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Starke Industrie ist ein Wettbewerbsvorteil Böckler Impuls

Strukturwandel: Starke Industrie ist ein Wettbewerbsvorteil

Ausgabe 07/2022

Auch in der deutschen Wirtschaft hat der Dienstleistungsbereich an Bedeutung gewonnen. Doch nach wie vor trägt die Industrie zum wirtschaftlichen Erfolg maßgeblich bei – deutlich stärker als in anderen Ländern.

Büros statt Fabriken: In den modernen Volkswirtschaften haben sich die Gewichte in Richtung Dienstleistungssektor verschoben. Wie weit diese Entwicklung in Deutschland fortgeschritten ist, haben die Wirtschaftswissenschaftler Henrik Steinhaus und Stephan Kraft in einer vom I.M.U. geförderten Analyse nachgezeichnet. Demnach spielt die Industrie hierzulande nach wie vor eine entscheidende Rolle. Im internationalen Wettbewerb sei das ein Pluspunkt: In der „einzigartigen Balance und Ausgewogenheit der deutschen Wirtschaftsstruktur“ könne „die zentrale Stärke und der wesentliche Wettbewerbsvorteil der deutschen Volkswirtschaft“ gesehen werden. Laut I.M.U.-Experte Oliver Emons gilt es, diesen Vorteil in der Transformation zu mehr Nachhaltigkeit zu bewahren. Dafür brauche es auch politische Flankierung. Einmal beispielsweise bei der Einführung klimaschonender, aber zunächst sehr teurer neuer Techniken. Zum Zweiten für eine Stärkung der Mitbestimmung: „Denn mit den für unsere Untersuchung vorliegenden Daten lässt sich zwar noch nicht abschließend einschätzen, wie sich die Corona-Pandemie und der Ukraine-Krieg letztlich auf die Position der deutschen Industrie auswirken. Wir wissen aber aus der Forschung: Mitbestimmung trägt dazu bei, dass Unternehmen besser durch Zeiten von Krisen und Transformation kommen.“ 

Wie sich die Industrie in den vergangenen 30 Jahren entwickelt hat, haben Steinhaus und Kraft Daten des Statistischen Bundesamts entnommen. Ihrer Auswertung zufolge trägt sie „wesentlich zur gesamtwirtschaftlichen Produktions- und Wertschöpfungsleistung bei“. Der industrielle Produktionswert ist von 1991 bis 2020 um 81 Prozent gestiegen. Dass der Anteil am gesamtwirtschaftlichen Produktionswert in diesem Zeitraum um 8 Prozentpunkte gesunken ist, liegt am überdurchschnittlichen Wachstum des Dienstleistungssektors.

Verflechtungen spielen eine große Rolle

Um die gesamtwirtschaftliche Bedeutung der Industrie angemessen beurteilen zu können, ist es der Studie zufolge wichtig, die Verflechtungen zwischen den Sektoren zu betrachten. Der Anteil der Vorleistungen am Produktionswert im Industriesektor ist mit 63 Prozent „sehr hoch“, seit 1991 ist dieser Wert um 4 Prozentpunkte gestiegen. Der Großteil dieser Vorleistungen stammt aus der Industrie selbst, 30 Prozent liefert der Dienstleistungssektor. „Als Abnehmer von Vorleistungen trägt der Industriesektor somit maßgeblich zum Produktionswert aller drei Wirtschaftssektoren bei“, urteilen Steinhaus und Kraft. Auch als Lieferant von Vorleistungen spielt er eine wichtige Rolle: Während 80 Prozent im Sektor selbst verwertet werden, finden 19 Prozent im Dienstleistungsbereich Verwendung. Gleichzeitig hat die Pandemie gezeigt, dass die Arbeit in der Industrie auch abhängig ist von einer funktionierenden Daseinsvorsorge.

Das Bruttowertschöpfungsvolumen der Industrie – also der Produktionswert abzüglich der Vorleistungen – hat zwischen 1991 und 2020 um 65 Prozent zugelegt. Bezogen auf die Gesamtwirtschaft ist der Anteil zwar von 37 auf 29 Prozent gesunken, hat sich aber seit geraumer Zeit stabilisiert: Seit 2005 bewegt er sich „in einem schmalen Korridor“ zwischen 31 und 29 Prozent.

Die Zahl der Beschäftigten in der Industrie ist seit der Wiedervereinigung um 24 Prozent oder 3,2 Millionen gesunken. Der gesamte Abbau hat dabei allerdings in der ersten Hälfte des Betrachtungszeitraums stattgefunden, das Tief wurde 2006 mit 9,2 Millionen erreicht, 2020 waren es wieder mehr als 10 Millionen. Der Anteil an sämtlichen Beschäftigten in Deutschland scheint „bei stabilen 25 Prozent“ zu liegen. Trotz des Rückgangs bei der Beschäftigung ist die Entgeltsumme seit 1991 um 54 Prozent gewachsen. Die Löhne sind überdurchschnittlich hoch: 2020 entfielen 30 Prozent der gesamtwirtschaftlichen Lohnsumme auf 24 Prozent der Arbeitnehmerschaft. Ein Grund unter mehreren: Die Produktivität in der Industrie hat in den vergangenen 30 Jahren um 112 Prozent zugelegt.

Zu den Staatseinnahmen hat die Industrie 2020 unter anderem in Form von Produktions- und Importabgaben in Höhe von 42 Milliarden Euro einen „wesentlichen Beitrag“ geleistet. Gesamtwirtschaftlich betrachtet ist der Anteil mit 43 Prozent höher als der Anteil am Produktionswert, der 39 Prozent beträgt. An Subventionen hat die Industrie 2020 mit 7 Milliarden Euro am wenigsten von allen drei Sektoren empfangen, ihr Anteil ist seit 1991 von 29 auf 18 Prozent gesunken. Bei den Nettoproduktionsabgaben – der Differenz aus Zahlungen und Subventionen – liegt sie mit 35 Milliarden Euro vor den Dienstleistungen mit 33 Milliarden.

Die Industrie dominiert den Export

Der Industriesektor war und ist laut der Analyse „für einen Großteil der Bruttoinvestitionen der deutschen Volkswirtschaft verantwortlich“ – 1991 für 87 Prozent, 2020 für 72 Prozent. Das Investitionsvolumen ist in dieser Zeit um 233 Milliarden Euro gestiegen, die privaten und staatlichen Konsumausgaben, die auf industrielle Güter entfallen, um 205 Milliarden Euro. Die Industrie dominiert zudem den deutschen Export: 2020 stand sie für 76 Prozent aller Exporte, 1991 waren es 85 Prozent. Ihr Außenbeitrag, also der Saldo aus Exporten und Importen, konnte seit 1991 bis auf wenige Krisenjahre kontinuierlich wachsen und steuerte durchweg einen Anteil von mehr als 60 Prozent des gesamtwirtschaftlichen Außenbeitrags bei.

International schneidet Deutschlands mit seiner Industrie gut ab: „Der Vergleich der zwölf führenden Volkswirtschaften verdeutlicht die industrielle Stärke der deutschen Wirtschaftsstruktur“, so Steinhaus und Kraft. Der Anteil an der gesamtwirtschaftlichen Bruttowertschöpfung ist hierzulande höher als in Frankreich, Großbritannien, Brasil­ien, den USA, Italien und Kanada. Noch höher war die Quote 2020 lediglich in Japan, Südkorea, Russland und China. Der Rückgang seit 1991 fällt zudem in Deutschland geringer aus als im Durchschnitt. Die Bundesrepublik nehme damit eine „Sandwichposition“ zwischen den Schwellenländern und den meisten Industrieländern ein und vermöge die Vorteile und Chancen einer ausgewogenen Wirtschaftsstruktur zu nutzen, heißt es in der Studie. Das sei „ein wesentlicher und nachhaltiger Wettbewerbsvorteil“. Angesichts der großen Bedeutung für die Wirtschaftsleistung und gute Einkommen sei es von höchster Wichtigkeit, die industrielle Beschäftigung in Deutschland zu erhalten. Das sei auch eine Aufgabe für die Politik.

Oliver Emons, Henrik Steinhaus, Stephan Kraft: Volkswirtschaftliche Bedeutung des industriellen Sektors in Deutschland, Mitbestimmungsreport Nr. 73, April 2022 

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