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Karola Fings Stipendien

Altstipendiatin: Die Historikerin

Ausgabe 04/2020

Karola Fings will über das Leid vergessener Opfer der NS-Zeit aufklären. Von Fabienne Melzer

Die Arbeit von Karola Fings hat in Köln Spuren hinterlassen. Zum Beispiel am Waidmarkt, wo bis 2006 das Polizeipräsidium stand, vor dem Deutzer Bahnhof oder im Kölner Stadtteil Bickendorf. Dort erinnern bronzene Schriftzeichen auf dem Gehweg an die Verfolgung der Kölner Sinti und Roma in der NS-Zeit. Die Daten für die Spur der Erinnerung des Künstlers Gunter Demnig lieferten Karola Fings und ein Kommilitone.

Vergessene Opfer – Zwangsarbeiter, Deserteure, Sinti und Roma – beschäftigten die Historikerin, schon bevor sie 2001 am NS-Dokumentationszentrum in Köln anfing, wo sie seit 2003 als stellvertretende Direktorin arbeitete. Geboren in Leverkusen, ging sie als Schülerin den NS-Verbrechen der IG Farben nach. „Unser Engagement kam in der Stadt damals nicht gut an“, erinnert sich Karola Fings. „Im Stadtrat saßen Chemiker von Bayer, und die Labore an den Schulen wurden von der Firma ausgestattet.“

Gegenwind spürte sie oft, aufgehalten hat sie das nie. Immer wieder lenkte sie den Blick der Öffentlichkeit auf die vergessenen Opfer. Auch mit ihrer Magisterarbeit, in der sie die Geschichte des größten NS-Lagers in der Messe in Köln untersuchte, einem Außenlager des KZ Buchenwald. Die Geschichte dieses Ortes mitten in der Stadt war lange Zeit vergessen. Sie engagierte sich in der Projektgruppe Messelager, die das Besuchsprogramm für ehemalige Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter initiierte.

Auch bei dieser Arbeit stieß sie immer wieder gegen Mauern. Etliche Unternehmen wollten die ehemaligen Sklavenarbeiter nicht ins Werk lassen. Also organisierte die Projektgruppe Treffen mit Betriebsräten. „Während der NS-Zeit wurden polnische und sowjetische Zwangsarbeiter wie ,Untermenschen‘ behandelt“, erzählt die Historikerin. „Sie hier zu begrüßen und ihre Geschichte zu würdigen war wichtig – für sie, aber auch für die Kölner Gesellschaft.“

Das Unrecht anzuerkennen hieß für Karola Fings auch, die Betroffenen finanziell zu entschädigen. Dafür engagierte sie sich Anfang der 1990er Jahre. „Unsere Projektgruppe Messelager war nicht ganz unbeteiligt daran, dass die ehemaligen Zwangsarbeiter am Ende mit zehn Milliarden Mark entschädigt wurden.“

Sie wollte weiter über den Nationalsozialismus forschen. Doch mit kleinem Kind konnte sie nur mithilfe eines Stipendiums promovieren. Sie bewarb sich bei der Hans-Böckler-Stiftung, die ihre Promotion förderte. Bis dahin hatte sie zu Gewerkschaften nur in Antirassismusgruppen Kontakt.

Über eine solche Gruppe, den Kölner Rom e. V., lernte Elizabeta Jonuz, Professorin für soziale Arbeit an der Hochschule Hannover, die Historikerin kennen. „Karola stand da mit ihrem Sohn auf dem Arm, wir haben uns vom ersten Augenblick verstanden, als Frauen und als Aktivistinnen.“

Elizabeta Jonuz schätzt ihre Freundin für ihre Warmherzigkeit, und weil sie die Perspektive wechseln kann: „Sie erkennt Rassismus auf den ersten Blick, obwohl sie als weiße deutsche Wissenschaftlerin privilegiert ist.“ Als die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen Anfang der 1990er Jahre ein „Reintegrationsprogramm“ für Roma in Nordmazedonien auflegte, flogen die beiden nach Skopje. Dort sollten Häuser für Roma gebaut werden, sie sollten Arbeit bekommen, ihre Kinder zur Schule gehen. Nichts hätten sie vorgefunden. „Der Politik war unsere Arbeit unangenehm“, sagt Jonuz.

Viel zu lange habe sich die Nachkriegsgesellschaft das Denken der NS-Zeit über die Opfer zu eigen gemacht, findet Karola Fings. Das habe sich geändert. „Deserteure sind als Opfer anerkannt. Zwangsarbeit gilt als Unrecht. Dahinter kann niemand mehr zurück.“ Ihr nächstes Projekt ist eine Enzyklopädie des Völkermords an den Sinti und Roma in Europa. Dafür wechselte sie im August an die Forschungsstelle Antiziganismus der Universität Heidelberg. „Es ist an der Zeit, die Dimension dieses Völkermords sichtbar zu machen.“

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