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HBS Böckler Impuls

Gesellschaft: Wer dauerhaft prekär lebt

Ausgabe 14/2018

Wie groß ist das Prekariat? Eine Studie zeigt: In der Erwerbsbevölkerung lebt ein Achtel dauerhaft in prekären Umständen.

Der Begriff Prekariat war jahrelang in aller Munde. Dennoch existiert bis heute keine allgemeinverbindliche Definition. Klar ist immerhin: Gemeint ist eine Gruppe, die zwischen der sozial abgesicherten Mehrheit der Erwerbstätigen und den beinahe gänzlich aus dem Erwerbsleben Ausgeschlossenen, etwa Langzeitarbeitslosen, steht. Sie strampelt sich in wechselnden, schlecht bezahlten Jobs ab, ohne auf einen grünen Zweig zu kommen. Aber lebt jeder befristet Beschäftigte, Leiharbeiter, Minijobber oder mit geringem Einkommen Selbstständige automatisch in prekären Umständen? Nein, sagt ein Forschungsteam um Jutta Allmendinger vom Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) und Markus Promberger von der Universität Erlangen-Nürnberg in einer von der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Studie. Wenn jemand beispielsweise vorübergehend prekär beschäftigt ist, jedoch in einem relativ wohlhabenden Haushalt lebt, könne man zwar von einer prekären Erwerbssituation, jedoch nicht von prekären Lebensumständen sprechen. Dazu müssen verschiedene Faktoren für einen längeren Zeitraum zusammentreffen.

Die Forscher haben eine Reihe sozialer Indikatoren zusammengestellt, die als Indizien für ein prekäres Leben dienen können. Diese beziehen sich zum einen auf das Erwerbsleben, darin enthalten sind etwa Niedriglohn, ein unsicherer Job oder fehlender Kündigungsschutz. Zum anderen geht es um den Haushaltskontext: Armut, beengte Wohnverhältnisse oder auch Überschuldung. Von einer „prekären Beschäftigungsepisode“ sprechen die Wissenschaftler, wenn wenigstens zwei der auf den Arbeitsmarkt bezogenen Negativkriterien erfüllt sind. Nach dem gleichen Muster bestimmen sie „prekäre Haushaltsepisoden“. Dies sei ein „konservatives Messverfahren, das erst bei einem deutlicheren Problemumfang“ anschlage.

Anhand repräsentativer Befragungsdaten aus dem Sozio-oekonomischen Panel haben die Forscher berechnet, wie groß die Gruppe ist, die längerfristig sowohl von prekärer Beschäftigung als auch von einer prekären Haushaltslage betroffen ist. Der Kalkulation liegen die Angaben von fast 10 000 Personen zugrunde, die in einem Beobachtungszeitraum von zehn Jahren mindestens einmal erwerbstätig waren. Der Untersuchungszeitraum reicht von 1993 bis 2012 und wird in zwei Perioden unterteilt. Ergebnis: 12,3 Prozent der Erwerbsbevölkerung waren in einem Zehnjahreszeitraum überwiegend prekär beschäftigt und mussten sich anhaltend mit einer ebensolchen Haushaltslage arrangieren. 

Mit 6,7 Prozent bilden Frauen im Haupterwerbsalter, die meistens Kinder und mal keinen, mal einen schlechten Job haben, die größte Teilgruppe. Die zweitgrößte Gruppe besteht aus „Vätern in anhaltend prekärer Lage“, denen es selbst bei dauerhafter Erwerbstätigkeit nicht gelingt, „gemeinsam mit der Partnerin die Familie sicher zu versorgen“. Das sind 4,3 Prozent der Erwerbstätigen. Weitere 1,3 Prozent entfallen auf junge Männer ohne abgeschlossene Berufsausbildung. Allen drei Gruppen gelingt im Beobachtungszeitraum unter den jeweiligen sozialen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen keine nennenswerte Verbesserung ihrer prekären Lebens- und Erwerbsumstände. Man könne diese soziale Gruppe „mit einigem Recht als Prekariat bezeichnen“, so die Wissenschaftler.

Die Politik sei gut beraten, resümieren die Forscher, sich mit dem Phänomen des Prekariats intensiver auseinanderzusetzen, das in der zahlenmäßigen Größenordnung dem Problem des Hartz-IV-Bezugs ähnelt, sich jedoch substanziell hiervon unterscheidet, vor allem im Hinblick auf die ausgeprägte Erwerbsnähe und Erwerbsbeteiligung. Der Mindestlohn sei für diese Gruppe eminent wichtig, könne aber das Problem nicht alleine lösen. Nachzudenken sei auch über eine „solidarische Lohn- und Steuerpolitik mit Umverteilungskomponenten in Richtung von Geringverdienern“ und ihren Haushalten. Außerdem gebe es Potential für arbeitsrechtliche Reformen: Einschränkung von Befristungen, Regeln für Leiharbeit und Werkverträge, leichterer Zugang zum Arbeitslosengeld für Menschen mit regelmäßigen Erwerbsunterbrechungen.

  • Relativ sicher vor einem prekären Leben sind nur knapp zwei Drittel. Zur Grafik

Markus Promberger u. a.: Existiert ein verfestigtes „Prekariat“? (pdf) Working Paper der Forschungsförderung der Hans-Böckler-Stiftung Nr. 85, September 2018

Stefan Stuth u. a.: Prekarität in Deutschland?! (pdf) WZB Discussion Paper 2018-004, Juli 2018

Jutta Allmendinger u. a.: Prekäre Beschäftigung und unsichere Haushaltslagen im Lebensverlauf: Gibt es in Deutschland ein verfestigtes Prekariat? (pdf), WSI-Mitteilungen 71, August 2018

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