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HBS Böckler Impuls

Mitbestimmung: Gemeinsam aus der Krise gekommen

Ausgabe 17/2014

Kooperative Arbeitsbeziehungen erweisen sich gerade in der Wirtschaftskrise als nützlich. Unternehmen profitieren ebenso wie Beschäftigte.

 

Deutsche Arbeitnehmer und Arbeitgeber gehen traditionell vergleichsweise partnerschaftlich miteinander um: Nach Berechnungen des WSI haben nur fünf Staaten in den Jahren 2004 bis 2007 im Schnitt weniger Arbeitstage durch Streiks verloren als Deutschland. Als ein wichtiger Grund gelte das duale System der Interessenvertretung, schreibt Martin Behrens: Verteilungsfragen würden größtenteils von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden auf Branchenebene geklärt, in den Betrieben stehe das gemeinsame Problemlösen im Vordergrund. Der WSI-Forscher hat untersucht, wie sich ökonomische Schocks auf dieses Arrangement auswirken. Seiner Analyse zufolge hat sich die Sozialpartnerschaft in der Finanzkrise bewährt.

Behrens hat Ergebnisse der WSI-Betriebsrätebefragung zu mehr als 1.000 privaten Firmen ausgewertet. Arbeitnehmervertreter dieser Firmen waren zu zwei Zeitpunkten, nämlich in den Jahren 2007 und 2010, interviewt worden. Zwischen den Befragungszeitpunkten lag die schwerste Rezession der Nachkriegszeit, mit einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts um fünf Prozent im Jahr 2009. Eigentlich, so der Soziologe, wäre plausibel, dass eine solche Situation das Konfliktpotential erhöht: Jobs stünden auf dem Spiel, der Kampf um schrumpfende Ressourcen dürfte sich intensivieren. Zumindest die Zahl der formellen Auseinandersetzungen scheint aber nicht zugenommen zu haben: Im Herbst 2007 berichteten 11 Prozent der Betriebsräte, sie hätten in den vergangenen zwei Jahren mindestens einmal die Einigungsstelle angerufen. Im Frühjahr 2010 waren es 9,6 Prozent.

Als eine mögliche Erklärung käme dem Autor zufolge in Frage, dass Krisen einen entmutigenden Effekt haben. Träfe diese These zu, hätten Arbeitnehmervertreter davon abge­sehen, Konflikte über die Einigungsstelle auszutragen, weil sie befürchten mussten, dass in Zeiten zurückgehender Profite der neutrale Vorsitzende eher zugunsten des Managements entscheidet. Eine andere Interpretation: Die betrieblichen Akteure hätten enger zusammengearbeitet, um das Überleben ihrer Firma sicherzustellen und Arbeitsplätze zu erhalten. Nach dieser Lesart hätte es weniger Konflikte und damit weniger Schlichtungsbedarf gegeben.

Zusammenarbeit erleichtert die Verarbeitung ökonomischer Schocks.

Um zu überprüfen, welches dieser beiden Erklärungsmuster stichhaltiger ist, hat Behrens berücksichtigt, inwieweit sich die Krise auf die Unternehmen ausgewirkt hat. Den Befragungsdaten zufolge haben 52 Prozent der Betriebe unter der Rezession gelitten, 48 Prozent blieben verschont. Der Anteil der nicht von der Krise betroffenen Firmen, bei denen es zu Einigungsstellenverfahren gekommen war, sank von 13,5 Prozent im Jahr 2007 auf 10 Prozent im Jahr 2010. Bei den Betrieben mit Schwierigkeiten stieg der Anteil dagegen von 8,6 auf 9,2 Prozent. Das spreche gegen die Entmutigungs-Hypothese, urteilt der Wissenschaftler.

Tatsächlich deute alles darauf hin, dass es weniger Anlass für die Anrufung von Einigungsstellen gegeben hat. 2007 hätten 13,9 Prozent der Befragten berichtet, dass ihr Arbeitgeber oft Mitbestimmungsrechte missachtet habe, 2010 waren es nur noch 10,2 Prozent – laut Behrens ein Indiz für einen bemerkenswerten Rückgang der Konflikte zwischen Management und Betriebsräten. Mit 5,5 Prozentpunkten war der Rückgang bei denjenigen Firmen besonders stark ausgeprägt, denen die Krise keine Probleme bereitet hat.

Die Schlussfolgerung des WSI-Forschers: Offenbar seien Betriebe mit kooperativen Arbeitsbeziehungen besser in der Lage, mit ökonomischen Schocks zurechtzukommen, und gäben deshalb an, nicht von der Krise betroffen gewesen zu sein. Zusammenarbeit zahle sich in Krisenzeiten für Arbeitnehmer und Arbeitgeber aus. Umso bedenklicher, warnt Behrens, sei die Tendenz zur zunehmenden Dezentralisierung der Tarifpolitik, die zur Erosion des dualen Systems der Interessenvertretung und zur Verlagerung von Konflikten auf die betriebliche Ebene beitrage.

  • Im Vergleich zu der Zeit vor der Finanzkrise gibt es weniger Konflikte zwischen Management und Betriebsräten. Zur Grafik

 

Martin Behrens: Conflict Resolution in Germany, in: William K. Roche, Paul Teague, Alexander J. S. Colvin (Hrsg.): Oxford Handbook of Conflict Management in Organizations, Oxford University Press, 2014

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