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HBS Böckler Impuls

Mitbestimmung: Arbeitnehmer ausgeschlossen

Ausgabe 13/2015

Viele deutsche GmbHs haben keinen mitbestimmten Aufsichtsrat, obwohl sie dazu gesetzlich verpflichtet sind. Insgesamt häufen sich die Fälle, in denen Unternehmen die Mitbestimmung unterlaufen.

Hunderte, vor allem mittelständische, Unternehmen in Deutschland verstoßen gegen Gesetze zur Mitbestimmung und Regeln der Corporate Governance. Obwohl sie rechtlich dazu verpflichtet sind, haben sie keinen Aufsichtsrat, in dem auch Arbeitnehmer vertreten sind. Zu diesem Ergebnis kommt eine Untersuchung von Professor Walter Bayer und Thomas Hoffmann. Die Juristen der Universität Jena haben auf Basis einer breit angelegten Stichprobe ermittelt, dass mehr als die Hälfte der untersuchten GmbHs die Vorschrift zur Einrichtung eines mitbestimmten Aufsichtsrates ignoriert. Die gesetzliche Mitbestimmung werde so in deutschen GmbHs „in erheblichem Maße unterlaufen“, schreiben die Autoren.

Dabei ist die Rechtslage in diesem Fall klar: GmbHs, die mehr als 500 Menschen in Deutschland beschäftigen, müssen nach dem Drittelbeteiligungsgesetz einen Aufsichtsrat einrichten, in dem die Anteilseigner zwei Drittel und die Arbeitnehmer ein Drittel der Kontrolleure stellen. Bei mehr als 2.000 Mitarbeitern ist der Aufsichtsrat paritätisch zu besetzen. Davon ausgenommen sind nur sogenannte „Tendenzbetriebe“, dazu zählen beispielsweise Medienunternehmen, kirchliche Krankenhäuser oder Wohlfahrtsverbände.

Für ihre Untersuchung haben Bayer und Hoffmann über Unternehmensdatenbanken und den Bundesanzeiger repräsentativ Firmen ermittelt, die zwischen 750 und 1.250 Beschäftigte haben, als GmbH firmieren und einen Einzelabschluss veröffentlichen. Diese Größe wählten die Wissenschaftler, um sicherzugehen, dass die Unternehmen mindestens unter das Drittelbeteiligungsgesetz fallen – auch wenn man, wie im Gesetz vorgegeben, alle leitenden Angestellten und Beschäftigte im Ausland abzieht.

Mehr als die Hälfte verstößt gegen das Gesetz

Die Forscher identifizierten 672 Unternehmen. Von diesen galten 228 als Tendenzbetriebe. In den übrigen 444 Unternehmen hätte es demnach eigentlich Aufsichtsräte mit Arbeitnehmervertretern geben müssen. Doch tatsächlich wiesen lediglich 197 GmbHs ein mitbestimmtes Kontrollgremium auf. 247 Firmen oder 56 Prozent der Stichprobe verstießen gegen das Drittelbeteiligungsgesetz.

Das Ergebnis der GmbH-Studie reiht sich ein in Beobachtungen, die Experten der Hans-Böckler-Stiftung schon länger machen. Immer häufiger umgingen Unternehmen die Arbeitnehmerbeteiligung im Aufsichtsrat, konstatiert Sebastian Sick, Unternehmensrechtler der Stiftung. In einem neuen Report analysiert Sick verschiedene Lücken im Mitbestimmungssystem, die Firmen dazu ausnutzen.

Deutlich zugenommen hat etwa die Zahl der Unternehmen, die eine ausländische Rechtsform als Komplementär zur deutschen Form wählen und beispielsweise als Limited oder Plc & Co. KG firmieren. Dadurch fallen sie nach herrschender Rechtsmeinung nicht mehr unter das Mitbestimmungsgesetz. Das ist nach europäischem Recht auch Firmen möglich, die ihren Sitz und den Schwerpunkt ihrer Geschäfte in Deutschland haben. Mittlerweile nutzen 94 Unternehmen mit mehr als 500 Arbeitnehmern in Deutschland eine ausländische Rechtsform und vermeiden damit die Mitbestimmung, wie kürzlich eine Analyse der Stiftung auf Basis einer weiteren Auswertung aus Jena gezeigt hat. Darunter sind große Firmen wie Air Berlin PLC & Co. KG oder der Entsorger Alba Group plc & Co. KG. Dessen Vorstandsvorsitzender ist Eric Schweitzer, der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages.

Auch unter den Unternehmen, die Bayer und Hoffmann in ihrer neuen GmbH-Studie als Problemfälle ermittelt haben, sind bekannte Namen, beispielsweise die Media-Saturn Deutschland GmbH, die Alltours Flugreisen GmbH oder die Herbert Kannegießer GmbH, ein Hersteller von Wäschereimaschinen.

Dabei beobachteten die Experten erhebliche Unterschiede zwischen Branchen: Während in der Industrie knapp 37 Prozent der untersuchten GmbHs keinen mitbestimmten Aufsichtsrat besaßen, waren es in Handel und Dienstleistungen gut 67 Prozent. „Die wesentlich höhere Mitbestimmungslücke im Dienstleistungssektor könnte möglicherweise auch im dort geringeren Organisationsgrad der Arbeitnehmer und den vielen kleinteiligen, zersplitterten Beschäftigungsverhältnissen ihre Begründung finden“, meinen Bayer und Hoffmann. Besonders drastisch beschreiben sie die Situation in der Arbeitnehmerüberlassung: Keine der untersuchten mittelständischen Leiharbeitsfirmen hatte einen mitbestimmten Aufsichtsrat.

Betriebsräten in mittelgroßen Unternehmen falle es oft sehr schwer, gegen die Geschäftsführung die Einrichtung eines mitbestimmten Kontrollgremiums durchzusetzen, konstatieren die Rechtswissenschaftler. Das dazu notwendige gerichtliche Verfahren sei „mit hohen rechtlichen und tatsächlichen Hürden verbunden“. Und die seien umso schwieriger zu überwinden, weil bei der Drittelbeteiligung – anders als bei der paritätischen Mitbestimmung – Gewerkschaften keinen eigenen Rechtsanspruch auf Einrichtung eines Aufsichtsrates geltend machen können. „Diese gesetzliche Anordnung bedürfte einer rechtspolitischen Überprüfung“, so die Forscher.

Verstöße werden bisher nicht bestraft

Eine Strafe müssen säumige Unternehmen bislang nicht fürchten – das Drittelbeteiligungsgesetz sieht keine staatlichen Sanktionen bei Nichtbeachtung vor. Allerdings wiesen Wirtschaftsprüfer in ihren Prüfberichten des öfteren darauf hin, dass die betreffenden Unternehmen gesetzliche Vorgaben verletzen – „zu Recht“, betonen die Autoren. Dadurch könnten sich Haftungsrisiken für die Geschäftsführung ergeben, die ihre gesetzlichen Pflichten verletze. Und diese Risiken dürften durch das neue Gesetz zur Geschlechterquote noch wachsen. Denn danach sind Firmen, die entweder börsennotiert oder mitbestimmt sind, dazu verpflichtet, Zielgrößen für die geschlechtergerechte Besetzung von Führungsposten festzulegen. Unternehmen, die rechtswidrig auf einen mitbestimmten Aufsichtsrat verzichten, verstoßen also auch gegen das Quoten-Gesetz. Bayer und Hoffmann empfehlen Geschäftsführern schon im eigenen Interesse „eine grundlegende Überprüfung der Mitbestimmungsverhältnisse“.

Böckler-Mitbestimmungsexperte Sick konstatiert erheblichen gesetzlichen Reformbedarf. Immer deutlicher zeigten sich in der Gesetzgebung zur Mitbestimmung Lücken und Inkonsistenzen. Es könne in einem demokratischen Rechtsstaat nicht sein, „dass es offenbar zur Unternehmensstrategie einiger gehört, Arbeitnehmer von ihrem Mitbestimmungsrecht im Aufsichtsrat fernzuhalten. Es ist höchste Zeit, dass dem politisch entschieden entgegengearbeitet wird. Sonst ist der Vorteil der Mitbestimmung für die Wirtschaft in Deutschland verspielt“, warnt der Jurist. Neben wirksamen Sanktionen bei Verstößen gegen die Pflicht zur Aufsichtsratsbildung empfiehlt Sick, im Drittelbeteiligungsgesetz noch einige weitere Lücken zu schließen, beispielsweise bei der Konzernzurechnung. Der Trend zu „Scheinauslandsgesellschaften“ lasse sich am besten stoppen, wenn ein neues Gesetz die Mitbestimmung auch für in Deutschland ansässige Firmen mit ausländischen Rechtsformen verbindlich mache. Europarechtlich sei das durchaus möglich, betont der Jurist.

  • Zunehmend mehr Unternehmen firmieren in Deutschland mit einer ausländischen Rechtsform. So vermeiden sie Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat. Zur Grafik
  • Mehr als die Hälfte der in einer Studie untersuchten GmbHs hatten keinen mitbestimmten Aufsichtsrat - obwohl der gesetzlich vorgeschrieben ist. Zur Grafik
  • Besonders häufig unterlaufen mittelgroße Unternehmen aus Dienstleistungsbranchen die Mitbestimmungsrechte ihrer Beschäftigten. Zur Grafik

Walter Bayer, Thomas Hoffmann: Gesetzeswidrige Mitbestimmungslücken bei der GmbH, in: GmbH-Rundschau, Ausgabe 17/2015; Sebastian Sick: Mitbestimmungsfeindlicheres Klima (pdf). Report der Abteilung Mitbestimmungsförderung Nr. 13

Hinweis:

Neues Portal für Mitbestimmungspraktiker: Arbeitnehmervertreterinnen und -vertreter brauchen umfangreiches Orientierungs- und Handlungswissen – aktuell, prägnant und passgenau auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten. Das bietet das neue Mitbestimmungsportal der Hans-Böckler-Stiftung unter www.mitbestimmung.de

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