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HBS Böckler Impuls

Verteilung: Wenn es zum Sparen nicht reicht

Ausgabe 18/2017

Jeder dritte Haushalt hat so wenig Vermögen, dass er sich ohne laufendes Einkommen nur kurzfristig über Wasser halten könnte. Andere haben Rücklagen für Jahre oder Jahrzehnte.

Wie lange könnten Haushalte in Deutschland von ihrem Vermögen leben, wenn sie komplett ohne Einkommen auskommen müssten? Das hat WSI-Forscherin Anita Tiefensee untersucht. Ihr Ergebnis: Während rund ein Drittel maximal Rücklagen für einige Wochen oder wenige Monate hat, würden Haushalte am oberen Ende der Skala mindestens zwei Jahrzehnte durchhalten.

Tiefensee hat für ihre Studie Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) ausgewertet. Ihre Berechnungen zeigen, was passieren würde, wenn Haushalte vollständig auf Einkommen aus Erwerbstätigkeit, Renten oder Sozialtransfers verzichten müssten und stattdessen ihr Vermögen aufzehren würden, ohne ihre Konsumausgaben zu reduzieren.

Im Mittel wäre das Vermögen nach einem Jahr und elf Monaten aufgebraucht. Dabei gibt es große Unterschiede: 30 Prozent der Haushalte könnten trotz in der Regel vergleichsweise geringer Konsumausgaben maximal wenige Wochen oder Monate überbrücken, weil sie kein nennenswertes Vermögen besitzen oder unter dem Strich sogar verschuldet sind. Ein weiteres Fünftel wäre höchstens zwei Jahre in der Lage, sich über Wasser zu halten. Weitere 30 Prozent könnten bis zu acht Jahre ihr Konsumniveau halten – das im Übrigen höher ist als bei allen anderen Gruppen. Bei zehn Prozent reicht das Vermögen dafür, den – in der Regel ebenfalls aufwendigen – Lebensstil mindestens 13 Jahre aufrechtzuerhalten, fünf Prozent gelingt das sogar mehr als 21 Jahre lang.

Im Großen und Ganzen könnten die reichsten Haushalte trotz hoher Ausgaben mit Abstand am längsten durchhalten, so Tiefensee. Dabei gebe es aber durchaus Ausnahmen: Einerseits wäre das Vermögen mancher wohlhabenden Haushalte angesichts enormer Ausgaben rasch perdu. Andererseits seien einige Mittelklasse-Haushalte so sparsam, dass sie lange Zeit mit ihrer vergleichsweise bescheidenen Habe über die Runden kommen würden.

Die Analyse offenbart deutliche Unterschiede zwischen alten und neuen Bundesländern. Im Mittel können ostdeutsche Haushalte mit nicht einmal einem Jahr lediglich halb so lange Zeiträume durch Vermögensverzehr überbrücken wie die westdeutschen. 40 Prozent im Osten könnten höchstens Wochen oder wenige Monate von ihren Ersparnissen leben, im Westen sind es 30 Prozent.

Weil sie mehr Zeit für den Vermögensaufbau hatten, kommen Ältere im Schnitt länger ohne Einkommen aus: Der Mittelwert steigt von knapp zwei auf knapp vier Jahre, wenn der Haushaltsvorstand älter als 65 ist. „Allerdings gibt es auch unter den Älteren mehr als 20 Prozent, die höchstens wenige Wochen von ihrem Vermögen leben könnten“, betont Tiefensee. Ansonsten reicht das Vermögen in Paarhaushalten länger als bei Singles. Besonders problematisch ist die Situation von Alleinerziehenden: Rund 40 Prozent von ihnen verfügen über keinerlei Rücklagen.

Als Fazit hält die WSI-Forscherin fest, dass die Mehrzahl der Haushalte über keine oder nur über eine sehr eingeschränkte private Absicherung durch Vermögen verfügt. Einkommen aus ordentlich bezahlter Arbeit und eine wirkungsvolle soziale Sicherung seien für die meisten Menschen in Deutschland absolut unerlässlich. Vor diesem Hintergrund empfehlt Tiefensee, den Zugang zur öffentlichen Erwerbsminderungsrente zu erleichtern. Zudem gelte es, das Schonvermögen bei Hartz-IV-Bezug auszubauen und ein existenzsicherndes Niveau von Lohnersatzleistungen sicherzustellen. Damit mehr Menschen ein ausreichendes Arbeitseinkommen erzielen können und so überhaupt in die Lage versetzt werden zu sparen, sei eine Stärkung der Tarifbindung wichtig und ein ausreichendes und kostenloses Betreuungsangebot für Kinder. Da Vermögensaufbau auch durch Tilgung eines Immobilienkredits erfolgen kann, wäre eine auf untere und mittlere Einkommensgruppen zugeschnittene staatliche Förderung in diesem Bereich hilfreich. Zudem sollte in Ballungsgebieten stärker in den öffentlichen Wohnungsbau investiert werden.

  • Jeder dritte Haushalt hat so wenig Vermögen, dass er sich ohne laufendes Einkommen nur kurzfristig über Wasser halten könnte. Zur Grafik

 Anita Tiefensee: Wie lange reicht das Vermögen bei Einkommensausfall? WSI-Verteilungsbericht 2017, WSI Report Nr. 37

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