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HBS Böckler Impuls

Leiharbeit: Stammbelegschaft unter Druck

Ausgabe 05/2009

Längst dient Leiharbeit nicht mehr nur dazu, personelle Engpässe zu überwinden. Sie wird in vielen Betrieben systematisch eingesetzt, um die Rendite zu stabilisieren - und die Stammbelegschaft unter Druck zu setzen.

Zunächst nutzen Betriebe Leiharbeit, um kurzfristige Personalausfälle auszugleichen. Dann kam Leiharbeit als "Flexibilitätspuffer" hinzu. Damit begegnen Betriebe Schwankungen im Auftragsvolumen. Die dritte und historisch jüngste Form ist die "strategische Nutzung der Leiharbeit", so eine Analyse des Industriesoziologen Hajo Holst von der Universität Jena. Dabei geht es dem Wissenschaftler zufolge darum, das unternehmerische Risiko zu minimieren, indem die nicht ohne weiteres kündbare Stammbelegschaft möglichst klein gehalten wird. Holst spricht von einer "Personalpolitik der ­unteren Linie". Leiharbeiter werden nicht nur für Hilfstätigkeiten eingesetzt, sondern verrichten die gleiche Arbeit wie Angehörige der Stammbelegschaft. Ausgeliehene und fest angestellte Beschäftigte stehen so in einem direkten Konkurrenzverhältnis.

Der Forscher stützt sich auf rund 80 Interviews mit Personalverantwortlichen, Angehörigen der Stammbelegschaften, Leiharbeitnehmern und Betriebsräten in zwölf Betrieben. Die meisten davon gehören zur Metall- und Elektroindustrie, einer Branche, die besonders viele Leiharbeiter beschäftigt. Die Erhebung liefert ein recht präzises Bild der neuen Form von Leiharbeit:

Leiharbeit als strategisches Instrument, um Marktrisiken auf Arbeitnehmer abwälzen. Betriebe, die Leiharbeit strategisch einsetzen, reagieren damit nicht nur auf Auftragsspitzen. Sie wollen grundsätzlich so wenig feste Verpflichtungen eingehen wie möglich, um die Produktion schnell und kostengünstig verringern zu können, sobald Absatzschwierigkeiten auftreten. Leiharbeit stelle ein "Sicherheitsnetz gegen das Kapazitätsrisiko" dar, schreibt Holst. Für den Entleihbetrieb hebele der Leiharbeitseinsatz faktisch den gesetzlichen Kündigungsschutz aus. Entlassungskosten würden vermieden. Es müssten weder Sozialpläne aufgestellt noch Abfindungen gezahlt werden. Die Auswirkungen zukünftiger, schwer vorhersehbarer Marktentwicklungen auf Profitabilität und Kapitalrendite seien für die Betriebe so besser kontrollierbar.

Leiharbeiter: "Übernahme wäre ein Fünfer im Lotto". Beim strategischen Einsatz von Leiharbeit sind auf den ersten Blick keine Unterschiede zwischen Leiharbeitern und fest Angestellten mehr zu erkennen. Sie arbeiten an den selben Maschinen und besuchen dieselben Fortbildungsseminare. In einigen Betrieben bekommen Leiharbeiter die gleichen Zulagen und Prämien wie die Stammbelegschaft. Von einer Spaltung in Kern- und Randbelegschaft könne keine Rede sein, stellt Holst fest. Trotzdem fühlen sich viele als "Arbeiter zweiter Klasse". Denn wenn einer nicht die erwartete Leistung bringe, "dann wird er abbestellt, dann ist er weg, da wird nicht lange gefackelt", wie es einer der Befragten formuliert. Und die Chance, fest angestellt zu werden, ist gering. Das wäre wie ein "Fünfer im Lotto", sagt ein Leiharbeiter. Der Soziologe Holst notiert: Der Konkurrenzkampf um die knappen Übernahmechancen mache die Leiharbeiter zu angepassten Einzelkämpfern. Sie versuchten permanent, ihre Vorgesetzten von ihrer Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft zu überzeugen.

Stammbelegschaft: jederzeit ersetzbar. Die Leiharbeitnehmer machen sich nicht nur gegenseitig Konkurrenz. Da sie die gleichen Arbeiten erledigen und oft über eine gleichwertige Qualifikation verfügen, führen sie der Stammbelegschaft ständig ihre Ersetzbarkeit vor Augen. Der Leiharbeitseinsatz trägt zu einer "Entwertung des betrieblichen Erfahrungswissens der langjährigen Stammkräfte" bei, schreibt Holst. In Unternehmen, die Leiharbeit strategisch nutzen, gebe es nun einen "statusunabhängigen" Wettbewerb um knappe Qualifizierungs- und Aufstiegschancen. Leiharbeitnehmer, die Holst zufolge stets mit einem Bein in der Erwerbslosigkeit stehen, fungieren quasi als Ventil, durch das der Konkurrenzdruck des Arbeitsmarktes in die Unternehmen geleitet wird.

  • Traditionell diente Leiharbeit dazu, kurzfristige Personalengpässe zu beheben. In einigen Betrieben sind Leiharbeiter heute dauerhafter Bestandteil der Personalplanung. Zur Grafik

Hajo Holst: Disziplinierung durch Leiharbeit? Neue Nutzungs­strategien von Leiharbeit und ihre arbeitspolitischen Folgen, in: WSI-Mitteilungen 3/2009
Ergebnisse aus einer noch nicht abgeschlossenen Studie, finanziert von der Otto-Brenner-Stiftung

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