zurück
HBS Böckler Impuls

Beschäftigung: Studie widerlegt Mindestlohn-Gegner

Ausgabe 01/2011

Kosten höhere Mindestlöhne Arbeitsplätze? Eine groß angelegte empirische Studie entdeckt für diesen Verdacht keine Indizien: Sämtliche Anhebungen der US-Mindestlöhne von 1990 bis 2006 blieben ohne Beschäftigungseffekte.

Die bislang aufwändigste Untersuchung von möglichen Beschäftigungseffekten durch angehobene Mindestlöhne in den USA ist zu einem eindeutigen Resultat gekommen: "Mindestlohn-Erhöhungen führen nicht zu kurz- oder langfristigen Jobverlusten bei Niedriglohntätigkeiten." Das schreiben die Wissenschaftler Arindrajit Dube, T. William Lester und Michael Reich in der Novemberausgabe der "Review of Economics and Statistics".

Mindestlohn-Erhöhungen in den Vereinigten Staaten haben, so die drei Forscher, zwischen 1990 und 2006 stets ihr anvisiertes Ziel erreicht. Fast immer verdienten Niedriglöhner nachher besser, die Arbeitgeber haben sich an die staatlichen Vorschriften gehalten. Vor allem aber reagierten die Unternehmen auf Anhebungen der Lohnuntergrenze nie mit so vielen Entlassungen, dass sich die Arbeitslosigkeit erkennbar erhöhte. Die lokalen Beschäftigungseffekte sind "nicht unterscheidbar von Null", stellen die Wissenschaftler fest. Höhere Mindestlöhne haben demnach in den USA von 1990 und 2006 keine Arbeitsplätze gekostet.

"Methodisch wie empirisch das Anspruchvollste": Schon vor Dube, Lester und Reich hatten Studien für einzelne Regionen ähnliche Resultate zu Tage gebracht. Die neue Untersuchung dürfte dennoch die wissenschaftliche Debatte verändern, erwartet Mindestlohn-Experte Thorsten Schulten vom WSI. "Diese Arbeit stellt empirisch wie methodisch das Anspruchvollste dar, was bisher zu den Effekten von Mindestlöhnen geforscht wurde", sagt Schulten. "Die Autoren der Studie haben deutlich mehr geleistet, als die Befürworter und Gegner von Mindestlöhnen bisher vorlegen konnten." Auch der Leiter des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), Joachim Möller, lobt die breite Datenbasis und den methodischen Ansatz der Studie.

Die Forscher um den Berkeley-Professor Michael Reich haben sich für ihre Studie auf die Grenzregionen im amerikanischen Mindestlohn-System konzentriert. In den USA gibt es dreierlei Mindestlöhne: Einer wird in Washington bestimmt und gilt für die gesamten Vereinigten Staaten von Amerika. Zudem haben etliche der 50 Bundesstaaten einen eigenen Mindestlohn oberhalb der nationalen Lohngrenze. Und mancherorts, etwa in San Francisco, kommt noch ein lokaler Mindestlohn hinzu. Die Unterschiede in diesem Drei-Ebenen-System waren in den vergangenen Jahrzehnten recht groß, es gab zeitweise Abstände zwischen den Mindestlöhnen von bis zu 20 Prozent - bis die Obama-Regierung den Mindestlohn auf 7,25 Dollar erhöhte.

"Eine ganze Generation an früheren Mindestlohnstudien, die Jobverluste fest-gestellt haben, ist grundlegend fehlerhaft"

Folgende Arbeitsschritte haben die Wissenschaftler aus Berkeley unternommen: Sie werteten die Beschäftigungsstatistiken von insgesamt 66 Counties aus - Gebiete, die in etwa den deutschen Landkreisen entsprechen. Es wurden Counties ausgewählt, die in unmittelbarer Nachbarschaft zueinander liegen und eine ähnliche Wirtschaftsstruktur haben, für die aber unterschiedliche Mindestlohnregeln gelten. Die Forscher betrachteten zudem für ihre Untersuchung einen längeren Zeitraum als alle anderen vor ihnen, nämlich von 1990 bis 2006. Dadurch stand ihnen eine umfang- und detailreichere Empirie zur Verfügung als den Vorgängern. Die Daten über die lokale Beschäftigungsentwicklung setzten die Forscher schließlich in Verbindung zu den Mindestlohn-Erhöhungen. Mit mehreren statistischen Methoden haben sie alsdann versucht, mögliche Zusammenhänge zu identifizieren. Eine belegbare Kausalität zeigt sich jedoch nicht: "Wir finden keine negativen Beschäftigungseffekte".

Keine Beschäftigungseffekte - weder in Restaurants noch an anderen Niedriglohn-Arbeitsplätzen. Die Wissenschaftler erwarteten mögliche Arbeitsplatzeinbußen vor allem in Restaurants, weil diese Branche rund ein Drittel der US-Niedriglohnempfänger beschäftigt. Gut jeder dritte Restaurant-Beschäftigte bekommt in den USA nur ein Gehalt, das höchstens zehn Prozent über den Mindestlohn liegt. Trotz des intensiven Einsatzes von Niedriglöhnern reagierten die Restaurant-Besitzer auf gestiegene Arbeitskosten nicht mit Entlassungen. Das gleiche Muster weisen die Wissenschaftler auch für andere Wirtschaftszweige nach. Mittels Stichproben haben sie etwaige Mindestlohneffekte überprüft - auf die Jobs im Einzelhandel, in der Nahrungsmittel-Herstellung, bei Übernachtungs-Dienstleistungen. Überall mit identischem Resultat: Es gab keine.

Die bisherige Forschung zur Beschäftigungswirkung von US-Mindestlöhnen lässt sich in zwei methodische Schulen unterteilen. Es liegen zum einen Studien vor, bei denen Ökonomen recht große Wirtschaftsräume betrachten und die möglichen Auswirkungen einer Mindestlohn-Erhöhung aus der Beschäftigungsentwicklung herleiten. Besonders hervorgetan haben sich hierbei David Neumark und William Wascher. Dem stehen regionale Fallstudien gegenüber, die zuerst von David Card und Alan B. Krueger, dann von etlichen Nachfolgern erstellt wurden. Beide Varianten haben Stärken und Schwächen. Die Wissenschaftler aus Berkeley haben diese Vorarbeiten analysiert und Lehren aus ihnen gezogen.

Der Fallstudienansatz: Beobachtungen an den Grenzen des US-Mindestlohnsystems. Als Erste haben sich David Card und Alan B. Krueger in den 1990er-Jahren die Abstände an den Grenzen der Bundesstaaten zunutze gemacht. Sie beobachteten die Effekte von Mindestlohn-Erhöhungen im Bundesstaat New Jersey auf die Beschäftigung von Fast-Food-Restaurants, und zwar sowohl in New Jersey wie auch im benachbarten Pennsylvania. Wuchs die Beschäftigung dort stärker, wo die Lohngrenze nicht erhöht wurde? Wanderten Jobs ab? Die Autoren dieser Studie kamen zu einem für viele überraschenden Ergebnis: Obwohl in New Jersey die Lohngrenze angehoben wurde, nahm hier auch die Beschäftigung zu - möglicherweise, weil sich die lokale Kaufkraft verbesserte.

Gegen solche Studien wurde eingewandt, dass sie lediglich relativ kleine Räume in den Blick nehmen, und das auch nur über recht kurze Phasen. Darum sei der Erkenntnisgewinn gering. Dube, Lester und Reich haben aus diesem Grund die Untersuchungsweise deutlich ausgeweitet: Sie schauen zwar ebenfalls auf die Beschäftigungsreaktionen in den Grenzgebieten des amerikanischen Mindestlohnsystems. Dabei ­berücksichtigen sie aber nicht bloß wenige Stadtviertel, sondern sämtliche 66 benachbarte Counties mit unterschiedlichen Mindestlöhnen.

"Alle lokalen Unterschiede bei US-Mindestlöhnen" hätten sie in ihrer Studie mit einfließen lassen, schreiben die Forscher. Zudem hat der lange Beobachtungs-Zeitraum von 16 Jahren die Aussagekraft der Expertise gesteigert: Selbst verzögerte Spätfolgen wie eine Entlassung nach einem Jahr würden in der langfristigen Perspektive sichtbar, und auch im Voraus vorgenommene Entlassungen können registriert werden. Dube, Lester und Reich haben durch die Fülle an Empirie den Fallstudien-Ansatz ins Allgemeine ausgedehnt. "Ihre Arbeit hat die wesentlichen Probleme und Kritikpunkte an den bisherigen Fallstudien ausgeräumt", stellt WSI-Experte Thorsten Schulten fest.

Letztlich entscheiden die regionalen Wirtschaftsstrukturen über die Beschäftigung. Den Fallstudien standen in der bisherigen Mindestlohn-Literatur Untersuchungen gegenüber, die Beschäftigungseffekte aus einer Vogelperspektive ausfindig machen wollten. Dube, Lester und Reich nehmen ebenfalls kurz diese Perspektive ein: 2005 hatten 17 der 50 US-Staaten einen Mindestlohn oberhalb des Bundesniveaus. Diese 17 Staaten hatten zwischen 1991 und 1996 ein niedrigeres Jobwachstum als die anderen, aber ein in der Summe identisches zwischen 1996 und 2006. Welche Schlüsse lassen sich daraus ziehen? Wie kann unter der Vielzahl an Einflussfaktoren auf die Beschäftigung der Effekt eines Mindestlohns isoliert werden? Dass solche Fragen nicht zufrieden stellend geklärt sind, wurde den Studien von David Neumark und Wiliam Wascher vorgeworfen, die aus einer Makro-Perspektive Jobverluste erkennen wollten.
Genau das kritisieren an ihnen auch Dube, Lester und Reich. Sie selbst vergleichen darum nicht die Beschäftigungsentwicklungen von großen Gebieten, sondern nur von Regionen, die auch eine sehr ähnliche Wirtschaftsstruktur haben - eben die benachbarten Counties mit den unterschiedlichen Mindestlöhnen. Mit den bekannten Ergebnissen: "Hier finden wir starke Einkommenseffekte und keine Beschäftigungseffekte durch Erhöhungen von Mindestlöhnen". Die oft negativen Auswirkungen, die Studien wie jene von Neumark und Wascher beschrieben haben, "wurden in erster Linie durch regionale und lokale Unterschiede in Beschäftigungstrends verursacht, die keine Verbindung zur Mindestlohn-Politik haben", resümieren die Forscher. Somit sei zu sagen: "Eine ganze Generation an früheren Mindestlohnstudien, die Jobverluste festgestellt haben, ist grundlegend fehlerhaft".  

  • Von der Anhebung des US-Mindestlohns profitierten nicht nur jene, die zuvor weniger als 7,25 Dollar verdienten. Auch 1,64 Millionen Beschäftigte mit einem Entgelt oberhalb dieser Marke standen nachher besser da, weil sich das Lohnniveau erhöhte. Zur Grafik
  • Seit dem Ende der 1960er-Jahre hat der nationale Mindestlohn in den USA deutlich an Wert verloren. Zur Grafik

Arindrajit Dube, T. William Lester, Michael Reich: Minimum Wage Effects Across State Borders: Estimates Using Contiguous Counties, in: The Review of Economics and Statistics, November 2010
Download der Studie (pdf)

 

Impuls-Beitrag als PDF

Zugehörige Themen

Der Beitrag wurde zu Ihrerm Merkzettel hinzugefügt.

Merkzettel öffnen