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Magazin Mitbestimmung

Zur Sache: Kunden und Kollegen als Täter

Ausgabe 03/2014

"Von Gewalt am Arbeitsplatz sind am häufigsten Personen betroffen, die im Gesundheitssektor arbeiten, gefolgt vom Transportgewerbe und vom öffentlichen Dienst", sagt Birgit Kraemer, wissenschaftliche Mitarbeiterin am WSI in der Hans-Böckler-Stiftung.

Zum Ausmaß physischer und psychischer Gewalt am Arbeitsplatz liegt nur wenig Datenmaterial vor. Einen ersten Eindruck vermittelt die aktuelle Arbeitnehmerbefragung der EU-Stiftung Eurofound in Dublin, der „European Working Conditions Survey“ (EWCS). Rund 44 000 Arbeitnehmer aus 34 Staaten füllten den Fragebogen der Stiftung aus, der auch Erfahrungen mit aggressivem Verhalten erfasst. Elf Prozent der Teilnehmer gaben an, im Monat vor der Befragung während der Arbeit mit verbalen Beleidigungen konfrontiert gewesen zu sein. Fünf Prozent berichten von Drohungen oder erniedrigendem Verhalten, zwei Prozent von sexuellen Belästigungen. Dehnt man den Fragezeitraum auf ein Jahr aus, berichten zwei Prozent aller Befragten von körperlicher Gewalt. Die Zahlen, der des EWCS für Deutschland ausweist, liegen etwas über dem EU-Durschnitt, doch kann dies auch durch eine kulturell erhöhte Sensibilität im Vergleich zu anderen Ländern erklärt werden. 

Zwar gibt es Indizien, die auf eine Zunahme physischer und psychischer Gewalt am Arbeitsplatz hindeuten. So hat die Betriebsrätebefragung des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institutes (WSI) in der Hans-Böckler-Stiftung ergeben, dass sich im Jahr 2011 54 Prozent der Befragten konkret mit Mobbingfällen befasst hatten; im Jahr 2005 waren es erst 31 Prozent. Doch sollte man mit Trendaussagen vorsichtig sein. Denn es gibt in Deutschland kaum größer angelegte Untersuchungen. Die Daten der letzten branchenübergreifenden Arbeitnehmerbefragung, die sich mit Mobbing beschäftigt hat, stammen aus dem Jahr 2000. Will man das Ausmaß körperlicher Gewalt untersuchen, ist man auf die Kriminalstatistik des Bundeskriminalamtes und auf Arbeitsunfalldaten der Unfallkasse Bund sowie der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) angewiesen. Dagegen wissen wir recht gut, welche Beschäftigtengruppen besonders durch Gewalt gefährdet sind. 

Am stärksten betroffen sind laut EWCS Personen, die im Gesundheitssektor arbeiten, gefolgt vom Transportgewerbe und vom öffentlichen Dienst. Dieser Befund deckt sich weitgehend mit dem Datenbestand der deutschen Berufsgenossenschaften. An der Spitze der Statistik finden sich auch hier Pflegekräfte und Krankenschwestern, die durch knappe Personalkapazitäten und niedrige Löhne unter Druck stehen. Nach dem jüngsten Stressreport der Bundesanstalt für Arbeitsmedizin und Arbeitsschutz stieg der Stresspegel bei Pflegekräften stärker an als in allen anderen Berufen. Durch Kollegen oder Patienten verursachte Arbeitsunfälle erreichen mittlerweile besorgniserregende Höhen. Psychosoziale Belastungen drücken sich ebenso in Konflikten zwischen Beschäftigten und im Verhalten gegenüber Patienten aus. Die Forschung verweist zusätzlich auf die steigende Gefährdung des Personals durch die Zunahme von Demenzerkrankungen unter den Patienten.

An zweiter Stelle bei der Gefährdung stehen Beschäftigte, die mit Massenkundenverkehr zu tun haben. Sie tragen oft zahlreiche Konflikte mit unzufriedenen und frustrierten Kunden aus – etwa im Personenverkehr, aber auch im privaten Kuriergewerbe sowie im Hotel- und Gaststättensektor, wo oft unter hohem Zeitdruck gearbeitet wird. Dies gilt auch für Teile des öffentlichen Dienstes. Eine gemeinsame Untersuchung der Unfallkasse Bund und der DGUV zu Gewalterfahrungen von Beschäftigten mit Kundenkontakt in Jobcentern ergab, dass die Gewaltausbrüche nicht nur auf das Verhalten frustrierter Klienten zurückzuführen sind, sondern auch durch Überlastung, arbeitsorganisatorische Mängel sowie durch strukturelle und rechtliche Bedingungen und damit einhergehende Rollenkonflikte der Mitarbeiter. Die Stiftung Eurofound sieht Beschäftigte in den Logistikbranchen und im öffentlichen Dienst fast genauso stark gefährdet wie Beschäftigte im Gesundheitssektor. 

Die dritte Gruppe, die als besonders gefährdet gelten muss, sind Beschäftigte, die Alleinarbeit leisten, oft zu nächtlichen Stunden – sei es im Einzelhandel, im Sicherheitsgewerbe oder im Logistik- und Transportsektor. Taxifahrer sind dafür ein Beispiel. Während die Arbeit in Banken (durch Videoüberwachung und hohe Aufklärungsquoten) in den vergangenen Jahren sicherer geworden ist, zeigt die Kriminalstatistik des Bundeskriminalamtes seit etwa 2008 einen deutlichen Anstieg der Zahl der Überfälle auf vermeintlich leichte Opfer in Geschäften, Spielhallen und Tankstellen. Die vorliegenden Daten zeigen, dass erhöhte psychosoziale Belastungen zu erhöhter Agressivität führen können. Es lohnt sich daher stets, auf die arbeitsbedingten und strukturellen Voraussetzungen von Gewalt am Arbeitsplatz Einfluss zu nehmen.

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