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Integrations-Fachmann Michael Hugo: Was soll das antisemitische Gegröle? Stipendien

Altstipendiat: Der Furchtlose

Ausgabe 11/2014

Michael Hugo engagiert sich in Rostock für die Integration von Ausländern und Spätaussiedlern. In seiner Freizeit erforscht er das abenteuerliche Leben seines Vaters. Von Susanne Kailitz

Es ist unmöglich, sich mit Michael Hugo auf einen schnellen Kaffee zu treffen. Denn ein Gespräch mit dem 52-Jährigen verwandelt sich innerhalb kurzer Zeit in ein Bad in Geschichten und Anekdoten, in ein Eintauchen in Gegenwart und Vergangenheit, bei dem nach und nach ganz wie von selbst alle Themen der Welt behandelt werden. Die DDR-Vergangenheit. Die mysteriöse Geschichte seines Vaters. Und Hugos Arbeit mit Zugewanderten, ihren unterschiedlichen Kulturen und Traditionen. „Es geht nicht darum, dass man einander lieben muss“, sagt er, „aber darum, respektvoll miteinander umzugehen.“ Hugo arbeitet als Projektleiter beim Integrationsfachdienst Migration, der sich um die berufliche und sprachliche Qualifizierung von Ausländern und Spätaussiedlern kümmert; zugleich ist er ehrenamtlicher Geschäftsführer des Vereins migra e.V., der im Jahr 2007 gegründet wurde und der im Auftrag des Landes Mecklenburg-Vorpommern diesen Fachdienst anbietet. 

Sein Büro hat er in einer etwas verlebten Gegend von Rostock im ersten Stock eines verwinkelten Mehrzweckbaus, mit Kindergarten eine Etage tiefer und Spielplatz vor dem Fenster. Rostock steht bis heute wie kaum eine zweite deutsche Stadt dafür, wie die Begegnung fremder Kulturen beinah in der Katastrophe endet. Unvergessen sind die Bilder aus dem Stadtteil Lichtenhagen, wo im Sommer 1992 ein ausländerfeindlicher Mob zusammenfand und ein Wohnheim vietnamesischer Asylbewerber in Brand steckte. Dieses Image ist die Stadt nie so ganz losgeworden, trotz aller Anstrengungen Hugos und seiner Mitstreiter. Die Auseinandersetzung mit Rechtsextremisten führt er furchtlos und mit Verve. Das mag auch daran liegen, dass der Sozialpädagoge aus eigener Erfahrung nur zu gut weiß, wie es ist, nicht wirklich dazuzugehören und ausgegrenzt zu werden. Denn seine Lebensgeschichte ist so bunt wie nur wenige – und mit ihm darüber zu sprechen ist ein Erlebnis.

Michael Hugo wurde in Chemnitz geboren, das damals noch Karl-Marx-Stadt hieß, als Sohn eines Vaters, der 1933 ins Exil nach Singapur gegangen war und 1960 in die DDR übersiedelte. Was sein Vater in all den dazwischenliegenden Jahren getan hat, versucht Hugo seit geraumer Zeit zu ergründen. Allein das, was er schon weiß, ist Stoff für einen Abenteuerroman. Das Scheckbuch einer Bank aus Hongkong gehört zum Nachlass des Vaters sowie „sieben Lebensläufe, die er alle selbst geschrieben hat“. Und ein umfangreicher Schriftverkehr, der darauf hindeutet, dass sein Vater in Kontakt mit mehreren westlichen Geheimdiensten stand. Michael Hugo stürzt sich mit großer Lust in dieses Familiengeheimnis, wenn er darüber sinniert, wer dieser Ernst Karl Oskar Hugo gewesen sein mag.

Ein angepasster Mensch kann er nicht gewesen sein. Seine Eltern hätten ihre Hochzeitsreise in der Schweiz verbracht, als die Mauer gebaut wurde, erzählt Hugo, und die Abschottung der DDR erst für Satire gehalten. Als klar wurde, dass dem nicht so ist, sei sein Vater mit größter Selbstverständlichkeit in den sozialistischen deutschen Staat zurückgekehrt, in dem er als freiberuflicher Übersetzer gearbeitet habe. Und das, obwohl er „nicht nur strikter Antifaschist, sondern auch strikter Antikommunist war“. Immer wieder wurde sein Vater verhaftet, überwacht sowieso. Auch er, der Sohn, kannte keine Angst und rieb sich immer wieder an dem System. Am letzten Tag seiner Ausbildung zum Koch kündigte er und bekam als Wehrdiensttotalverweigerer ein Berufsverbot. In der DDR schlug Hugo sich danach als Küster und Koch bei der Caritas durch, engagierte sich während der friedlichen Revolution im Neuen Forum und in Kirchenkreisen. 

Die Wende brachte Michael Hugo dann die Befreiung – und die Anerkennung, die man ihm in der DDR versagt hatte: Aus dem Koch mit Berufsverbot wurde 1990 der Weimarer Ausländerbeauftragte und zwei Jahre später der Landessprecher der Thüringer Ausländerbeauftragten. Lange nach der Wende holte er auch nach, was ihm in der DDR verwehrt gewesen war: ein Studium der Sozialpädagogik – als Stipendiat der Hans-Böckler-Stiftung. In den 90er Jahren ging Hugo nach Brandenburg, entwickelte Antidiskriminierungskonzepte und Projekte zur beruflichen Integration von Zugewanderten. Noch heute kann er plastisch davon erzählen, wie schwer es Anfang der 90er Jahre war, multikulturelle Fußballturniere in Weimar abzuhalten, weil die Angst vor den ansässigen Neonazis in Polizei und Stadtverwaltung so groß gewesen sei. „Es gab eine Übergangszeit, da hatte die Polizei kein Konzept, um Menschen zu schützen.“ 

Hugo hatte keine Angst, verhandelte kurzerhand selbst mit dem Rechtsextremisten Thomas Dienel – und stellte dabei fest, „dass es letztlich nicht darum geht, Ressentiments oder Befindlichkeiten zu negieren, sondern sich zu zügeln“. Er sucht das Gespräch – bis heute. Als er neulich im Fußballstadion war und hörte, wie Erfurt-Anhänger antisemitische Sprüche grölten, ging der große Mann mit den breiten Schultern hin und fragte ganz freundlich, was das solle. Er habe dann länger mit einem Jurastudenten über dessen Ansichten über den Gaza-Konflikt gesprochen, erzählt Hugo lächelnd. Aber das ist schon wieder eine ganz andere Geschichte.

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