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Magazin Mitbestimmung

: Werkstatt für den dritten Weg

Ausgabe 03/2006

Die erste Biedenkopf-Kommission wird 1967 von der Regierung eingesetzt. Sie soll in der höchst strittigen Mitbestimmungsfrage Fakten beschaffen. Schon Ende der 60er Jahre skizziert sie den "dritten Weg" zwischen Parität und Drittelbeteiligung.


Von Werner Tegtmeier
Der Autor war bis 2002 Staatssekretär im Arbeitsministerium. Von 1968 bis 1970 leitete er das "Evidenzbüro der Sachverständigenkommission Mitbestimmung" unter Prof. Biedenkopf.


In den 60er Jahren fürchten die Gewerkschaften, dass mit dem Rückgang der Montanindustrie ein faktisches Hinausgleiten aus der qualifizierten Mitbestimmung nur noch eine Frage der Zeit sei. Als der DGB im März 1968 einen Entwurf zur Ausweitung der qualifizierten Mitbestimmung auf die gesamte Wirtschaft vorlegt, sieht die Wirtschaft "die Effizienz der deutschen Wirtschaft aus schwerste gefährde(t)" und darüber hinaus die freiheitliche Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung "in gravierender Weise" in Frage gestellt.

Diese ungemütliche Lage veranlasste bereits die 1966 neu gebildete Große Koalition aus CDU/CSU und SPD, zunächst eine "Sachverständigenkommission zur Prüfung der Mitbestimmungsfrage" einzuberufen. Die Ankündigung von Bundeskanzler Kiesinger wird am 30.11.1967 konkretisiert. Der Auftrag lautet: "Auswertung der bisherigen Erfahrungen mit der Mitbestimmung als Grundlage weiterer Überlegungen auf diesem Gebiet". Die Sachverständigenkommission konstituiert sich am 24. Januar 1968, zum Vorsitzenden wird der damals 38-jährige Prof. Kurt H. Biedenkopf - Jurist und Rektor der neu gegründeten Ruhr-Universität Bochum.

Ordentliche Kommissionsmitglieder waren neun Professoren der Rechts- und Wirtschaftswissenschaften. Die sechs sachverständigen Berater aus dem Kreis der Sozialpartner spielten eine flankierende Rolle. Sie waren bei den Anhörungen und bei der abschließenden Willensbildung der Kommission nicht einbezogen. An der Ruhr-Universität Bochum wurde ein kleiner Stab, das so genannte Evidenzbüro eingerichtet: Die wissenschaftlichen Mitarbeiter führten die empirischen Arbeiten durch, besorgten die Auswertung und verfassten die Berichtsentwürfe.

Herausfinden, was überhaupt Sache ist

Die Sachverständigenkommission fand in Deutschland zwei Modelle vor: die Montanmitbestimmung für den Bergbau und die Stahl erzeugenden Unternehmen sowie in allen anderen Unternehmen die Drittelbeteiligung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten. Sie entschloss sich, systematisch Erfahrungen mit der Mitbestimmung zu erheben. Zum einen wurden Anhörungen durchgeführt, zu denen hochrangige Positionsträger geladen wurden.

So befragte die Kommission aus dem montanmitbestimmten Konzern der Mannesmann AG - jeweils einzeln - deren Vorstandsvorsitzenden Egon Overbeck, den Aufsichtsratsvorsitzenden Franz Heinrich Ulrich, dessen Stellvertreter Prof. Karl Hax, den Arbeitsdirektor Peter Keller und den Betriebsratsvorsitzenden Willy Brandt.

Analog wurden die Vorstandsvorsitzenden und Mitbestimmungsträger der Salzgitter AG, der August Thyssen Hütte, der Hoesch AG, der Saarbergwerke AG gehört - aber auch IG-Metall-Vorstand Willi Michels oder Konrad Kaletsch, der persönliche haftende Gesellschafter der Friedrich Flick KG.

Aus den Unternehmen, für die die Drittelbeteiligung im Aufsichtsrat auf der Grundlage des Betriebsverfassungsgesetz von 1952 galt, wurden jeweils der Vorstands- und der Aufsichtsratsvorsitzende sowie der Betriebsrat - der gleichzeitig ein Aufsichtsratsmandat hatte - getrennt angehört. Befragt wurden hier Vertreter von Karstadt, VW, NSU, Daimler Benz, Hoechst, Esso, Dresdner Bank, AEG, Allianz und Neue Heimat. 

Aus diesen Anhörungen ergaben sich neue Fragen - wie etwa die, ob es durch die Mitbestimmung zu Verzögerungen bei (Investitions-)Entscheidungen kommt. Daher ließ die Sachverständigenkommission zur Mitbestimmung eine standardisierte, schriftliche Befragung ins Feld gehen - organisiert vom Evidenzbüro der Kommission in Bochum. Es wurden 62 Unternehmen des Montanbereichs und 373 größere Unternehmen aus dem Anwendungsbereich des Betriebsverfassungsgesetzes angeschrieben. Die Rücklaufquote war mit über 80 Prozent sehr hoch, die Untersuchungsergebnisse waren also repräsentativ, und ganz offensichtlich war die Arbeitnehmermitbestimmung für die Unternehmen von hohem Interesse.

Von Fernsteuerung konnte keine Rede sein

Am 21. Januar 1970 wurde der 480 Seiten umfassende Bericht der Sachverständigenkommission an Bundeskanzler Willy Brandt übergeben, inzwischen regierte die erste sozial-liberale Koalition - aus SPD und FDP. Ein wesentliches Ergebnis der empirischen Untersuchungen war: Die von der Wirtschaft gegen die Mitbestimmung geäußerten Vorbehalte von "der Fernsteuerung aus den Gewerkschaftszentralen" wurden hinlänglich widerlegt. Im Gegenteil zeigte sich als Faktum, dass manche Betriebsratsvorsitzende eine sehr stark betriebsbezogene Haltung an den Tag legten.

Deutlich wurde die Rolle der unternehmensinternen Arbeitnehmervertreter als Scharnier zwischen Betriebs(rats)- und Unternehmensebene und den von ihnen vertretenen Arbeitnehmern. In der Regel verfügten sie über exzellente Binnenkenntnisse des Unternehmens. Durchgängig war es in den qualifiziert mitbestimmten Aufsichtsräten des Montanbereichs üblich, dass sich die Anteilseignerseite (Vorsitz) und die Arbeitgeberseite (Stellvertreter) die Leitungsverantwortung teilten - wiewohl dies gesetzlich nicht vorgesehen war.

Außerdem vollzog sich ein wesentlicher Teil der Entscheidungsfindung des Aufsichtsrates in eigens gebildeten Ausschüssen - etwa für Investitions-, Finanz-, Bilanz-, Sozial- und Personalfragen. Eher informeller Natur, vielfach aber quasi institutionell verfestigt, war die Übung getrennter Vorbesprechungen vor den Aufsichtsratssitzungen - oft nahmen daran Vorstandsmitglieder teil. Im Ergebnis wurde in den deutschen Aufsichtsräten ganz überwiegend einstimmig abgestimmt. Kampfabstimmungen bei der Montanmitbestimmung waren nur in extremen Situationen - bei Stilllegung und Veräußerung von Unternehmensteilen - zu verzeichnen.

Damit war in den Bereich der Legenden verwiesen, dass es durch die Mitbestimmung zu Entscheidungsblockaden käme. Wenn es zu Verzögerungen kam, war dies in etwa zu gleichen Teilen auf begründete Einwände der Kapitaleigner- und/oder Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat bzw. in den Aufsichtsratausschüssen zurückzuführen. Die
Beschlussfassungspraxis des qualifiziert mitbestimmten Aufsichtsrates zeigte: Das mit der Parität verbundene Stimmengewicht wirkt als institutionalisierter "Zwang", die beteiligten Interessen so zu berücksichtigen, dass man von einer Entscheidung durch den Neutralen unabhängig wurde.

Daneben ging die Sachverständigenkommission bei ihren Empfehlungen davon aus, "dass die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Organen des Unternehmens nicht nur politisch gefordert und historisch gegeben, sondern sachlich notwendig ist". Doch anders als die empirischen Befunde zunächst nahe legen würden, "spricht sich (die Kommission) im Ergebnis dafür aus, den Vertretern der Kapitalseite eine Mehrheit im Aufsichtsrat zuzuweisen, allerdings unter Bedingungen, die eine Überstimmung nachhaltig erschweren".

Und sie begründet dies: Im Zielkonflikt "zwischen Rentabilitätsinteresse und kurzfristigem Arbeitnehmerinteresse (sollte) unter Wahrung der sozialen Interessen der Arbeitnehmer zugunsten der Rentabilität entschieden werden. Die institutionelle Sicherung einer solchen Entscheidungstendenz soll durch die Einräumung einer Mehrheit an die Anteilseignerseite gewährleistet werden." Das Paritätsprinzip wird von der Kommission abgewiesen. "Im Aufsichtsrat kommt es nicht auf Neutralisierung, sondern auf ein flüssiges Zusammenspiel unter der Maxime des Erfolges an, wobei die Wahrung der sozialen Gesichtspunkte mit zum ‚Erfolg‘ gehört."

Regierungsentwurf am Rande des Scheiterns

Das 480 Seiten umfassende Gutachten trug zunächst zu einer Versachlichung der Diskussion bei - auch zwischen Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften. Aber bereits im Zuge der Beratungen zum Betriebsverfassungsgesetz brachen die alten Kontroversen wieder auf. Selbst der Entwurf dieses Betriebsverfassungsgesetzes stand mehrfach am Rande des Scheiterns und konnte erst nach wiederholten Änderungen mühsam über die parlamentarischen Hürden gebracht werden.

Damit war bereits das mühselige, sich über gut zwei Jahre hinziehende Ringen der nächsten Legislaturperiode um die Fortentwicklung der Mitbestimmung vorgeprägt. Immer wieder musste der Regierungsentwurf auf Drängen der FDP - allen voran Otto Graf Lambsdorff - umgeschrieben werden. Die zuständigen Juristen im Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung, Karl Fitting, Otfried Wlotzke und Hellmut Wißmann, haben über die wechselvolle Entstehungsgeschichte des Mitbestimmungsgesetzes in ihrem Kommentar zum Mitbestimmungsgesetz - in der Ausgabe von 1976, Seite 47 folgende - eindrucksvoll berichtet. 

Von Anfang an war die sozial-liberale Koalition in dieser Frage gespalten. "Jedermann weiß, dass es zwischen den Regierungsparteien unterschiedliche Auffassungen gibt; aber genauso wie wir uns beim Betriebsverfassungsgesetz verständigt haben, werden wir auch hier eine gemeinsame Lösung finden. Dabei gehen wir aus vom Grundsatz der Gleichberechtigung und Gleichgewichtigkeit von Arbeitnehmern und Anteilseignern", hatte Willy Brandt in seiner Regierungserklärung am 18. Januar 1973 gesagt.

Das parlamentarische Ergebnis des vom Bundestag am 18. März 1976 verabschiedeten Mitbestimmungsgesetzes sah dann doch etwas anders aus: Zwar brachte es eine Ausweitung des Anwendungsbereichs der Mitbestimmung über den Montanbereich und eine formal gleiche Anzahl von Mitgliedern der Anteilseigner- und Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat. Es wies jedoch im Konfliktfall der Anteilseignerseite qualitativ ein Übergewicht zu.

Wie weit hat das Rentabilitätsinteresse Vorrang?

Spiegelt man das Mitbestimmungsgesetz, so wie es dann 1976 Gestalt angenommen hat, mit den Anfang 1970 vorgelegten Empfehlungen der Sachverständigenkommission unter Kurt Biedenkopf, findet man zahlreiche Übereinstimmungen: So wurden etwa die Arbeitnehmermandate im Aufsichtsrat über die Drittelbeteiligung hinaus vermehrt, jedoch unter Beibehaltung eines Übergewichts der Anteilseignervertreter. Beim Wahlverfahren wurde der Wahl durch die Belegschaft - statt einer Entsendung - Vorrang eingeräumt. Gemäß den Empfehlungen der Kommission ist der Arbeitsdirektor ein Vorstandsmitglied wie jedes andere und wird genauso bestellt. Auch die leitenden Angestellten sind bereits vorgesehen.

Nach wie vor aktuell ist die Empfehlung der damaligen Kommission, die Arbeitnehmervertretung sollte - per Gesetz - auch im Aufsichtsrats-Präsidium und in den Aufsichtsrats-Ausschüssen vertreten sein. Interessant auch der Hinweis, dass die Aufsichtsratsmitglieder "partiell von Verschwiegenheitspflichten entbunden werden sollten zugunsten einer Berichterstattungsmöglichkeit an die Arbeitnehmer des Unternehmens". 

Aber haben sich die Erwartungen der Sachverständigenkommission zur Mitbestimmung erfüllt, nachhaltig dazu beizutragen, sozio-ökonomische Aspekte in Entscheidungen auf der Unternehmensebene einzubringen? Aktuelle Vorfälle wie beim Armaturenhersteller Grohe, der AEG Nürnberg, bei der Continental AG machen überdeutlich, dass nicht wenige Entscheider offenbar einem hypertrophierten, einzelwirtschaftlich verengtem und mit kurzem Zeithorizont versehenen Rentabilitätsziel nachjagen und dies durchsetzen können und die jeweils Millionen Euro schweren Folgen derartiger Entscheidungen einfach in die öffentlichen Haushalte und die Sozialversicherungen "verladen" werden.

Wenn diese Vorgehensweise von den Entscheidungsträgern dann noch als "sozialverträgliche Beschäftigungsanpassung" bewertet wird, zeigt das vollends die "Rationalitätenfalle", in der sich die Beteiligten befinden. Mit einer rechtzeitigen und nachhaltigen Einbeziehung sozio-ökonomischer Belange in die einzelwirtschaftliche unternehmerische Entscheidung hat dies jedenfalls nichts mehr zu tun.  

Wenn also - vermeintlich - rationales Verhalten der Unternehmen zu derart absurden Ergebnissen führt, müssen die externen Regelungsmechanismen kritisch überprüft werden. Hier und heute stellt sich also erneut die Frage nach einer sachgerechten Ausgestaltung der internalisiert angelegten Regelungs- und Entscheidungssysteme.


 

Zur Person
Werner Tegtmeier 65, kaufmännische Ausbildung bei Continental, Eintritt in die IG Chemie, Studium der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, wissenschaftlicher Mitarbeiter in der ersten Biedenkopf-Kommission, 1973 Promotion über "Die Wirkungen der Mitbestimmung der Arbeitnehmer", war 1970 bis 1976 im Bundeskanzleramt tätig, wechselte dann ins Bundesministerium für Arbeit, wo das SPD-Mitglied drei Regierungskonstellationen hindurch tätig war - erst als Leiter der Grundsatzabteilung und von 1988 bis März 2002 als beamteter Staatssekretär.

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