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Magazin Mitbestimmung

: Drei Jahre und nicht weniger!

Ausgabe 09/2011

POLITIK Flexibilität darf es nicht ohne Sicherheit geben. Erfahrungen mit verkürzten, zweijährigen Abschlüssen zeigen, dass eine falsch verstandene Modularisierung Absolventen produziert, die niemand einstellen will. Von Uta Kupfer

UTA KUPFER ist Leiterin des Bereichs Berufsbildungspolitik beim ver.di-Bundesvorstand 

Wie können junge Menschen nach der Schule den Start in ein selbstbestimmtes Berufsleben schaffen? Welche Ausbildung brauchen sie, um grundlegende Qualifikationen für ein Berufsfeld erlangen und später flexibel auf neue Anforderungen reagieren zu können? Wer mit der Berufsbildung zu tun hat, kann diese Fragen relativ schnell beantworten: Sie brauchen eine qualifizierte Ausbildung, die Theorie und Praxis eng verzahnt und ihnen das Hineinwachsen in den Beruf und in den Alltag eines Betriebes ermöglicht. Doch nicht alle jungen Menschen finden einen Ausbildungsplatz. Die Zahl der abgeschlossenen Ausbildungsverträge ist im vergangenen Jahr gegenüber dem Krisenjahr 2009 noch einmal leicht zurückgegangen. Eine erhebliche Zahl Jugendlicher, die eine Ausbildung im dualen System anstreben, bekommt nach wie vor keine Chance. Gleichzeitig beklagen Betriebe, dass es schwieriger wird, ihre angebotenen Ausbildungsplätze zu besetzen. 

Daran ist zu erkennen, dass der prognostizierte und bereits beklagte Fachkräftemangel noch nicht zu einer Veränderung in der Ausbildungslandschaft geführt hat. Nach wie vor geht eine Vielzahl der Betriebe davon aus, dass sie mit verstärkter Werbung für ihr qualifiziertes Ausbildungsangebot im Rennen um die Besten eines Schulabgangsjahres ihre Ausbildungsplätze besetzen können und sie notfalls unbesetzt lassen, wenn die Bewerber nicht ihren Ansprüchen genügen. Ist eine grundsätzliche Veränderung des dualen Systems der Berufsausbildung notwendig, um das Problem fehlender Ausbildungsplätze zu lösen? Und wird es damit möglich, diejenigen Jugendlichen, die nicht im dualen System ausgebildet werden können, so zu qualifizieren, dass sie zumindest eine gewisse Marktfähigkeit erreichen und ihren Lebensunterhalt selbst verdienen können? 

Glaubt man Erziehungswissenschaftlern wie Dieter Euler und Eckhart Severing, so wäre eine Lösung des Problems die grundsätzliche Modularisierung der Berufsausbildung mit dem Ziel, eine höhere Flexibilität zu erreichen. Der Vorschlag ist, standardisierte Ausbildungsbausteine zu schaffen, die in allen Segmenten des Berufsbildungssystems gelten, die Verwertbarkeit von Teilqualifikationen sichern und damit auch die Flexibilität der betrieblichen Ausbildung erhöhen. Doch reicht es wirklich aus, Qualifikationen zu vermitteln, die an die aktuellen Marktgegebenheiten angepasst sind? Oder ist es nach wie vor notwendig, eine Beruflichkeit zu vermitteln, die neben fachlichen Grundlagen flexible Wahlqualifikationen anbietet und vor allem Soft Skills vermittelt, ohne die weder die Zusammenarbeit im Betrieb noch gesellschaftliche Teilhabe funktioniert? 

Der Dienstleistungssektor, den ver.di vertritt, ist eine Wachstumsbranche. Wir haben es einerseits mit wachsenden Beschäftigungsmöglichkeiten, andererseits mit steigenden Anforderungen an die Beschäftigten zu tun – gerade auch was die soziale Kompetenz angeht. Besonders Dienstleistungen am Menschen sind nur bedingt durch technische Geräte zu ersetzen. Auch im kaufmännisch-verwaltenden Bereich sind der Substitution von Arbeit durch Kapital Grenzen gesetzt. Somit bleibt der Mensch als Arbeitskraft wichtigster Faktor für qualifizierte Arbeit – in der Bildung, in der Erziehung, in der Betreuung, in der Pflege und auch bei vielen Büroarbeitsplätzen in Wirtschaft und Verwaltung. 

Würde es hier ausreichen, den Berufsweg mit einer Teilqualifizierung in Form eines Moduls zu beginnen, das nach Euler und Severing ein Fünftel bis ein Achtel der gesamten Ausbildung umfasst, um dann den Rest irgendwann nachzuholen? Wie könnte dann ausreichend Sozialkompetenz, Reflexivität, die Fähigkeit, in einem Betrieb zu arbeiten, entwickelt werden? Weder für die Pflege, Betreuung oder Erziehung mag man sich das vorstellen. 

Für den kaufmännisch-verwaltenden Bereich gibt es ein aktuelles Beispiel. Die Neuordnung von drei Büroberufen und ihre Zusammenführung zu einem Beruf, der in allen Büros dieser Republik einsetzbar ist, ist ein Prozess, bei dem genau diese Diskussion sehr langwierig geführt wurde. Der neue Beruf – Kaufmann/-frau für Büromanagement – löst demnächst drei alte Berufe (Bürokaufmann/-frau, Kaufmann/-frau bzw. Fachangestellte/r für Bürokommunikation) ab. Im Herbst 2013 werden die ersten Jugendlichen den neuen Beruf erlernen können. Bei den Verhandlungen zwischen den Sozialpartnern wurde erörtert, ob man Jugendlichen mit schlechten Startchancen den Beruf erleichtern könnte, indem man einen zweijährigen, theoriegeminderten Beruf unterhalb des dreijährigen anbietet. 

Die Gewerkschaften haben diesem Ansinnen vehement widersprochen. Kein einziger Arbeitgeber, den wir befragt haben, hat uns bestätigt, dass es einen Bedarf für derart qualifizierte Kräfte gibt. Die Schreibkraft für das Büro wird nicht mehr gebraucht, diese Stellen wurden abgebaut. Weder der Kleinunternehmer noch das mittelständische Unternehmen, der Großbetrieb oder die Einrichtungen des öffentlichen Dienstes sehen einen Bedarf für derart qualifizierte Jugendliche. Gebraucht wird eine Managerin im Büro (denn meist sind es Frauen), die das gesamte Backoffice organisiert, den Kontakt zu Kunden, zur Bank und zum Steuerberater halten kann. 

Von den Verbänden der Arbeitgeber ergeht nicht selten das Signal an die Gewerkschaften und die Bundesregierung, dass einfache, theoriegeminderte Berufe die Lösung seien, um Jugendlichen mit einem schlechten Schulabschluss eine Ausbildung zu ermöglichen. Bei guter Prognose könnte das dritte Ausbildungsjahr dann nachträglich absolviert werden. Sieht man einmal davon ab, dass theoriegeminderte Berufe unterhalb bestehender dreijähriger Berufe auf dem Arbeitsmarkt nicht gebraucht werden und dass, wenn überhaupt, nur eine Beschäftigung im Niedriglohnsektor möglich wäre, funktioniert der Durchstieg in den dreijährigen Beruf in der Dienstleistungsbranche faktisch nicht. 

Kein Unternehmen ist bereit, für einen Auszubildenden aus einem anderen Betrieb das dritte Ausbildungsjahr anzubieten. Selbst im Einzelhandel, wo der zweijährige und der dreijährige Beruf gemeinsam gestaltet wurden, funktioniert der Durchstieg nicht, wenn der Arbeitgeber das dritte Jahr nicht anbietet. Abgeleitet aus diesen Erfahrungen und den Erfahrungen unserer Kolleginnen und Kollegen in den Betrieben sagen wir: Mit der Erstausbildung muss es möglich sein, junge Menschen umfassend, passgenau, flexibel und persönlichkeitsbildend zu qualifizieren und ihnen langfristig gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu eröffnen.

Der Abschluss einer dreijährigen dualen Berufsausbildung ist der Standard, der erreicht werden soll. Aber nicht allen Schulabgängern gelingt das. Diese jungen Menschen benötigen zusätzliche Angebote, die ihre Stärken fördern und sie zu anerkannten Berufsabschlüssen führen. Für junge Menschen über 25 Jahre hat die Bundesagentur für Arbeit ein Modell entwickelt, in dem einzelne Module eines Ausbildungsberufes vermittelt werden. Einigen gelingt nach einem Modul der Einstieg in einen Job, nur leider selten von Dauer. Die Fortsetzung weiterer Module oder gar der Abschluss des ganzen Berufes ist jedoch nicht vorgesehen. 

Auch das ist ein Problem, wenn Ausbildungen in Module zerlegt werden. Ist es also für diese jungen Menschen nicht besser, einen dreijährigen, qualifizierten Beruf zu erlernen, der, wenn die Ausbildung tatsächlich zu schwierig ist, mit ausbildungsbegleitender Hilfe oder einer Verlängerung der Ausbildung zum Abschluss gebracht werden kann? Für den dann qualifiziert ausgebildeten jungen Menschen ist es auf jeden Fall ein Gewinn. Und auch die Wirtschaft profitiert am Ende davon.

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