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HBS Böckler Impuls

Wirtschaftspolitik: Das Geheimnis des britischen Erfolgs: Geld ausgeben in der Krise

Ausgabe 06/2006

Die britische Wirtschaft wächst, die Arbeitslosigkeit liegt weit unter der Deutschlands: Was machen unsere Nachbarn jenseits des Kanals also besser? Wissenschaftler der Unis Göttingen und Hamburg entzaubern den gängigen Mythos, Deregulierung und Flexibilisierung brächten Wachstum und Wohlstand. Entscheidend war vielmehr der richtige Mix aus Geld- und Finanzpolitik.

Gern verweist zum Beispiel die OECD auf den flexiblen britischen Arbeitsmarkt als geeigneten Weg zu höherer Beschäftigung. Jüngste empirische Untersuchungen verschiedener Länder relativieren dies: Zwischen der Deregulierung des Arbeitsmarktes und einem Abbau der Arbeitslosigkeit besteht kein statistischer Zusammenhang. Vor allem für gering Qualifizierte - auf die die OECD mit ihren Empfehlungen abzielt - gilt der Zusammenhang von Flexibilisierung und mehr Beschäftigung nicht. Im Vergleich zu Deutschland, wo angeblich auch wegen des Kündigungsschutzes hohe Beschäftigungshürden existieren, schneiden britische gering Qualifizierte bei weitem nicht besser und oft genug schlechter ab.

Die Autoren machen den wirtschaftlichen Erfolg der Briten an einem ganz anderen Indikator fest: der inländischen Nachfrage. So trug die Binnennachfrage in Großbritannien 2,4 Prozent 2004 und im vergangenen Jahr sogar 4,1 Prozent zum Wirtschaftswachstum bei. Dagegen war ihr Beitrag in Deutschland in beiden Jahren negativ - 2004 waren es minus 0,4, 2005 minus 0,8 Prozent. Das mag auf den ersten Blick überraschen, denn: "New Labour betreibt viel rhetorischen Aufwand, um sich vom (‘alten') Keynesianismus und makroökonomischer Nachfragepolitik zu distanzieren", schreiben die Wissenschaftler. Trotzdem haben die Blair-Regierungen seit der Machtübernahme von den Konservativen 1997 Regelungen geschaffen, die eine aktive Wachstums- und Beschäftigungspolitik ermöglichen. Mit dem "Bank of England Act" von 1998 machte Labour die britische Zentralbank zwar formal unabhängig vom britischen Schatzamt. Das zu erreichende Maß an Preisstabilität legt jedoch weiterhin der Schatzkanzler fest. Wie sie dieses Ziel verwirklicht, bleibt der Notenbank freigestellt; sie muss aber regelmäßig über ihre Geldpolitik berichten und gegebenenfalls Abweichungen erklären. Der Vorteil: Das Schatzamt definiert sowohl die geld- als auch die finanzpolitischen Ziele. So können weder Zielkonflikte noch Koordinationsprobleme entstehen.

Im Gegensatz zur starren Regel des Stabilitäts- und Wachstumspakts der Eurozone, wonach die Nettoneuverschuldung nicht mehr als drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausmachen darf, entschieden sich die Briten in der Finanzpolitik für eine flexiblere Lösung: die "Golden Rule".

Sie besagt, dass die Regierung nur für Investitionen Schulden aufnehmen darf, nicht jedoch für die laufenden Ausgaben. "Investive öffentliche Ausgaben können (und sollen) durch staatliche Defizite finanziert werden", schlussfolgern die Autoren. So reagierte die Blair-Regierung - im Gegensatz zu vielen Staaten Kontinentaleuropas - auf den weltweiten Konjunktureinbruch 2001 mit einer relativ expansiven Finanzpolitik. Die britische Wirtschaft erholte sich - bei steigender Staatsquote: Diese wuchs seit 1999 von 37,1 auf 41,2 Prozent.

Voraussetzung für den wirtschaftlichen Erfolg von New Labour war, "dass es der britischen Geld- und Finanzpolitik gelungen ist, einen makroökonomischen Mantel zu schneidern, der inflationsfreies Wachstum ermöglicht", lautet das Fazit der Forscher. Hierin könnte Großbritannien Vorbild für Deutschland sein.
Allerdings haben die Briten die längste Phase ausgeprägten Wirtschaftswachstums in der Geschichte ihres Landes kaum dazu genutzt, die soziale Gerechtigkeit zu verbessern. Zwar stiegen seit dem Amtsantritt von New Labour die Einkommen der unteren 40 Prozent der Haushalte relativ stärker an als die der wohlhabenden Haushalte. Der Abstand der reichsten 10 zu den ärmsten 10 Prozent hat sich jedoch weiter vergrößert. Großbritannien bleibt eines der ungleichsten Länder Europas.

  • Im Finanzmarktkapitalismus sind die gesellschaftlichen Ungleichheiten größer geworden. Zur Grafik
  • Die britische Wirtschaft wuchs zu Beginn des Jahrhunderts kräftiger als die deutsche. Zur Grafik
  • Die jeweilige Arbeitslosenquote hat sich in Deutschland und Großbritannien zuletzt ganz unterschiedlich entwickelt. Zur Grafik

Oliver Nachtwey, Arne Heise: Großbritannien: Vom kranken Mann Europas zum Wirtschaftswunderland?, in: WSI-Mitteilungen 3/2006.

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