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HBS Böckler Impuls

Ältere Arbeitnehmer: Gesundheit fördern statt Einkommen kürzen

Ausgabe 20/2005

Arbeitnehmer sollen künftig später in Rente gehen. Doch die meisten wollen oder können gar nicht: Drei Viertel der Beschäftigten haben den Wunsch, schon früher als mit 65 Jahren in den Ruhestand zu treten. Hinzu kommt: In vielen Unternehmen ist "Altern im Betrieb überhaupt kein Thema" - die Firmen unternehmen zu wenig, um ihre Mitarbeiter zu binden.

Geld, Gesundheit, Spaß an der Arbeit, die Perspektive danach - das sind die Hauptthemen, um die sich Beschäftigte Gedanken machen, wenn sie älter werden und vor der Frage stehen: Bis wann will ich eigentlich arbeiten? Für die meisten, so ergibt sich aus einer Untersuchung in nordrhein-westfälischen Betrieben, fällt die Antwort eindeutig aus. Gut drei Viertel sagen: Lieber vor 65 aufhören als später, auch wenn sie noch nicht genau wissen, wann sie tatsächlich ausscheiden werden. Hauptgrund: positive Erwartungen und konkrete Pläne für die Zeit nach dem Arbeitsleben. Eine nicht mehr erträgliche Situation im Beruf ist seltener ausschlaggebend. Nur 4 Prozent der Befragten sagen: Wir wollen über die 65 hinaus arbeiten.

Mit 900 ausgewerteten Fragebögen ist die Studie zwar nicht repräsentativ, aber aussagekräftig, denn nach Branche und Größe bilden die Betriebe einen Querschnitt. Bei den Beschäftigten, die bereits wissen oder konkret planen, wann sie gehen wollen, ist die Tendenz eindeutig: Fast 85 Prozent wollen mit dem Blockmodell der Altersteilzeit aussteigen - faktisch also auch ein Ausstieg vor dem 65. Lebensjahr. Folgende Faktoren spielen für die Beschäftigten eine Rolle:

Gesundheit und Belastung. Dies steht an erster Stelle. Wer gesund ist, hält es länger im Job aus. Von denen, die sich gut fühlen, wollen 35 Prozent bis zum 65. Lebensjahr oder noch länger weitermachen. Eine angeschlagene Gesundheit ist hingegen ein wichtiger Grund, früher aufzuhören: 92 Prozent derjenigen, denen es nach eigener Einschätzung schlecht geht, wollen früher als mit 65 in Rente gehen. Besonders belastend sind Nachtschichten, wie sie vor allem in der Industrie vorkommen. Allgemeine Schichtarbeit - etwa im Verkauf - wird hingegen nicht als so belastend empfunden. Dafür wirken sich jedoch Stress, Terminhetze und schlechtes Betriebsklima aus: Ausnahmslos alle Beschäftigten, die sich "praktisch immer" überfordert fühlen, wollen früher in Rente.

Einkommen und Qualifikation. Vor allem Akademiker sowie Un- und Angelernte geben an, später als mit 65 in Rente zu gehen. Ihre Motive sind jedoch völlig unterschiedlich: Die einen bleiben, weil sie nach der Uni noch nicht so lange gearbeitet haben und noch Freude am Job haben. Die anderen müssen weitermachen, weil die Rente für den Lebensunterhalt nicht reicht. Die Forscher sehen darin die "Gefahr einer - ökonomischen und in der Folge gesellschaftlichen - Segmentierung" der Arbeitnehmer. Ein höheres gesetzliches Renteneintrittsalter könne zudem zu einer "deutlichen Zunahme der Altersarmut" führen.

Berufliche Perspektiven. Wer sich weiterbildet, will öfters noch über das 65. Lebensjahr hinaus arbeiten. Und umgekehrt: Wer länger im Beruf bleiben will, bildet sich häufiger weiter. Damit verbunden ist die Zuversicht, im Beruf noch etwas zu erreichen: Wer glaubt, mit künftigen Anforderungen mithalten zu können, ist eher geneigt, länger zu bleiben.
Die Betriebe haben also die Chance, ältere Mitarbeiter durch eine überlegte Personalpolitik an sich zu binden. Doch obwohl die Bevölkerungsentwicklung spätestens 2010 dazu führen wird, dass den Betrieben (vor allem qualifiziertes) Personal ausgeht, geschieht in den Unternehmen sehr wenig. Die Forscher haben unter den Betrieben drei Verhaltenstypen ausgemacht:  

  • Die Arglosen. Ihr Personal ist überwiegend zwischen 35 und 40. Die Älteren fallen nicht durch einen höheren Krankenstand auf, im Gegenteil: "Früher gab es nach der Love-Parade eine Woche lang erhöhte Fehlzeiten bei den Jüngeren." Das habe sich mit dem Älterwerden der Belegschaft gelegt, gab ein Befragter zu Protokoll. Zu welchen Problemen das Altern ihrer Belegschaft künftig jedoch führen kann, nehmen die Manager noch nicht wahr.
  • Die Ausweglosen. Vor allem in der Metallindustrie und im Verkehrs- und Transportwesen sind körperlich schwere Tätigkeiten und Schichtarbeit verbreitet. Beschäftigte ab 50 unterliegen dort einem erhöhten Risiko, berufs- oder arbeitsunfähig zu werden. Zugleich sind "Schonarbeitsplätze" - an der Pforte, in Werkzeugausgabe oder Wäschereien - "mit der Zeit weggefallen oder wurden outgesourct". Lkw- und Busfahrern fehlte in den untersuchten Firmen meist die Qualifikation für den Wechsel in die Werkstatt, wenn sie nicht mehr im Schichtbetrieb fahren konnten. Für all diese Beschäftigten bleibe nur der "Fluchtpunkt Altersteilzeit". Dieses Instrument soll aber in den kommenden Jahren abgeschafft werden. Auf die Frage, was danach komme, werde von Geschäftsleitungen "durchweg mit plan- und ratlosem Schulterzucken geantwortet".
  • Die Problemlosen. Vor allem in Handwerk und (Finanz-) Dienstleistungen kommt kaum Schichtarbeit vor. Viele größere Betriebe beugen dem vorzeitigen Verschleiß ihrer Beschäftigten vor und machen Angebote - von der ergonomischen Büroausstattung bis zum Betriebssport. Problem allenfalls: Zu wenige Arbeitnehmer machen Gebrauch davon.

Zeit zu handeln, meinen die Forscher. Sie fordern, die Beschäftigungsfähigkeit Älterer zu erhöhen und sie stärker für eine längere Berufstätigkeit zu motivieren. Ihre Vorschläge fallen mit entgegengesetzten Forderungen des baden-württembergischen Ministerpräsidenten zusammen: Mit Lohnverzicht sollen ältere Arbeitnehmer ihre Arbeitsplätze sichern, so Günther Oettinger. Ab 40 hätten sie ihr Leistungshoch überwunden.

Die Unterstützung dürfe nicht erst kurz vor der Rente einsetzen, sondern solle das gesamte Arbeitsleben begleiten, sagen die Studienautoren. In den Betrieben müsse mehr getan werden, um die Gesundheit zu fördern und zu erhalten. Gezielte Qualifizierung und Personalentwicklung sollten längerfristige Perspektiven bieten. "Job Rotation" und schrittweises "Job Enrichment", also das Übertragen von mehr Verantwortung und neuen Aufgaben, könne bei Älteren wieder für mehr Freude an der Arbeit sorgen.

Mögliche Rolle der Betriebsräte dabei: Sie können solche Initiativen von den Arbeitgebern einfordern, sie unterstützen und die Beschäftigten zum Mitmachen motivieren. Tarifpartner, Bildungseinrichtungen und Kammern sollten sich stärker als bisher dem Thema "Älter werden im Beruf widmen". Hilfreich - so die Forscher - wäre eine öffentliche Werbekampagne mit Vorbildern, die auch im Alter mit Freude und Engagement arbeiten. Es sollten aber normale Arbeitnehmer sein und nicht "eher außergewöhnliche Berufe wie Konzernlenker, Künstler, Papst oder Parteivorsitzende".

Von Rothkirch und Partner, WSI in der Hans-Böckler-Stiftung, Zentrum für Innovation und Technik GmbH (ZENIT): "Einstellungen älterer Arbeitnehmer zum Renteneintritt - Eine empirische Untersuchung in nordrhein-westfälischen Betrieben", August 2005.

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