitales Zugangsrecht. Johannes Specht zog aus der Diskussion den Schluss: „Eine gute Umsetzung der Richtlinie ist nur der erste Schritt. Gewerkschaften müssen sich auch auf den Betrieb digitaler Zugänge vorbereiten.“

Betriebsräte: Was sie wissen müssen

Die gemeinsame Arbeitsstelle RUB/IGM der Uni Bochum hat in der Studie QuBA³ untersucht, welche Rolle die Qualifizierung von Betriebsräten für eine starke betriebliche Mitbestimmung spielt. Dazu wurden 4400 Interessenvertretungen befragt. Ein Panel vertiefte die Ergebnisse. Eines lautet: Betriebsratsmitglieder, die sich weiterqualifizieren, können ihre Rolle effektiver ausfüllen.

Die Studie untersuchte auch, in welchen Feldern Betriebsratsgremien ihren Weiterbildungsbedarf sehen. Topthema ist das Arbeitsrecht. Auch Personalfragen spielen eine wichtige Rolle, stellte Wissenschaftler Fabian Hoose von der Gemeinsamen Arbeitsstelle dar.

Die Befragung zahlt auch auf das Leitthema Gerechtigkeit der Labora ein. Denn Frauen sind bei Weiterbildungen benachteiligt. Aus Zeitgründen nehmen sie seltener daran teil.

Grundsätzlich müsste wieder mehr Grundlagenwissen vermittelt werden als früher, hob Oliver Venzke vom Kompetenzzentrum Bildung bei der IGBCE hervor. „Das Wissen ist bei Betriebsräten zurückgegangen. Vieles wird erst in dem Moment draufgeschafft, in dem es benötigt wird.”

Investitionen: Dialog über gute und grüne Arbeit

Einen Einblick in die Herangehensweise an die Transformation in den USA lieferte Betony Jones. Die Wissenschaftlerin am Roosevelt Institute schilderte im Podiumsgespräch mit dem Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung der Hans-Böckler-Stiftung, Sebastian Dullien, wie sie als Beraterin für Arbeit im US-Energieministerium unter der Biden-Administration die Transformation vorangetrieben hat.

Ein grundsätzlicher Unterschied zu Deutschland: „In den USA wird fast immer mit Anreizen gearbeitet”, erklärte Jones. Während in der EU CO2 bepreist wird, um den Ausstoß gering zu halten, erließ die USA im Jahr 2022 den Inflation Reduction Act (IRA). Das Gesetz war vor allem ein umfangreiches Investitionspaket zur Bekämpfung des Klimawandels. Es sah Investitionen von rund 430 Milliarden US-Dollar vor, hauptsächlich für den Ausbau nachhaltiger Energietechnologien und den Klimaschutz.

„Das IRA war Zuckerbrot statt Peitsche”, sagte Jones. „Es sah Steuervergünstigung für saubere Energie durch einen Grundbetrag vor. Boni gab es zudem bei Einhaltungen von guten Arbeitsbedingungen.” Bis zu 50 Prozent der Projektkosten von Unternehmen zahlte der Staat.

„Wir haben damit gute Arbeitsplätze geschaffen. Gewerkschaften haben Ihren Organisationsgrad binnen zwei Jahren erhöht”, resümierte Jones. Dann jedoch setzte Donald Trump weite Teile des Gesetzes wieder außer Kraft, insbesondere die Steueranreize für Solar-, Wind- und Elektrofahrzeug-Projekte. Das Gesetz hat in der öffentlichen Wahrnehmung weniger Spuren hinterlassen als erwünscht. „Wir haben die Erfolge nicht genügend publik gemacht”, sagte Jones.

Sebastian Dullien ergänzte, dass man in Deutschland mit dem Sondervermögen von 500 Milliarden Euro nun Ursache und Wirkung von Investitionen für eine breite Öffentlichkeit verdeutlichen müsse. Einig waren sich beide: Die Transformation ist auch eine Chance.

Menschen auf Podium

Moderne Bürokratie für ein modernes Deutschland

Wie die Bürgerinnen und Bürger auf die Lage in Deutschland schauen, beschäftigt Laura-Kristine Krause. Die ehemalige Geschäftsführerin von „More in Common“ leitet seit Kurzem beim Bundesfinanzministerium die Unterabteilung modernes Deutschland. Auf die verwunderte Frage, wie denn diese Abteilung ins Finanzministerium gekommen sei, erklärte Krause, es hänge mit der Rolle des Finanzministers als Vizekanzler zusammen. Ziel sei es, das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Demokratie zu stärken. Dafür will Krause die Bürokratie modernisieren. „Ich versuche dabei, den Bürgerblick reinzunehmen“, sagte Krause. Ihr sei wichtig, die Menschen ernst zu nehmen.

Ihr falle öfter auf, dass außerhalb des Landes viele nicht verstehen, warum die Menschen in Deutschland so unzufrieden seien. Auch sie selbst ist der Meinung, die gesellschaftliche Grundlage sei nicht perfekt, aber immerhin vorhanden und darauf ließe sich aufbauen. Die Politik stehe aber häufig unter Druck, viel zu versprechen. Vieles ließe sich dann jedoch nicht von heute auf morgen einlösen und brauche seine Zeit. Im Hinblick auf die anstehenden Investitionen sagte sie auch: „Die Menschen müssen in ein paar Jahren sehen, dass es sich gelohnt hat, diese Schulden zu machen. Das gehört auch zur Gerechtigkeitsdebatte.“

Diskutiernede auf Podium

Viel Geld aber wenig Gerechtigkeit

Aber das Sondervermögen allein reicht nicht aus, um den Staat in Zeiten schwächelnder Wirtschaft und geopolitischer Krisen wieder leistungsfähig zu machen. So argumentierte Anne Brorhilker in ihrem Impulsvortrag im Rahmen des Panels „Was kann Geld leisten?” Die ehemalige Staatsanwältin deckte wesentlich den bundesweiten Finanzskandal Cum-Ex auf. Heute arbeitet sie für die Organisation Finanzwende, die sich für eine gerechtere Verteilung von Geldern einsetzt.

Verschärfungen der Regierung beim Bürgergeld brächten wenig, um die Staatskassen besser zu füllen, sagte Brorhilker. Sie will Wirtschaftskriminalität effektiver bekämpfen. Doch dafür fehle oft der politische Wille. Dabei könnte sich der Staat leicht Geld zurückholen, etwa bei Umsatzsteuerkarussellen. Aber nur jeder zwanzigste Fall von Wirtschaftskriminalität komme zur Anklage, monierte sie. Zugleich gingen pro Jahr geschätzt 100 Milliarden Euro durch Steuerhinterziehung verloren.

Wo sich Reiche illegal die Taschen füllen, fehlt das Geld – für die Armen, für Investitionen, für zentrale öffentliche Aufgaben. Und wenn der Staat den Eindruck erwecke, Wirtschaftskriminalität nicht entschlossen zu verfolgen, schwäche das das

Vertrauen in die Justiz und sogar die Demokratie. „Dieser Kreislauf befeuert gesellschaftliche Spaltung”, erinnerte Brorhilker an das Leitthema der Labora: Gerechtigkeit.

In der anschließenden Diskussion griffen die Aufsichtsrätin Sylvia Borcherding, der Journalist Korbinian Frenzel und Staatssekretär Björn Böhning die Impulse auf.

Diskutierende auf Podium

Kampf um Demokratie im Betrieb

Einen ähnlichen Effekt, wenngleich in einem anderen Zusammenhang, beschrieb Sabrina Zajak vom Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (Dezim). Sie war Referentin bei einer von zwei Veranstaltungen zu demokratischem Engagement von Unternehmen. Eine Bedrohung dort: In der Arbeitswelt gewinnt die AfD an Bedeutung. Die Mitbestimmung hält oft als einzige Instanz dagegen, während Politik sich zurückhält. „Programme werden zurückgefahren. Die Politik schiebt der Zivilgesellschaft den schwarzen Peter für gesellschaftliche Entwicklungen zu und umgekehrt”, sagte Zajak. „Daraus folgt ein Abwärtskreislauf. Jeder zeigt mit dem Finger auf andere.”

Patrick Hesse sieht es ähnlich. „Die Politik ist untätig, daher ist die AfD in Betrieben stark. Dies schwächt die Demokratie im Betrieb.” Wie weit rechte Strömungen in Betrieben bereits vorgedrungen sind, weiß Sophia Fresen von „Gesicht Zeigen”. Die Organisation klärt in Betrieben auf und trainiert Beschäftigte im Umgang mit rechts. Laut einer Studie von Gesicht Zeigen hat bereits jeder Dritte Rechtsextremismus am Arbeitsplatz wahrgenommen. Frese fordert unter anderem, die Deutungshoheit über zentrale Begriffe zu behalten. So deuteten rechte Szenen etwa den Begriff Solidarität um, der in deren Augen nur für den „deutschen“ Anteil der Bevölkerung gilt.

Mehr Informationen zur Veranstaltung

Videos aller 37 Panels, Sessions und Impulsvorträge der Labora 2025 werden in Kürze auf der Veranstaltungsseite auf Labor.a Digital veröffentlicht.

Migrationsgesellschaft verteidigen

Um die Verteidigung der Migrationsgesellschaft ging es in einer Diskussionsrunde mit Romin Khan von der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, Sükran Budak von der IG Metall, der betrieblichen Organizerin Ongoo Buyanjargal und Neva Löw vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut der Hans-Böckler-Stiftung. Romin Khan wies auf die Gefahren hin, die der Migrationsgesellschaft drohen. Er sprach von einer drohenden Entrechtung und wie schwer es derzeit sei, die Fahne für eine solche Gesellschaft im Gegenwind hochzuhalten. Wie in einer Gesellschaft Migration verhandelt werde, bleibe nicht ohne Folgen für die Demokratie. „Die Einschränkung der Rechte einzelner Gruppen hat auch immer Auswirkungen für alle anderen“, sagte Khan.

Sürkan Budak verwies auf die hohe Zahl der Mitglieder mit Migrationshintergrund in der eigenen Gewerkschaft: „Zu unseren Mitgliedern zählen 500.000 Migrantinnen und

Migranten, das sind mehr als die CDU an Mitgliedern insgesamt hat.“ In Betriebsräten und gewerkschaftlichen Funktionen seien sie deutlich häufiger vertreten als es ihrem Bevölkerungsanteil entspreche. Mit Seminaren, Flyern und Videos in verschiedenen Landessprachen ist die Gewerkschaft auf diese Gruppe zugegangen. In den 1960er und 1970er Jahren waren Gewerkschaften die einzigen Orte, in denen sie Kontakte zur Mehrheitsgesellschaft knüpfen und politische Teilhabe erleben konnten. Denn hier konnten auch Menschen ohne deutschen Pass wählen. „Sie empfinden Gewerkschaft als politische Heimat“, sagte Budak.

Warum eigentlich nicht tagsüber putzen?

In der Gebäudereinigung fehlt Personal. Um Beschäftigte in Büros bei ihrer Arbeit nicht zu stören, hat es sich eingebürgert, dass vor und nach den üblichen Bürozeiten geputzt wird. Für die Beschäftigten ist das schlecht. Der Tag ist zersplittert, befördert Teilzeitarbeit, Kettenverträge und Objektlöhne. Dabei verdienen Reinigungskräfte ohnehin wenig. Doch weil die Arbeit daher oft im Verborgenen stattfindet und dann kaum Sprachkenntnisse erfordert, ist die Gebäudereinigung für viele ein erster Schritt in die Arbeitswelt.

Olaf Bande, Obermeister der Gebäudereinigungs-Innung in Berlin geht das Problem an. Er trommelt bei der Politik, sowie bei privaten und öffentlichen Auftraggebern für die Tagesreinigung. Das Ziel: Die Zeiten für die Gebäudereinigung sollen in Ausschreibungen aufgenommen werden.

Für die Beschäftigten würden sich durch die Tagesreinigung einiges verbessern: neben den komfortableren Arbeitszeiten würde ihre Arbeit gesehen und dadurch mehr gewertschätzt, die Arbeitsbelastung würde sinken. Allerdings muss man zunächst Verständnis beim Büropersonal dafür schaffen, dass Beschäftigte während der Bürostunden vom Reinigungspersonal gestört werden könnten. „Und das Reinigungspersonal muss sprachlich und auf den Umgang mit Beschäftigten geschult werden”, sagt Bande.

IGBAU-Branchensekretär Markus Baumgartner, sagte, die Gewerkschaft stehe zu 100 Prozent für diesen Wandel.

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Zum Abschluss der Veranstaltung sagte Stiftungs-Geschäftsführerin Claudia Bogedan: „Der Kapitalismus bringt ungerechte Verteilung und ungerechte Teilhabe mit sich. Dem müssen wir etwas entgegensetzen”. Die Labora ist dafür offensichtlich ein guter Ort.

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