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HBS Böckler Impuls

Arbeitswelt: Innovation am kurzen Zügel

Ausgabe 06/2017

Der Einfluss der Finanzmärkte dringt in sämtliche Bereiche der Industrie vor – auch in Abteilungen, in denen man es zunächst nicht vermutet.

Nicht nur Produktion, auch Forschung und Entwicklung in der Industrie unterliegen immer stärker der Logik der Finanzmärkte. Das bekommen die Beschäftigten zu spüren, wie eine Fallstudie von Hajo Holst von der Universität Osnabrück zeigt. Der Wissenschaftler hat untersucht, wie sich die sogenannte Finanzialisierung, also die Steuerung von Unternehmen nach kapitalmarktorientierten Kennzahlen, auf die Forschungs- und Entwicklungsabteilung eines deutschen Autoherstellers auswirkt. Die Folgen seien „weitreichender als bislang angenommen“, so Holst.

Der untersuchte Betrieb gehört zum Kernbereich der deutschen Industrie und damit auch der Mitbestimmung. Der gewerkschaftliche Organisationsgrad in der Belegschaft ist „außerordentlich hoch“, betriebliche Interessenvertreter verfügen über einen „erheblichen Einfluss“. Auf der Eigentümerseite des börsennotierten Konzerns dominieren Investoren, die zur Kategorie des „geduldigen Kapitals“ zählen. Trotz der starken Stellung der Arbeitnehmervertretung und der langfristigen Interessen der Eigentümer könne sich das Unternehmen „nicht von den Erwartungen der liberalisierten Finanzsphäre befreien“, so der Forscher. Zu groß sei der Kapitalbedarf, der sich nicht allein aus den Erlösen des laufenden Geschäfts decken lässt. Aufgrund der Abhängigkeit von Fremdkapital sei das Unternehmen auf Finanzakteure angewiesen, die hohe Erträge in kurzer Zeit erwarten. Das spiegele sich wider in den Zielen, die das Unternehmen öffentlich kommuniziert: Im Zentrum steht dabei das Erreichen der Mindestrendite.

Die Abteilung für Forschung und Entwicklung scheint auf den ersten Blick weniger von der Finanzialisierung betroffen zu sein. Hier spielt die ansonsten fest in der Unternehmensführung verankerte Fixierung auf die Mindestrendite keine Rolle. Schließlich können Forschungsprojekten kaum zukünftige Erlöse zugeschrieben werden. Denn die meisten Innovationen entstehen in einem Trial-and-Error-Prozess, Neuerungen basieren häufig auf zuvor gescheiterten Ideen. Auf den zweiten Blick wird jedoch deutlich, dass selbst die Innovationsarbeit der Logik der Finanzmärkte gehorcht. Dies zeigt sich laut Holst vor allem bei der Personalplanung: Dass Stellenbesetzungen als Investitionsentscheidungen angesehen werden, sei weit verbreitet – selbst unter den Beschäftigten. In den Interviews mit Führungskräften und Entwicklern seien „auffällig häufig“ Begriffe wie „Investition“ und „investieren“ im Zusammenhang mit Personalentscheidungen gefallen, schreibt der Wissenschaftler. Eine unbefristete Stelle werde als „Investition für 30 Jahre“ angesehen. Und eine Investition über eine so lange Zeit müsse genauso lange Erträge erwirtschaften.

Unter diesen Voraussetzungen kommt eine feste Stelle nur noch für Arbeiten infrage, die zu den absoluten Kernkompetenzen des Unternehmens zählen, die dauerhaft – also über 30 Jahre – anfallen und dazu noch günstiger selbst zu erbringen sind, als es der Einkauf am Markt wäre. Verschärfend kommt hinzu, dass die Unternehmensleitung eine Obergrenze für das Personal, den sogenannten Headcount, festgelegt hat. In der Praxis führt dies dazu, dass es kaum neue Festanstellungen gibt. Über die bestehenden Ressourcen hinausgehende Arbeiten müssen meist über Werk- und Dienstverträge eingekauft werden. Auf diese Weise treibe das Management „immer mehr externe Arbeitskräfte von Entwicklungsdienstleistern auch in jene Bereiche, die in der Vergangenheit den eigenen Beschäftigten vorbehalten blieben“, schreibt der Forscher. Die damit verbundenen Probleme – Abfluss von Knowhow, rechtliche Unsicherheit, ökonomische Abhängigkeiten, keine langfristige Personalentwicklung – werden von einer an Kennzahlen orientierten Unternehmensführung häufig übersehen. Ein weiteres Manko: Betriebsräte können für Werkvertragsnehmer wenig tun, da diese über keinerlei Mitbestimmungsrechte im Automobilunternehmen verfügen.

In dem untersuchten Unternehmen werde Arbeit „als Investitionsobjekt klassifiziert und entsprechend bewertet“, schreibt Holst. Und das, obwohl die Entscheidungen über Arbeitsorganisation eigentlich keine Investitionen im klassischen Sinne seien. „In ihnen wird kein Geld in Erwartung von zukünftigen Gewinnen investiert; sie werden unter dem Einfluss des Shareholder Value aber zunehmend als Investition gerahmt.“ Der Forscher wertet dies als Beleg für die „Tiefenwirkung“ der Finanzialisierung, die nicht unbedingt offensichtliche Spuren hinterlässt, sich aber in einem veränderten Blick auf Arbeit niederschlägt.

  • Hoher Anteil von Leiharbeitern und Werkvertragsnehmern in der deutschen Autoindustrie. Zur Grafik

Hajo Holst: Arbeit als Investitionsobjekt – Finanzialisierung und die Externalisierung der Innovationsarbeit, in: Michael Faust, Jürgen Kädtler, Harald Wolf (Hg.): Finanzmarkt-Kapitalismus? Der Einfluss von Finanzialisierung auf Arbeit, Wachstum und Innovation, Frankfurt am Main 2017

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