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Podium mit einer Referentin vor Auditorium Service aktuell

WSI-Herbstforum 2025: Zwischen Wut und Wandel – Transformationskonflikte gerecht gestalten

Krisen, Kämpfe, Lösungen: Unter diesem Leitmotiv versammelte das WSI-Herbstforum 2025 führende Köpfe aus Wissenschaft, Gewerkschaften und betrieblicher Praxis.

[21.11.2025]

Von Jeannette Goddar und Jan Falk

Zum Auftakt rechnete Claudia Bogedan, Geschäftsführerin der Hans-Böckler-Stiftung, mit populistischen Narrativen ab. Ein hartes Vorgehen gegen Ausländer*innen löse die aktuellen Probleme ebenso wenig wie längeres Arbeiten im Alter oder die immer wiederkehrende Forderung nach Kürzungen beim Bürgergeld. Daten des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der Stiftung belegten dies eindrucksvoll. Was helfe, sei eine produktive Gestaltung der Konflikte, die durch die Transformation zwangsläufig entstehen, und die Aushandlung von Interessen auf Augenhöhe. Bogedans zentrale Botschaft, die zum Leitmotiv der Tagung wurde: „Statt Herrschaft der wenigen Reichen braucht es Mitbestimmung der vielen.“ Wie „viel“ mehr als ein Slogan ist, zeigte das Forum an vielen Stellen.

Die Ökonomin Miriam Rehm von der Universität Duisburg-Essen machte deutlich, wie eng Klimakrise und soziale Ungleichheit verknüpft sind. Ihr Befund: „Das reichste Prozent der Weltbevölkerung hat einen höheren Kohlendioxid-Ausstoß als die gesamte untere Hälfte der Weltbevölkerung zusammen.“ Entscheidend dabei ist nicht unbedingt der private Konsum, sondern die Art der Investitionen. Vermögen fließt überproportional in klimaschädliche Industrien – mit erheblichen Auswirkungen auf die globale Emissionsbilanz. Privat könnten sich reiche Menschen durchaus Elektroautos und Wärmepumpen leisten, erklärte Simon Schaupp von der Katholischen Universität Leuven. Damit seien sie auch beim Konsum in der Transformation privilegiert.

Miriam Rehm auf dem Podium

Arme trifft die Klimakrise am härtesten

Am härtesten trifft die Klimakrise diejenigen, die am wenigsten zu ihr beitragen: weltweit ärmere Länder und in Deutschland Menschen mit geringem Einkommen. Sie leben häufiger in schlecht gedämmten Wohnungen und in dicht bebauten Vierteln. Zudem arbeiten sie oft in Branchen, die bereits jetzt vom Klimawandel betroffen sind, etwa in der Bauwirtschaft. „An heißen Tagen entsteht dramatischer Hitzestress“, sagte Simon Schaupp. Körperlich anspruchsvolle Arbeit sei dann kaum möglich. Darunter leide nicht nur die Gesundheit, es komme auch zu Verteilungskonflikten am Arbeitsplatz, für die es starke Gewerkschaften brauche. In der Schweiz versuchten Arbeitgeber der Baubranche bereits, eine 58-Stunden-Woche durchzusetzen, um klimabedingte Ausfälle zu kompensieren. Schaupp bekräftigte, dass solche „Anpassungskonflikte“ in Zukunft zunehmen werden.

Schaupp berichtete zudem von einer Befragung in der Energieversorgung, die ein Licht auf die verbreitete Klimaskepsis warf. Denn die Notwendigkeit erneuerbarer Energien sei den Beschäftigten durchaus bewusst. Entfremdet fühlten sie sich jedoch von einer „Klimapolitik von oben“, die ihr Fachwissen missachte. Eine Befragung in der Baubranche zeigte eine deutliche Ablehnung gegenüber „Zahlenmenschen“, die aus Sicht der Befragten keinen Bezug zur realen Arbeitswelt haben. Verbindend sei eine „Erfahrung von Herrschaftsunterworfenheit“, die sich „hervorragend von rechts mobilisieren“ lasse. Ein weiteres verbindendes, branchenübergreifendes Element sei die „Erschöpfungserfahrung“. Hans Rackwitz vom Institut für Sozialforschung in Frankfurt am Main berichtete aus der Forstwirtschaft und der Stromversorgung von Menschen, die „ausgebrannt sind“, die sich „nicht einbezogen fühlen“ und über „realitätsferne Vorgaben“ aus der Politik klagen.

Eine Frau und ein Mann stehen auf dem Podium

Nährboden für Rechtsruck

Ein Blick in die regelmäßige WSI-Erwerbspersonenbefragung bestätigt: Die Mischung aus sozialer Schieflage und mangelnder Wertschätzung ist ein wesentlicher Nährboden für den Rechtsruck. Andreas Hövermann, Soziologe am WSI, beschrieb das Profil der AfD-Wählenden als identitätsstiftende Gemeinschaft aus Wut, Misstrauen und Benachteiligungserfahrungen. Besonders viele Arbeiter*innen wählen die AfD – vor allem dort, wo schlechte Arbeitsbedingungen herrschen und Betriebsräte als schwach wahrgenommen werden. Transformationssorgen sind ein Kipp-Punkt: „Jeder und jede vierte AfD-Wählende hat große Job- oder Karrieresorgen wegen der Auswirkungen der Klimapolitik.“ Die Partei kanalisiere diese Ängste gegen Zuwanderung und Klimapolitik und für eine nostalgische „Normalität“. Hövermann forderte eine Industriepolitik, die die Transformation beschäftigungspolitisch steuert, sowie mehr Mitbestimmung: „Selbstwirksamkeit und die Möglichkeit zur Mitsprache wirken Ohnmacht entgegen.“

Um die wiederum ist es in den Betrieben nicht gut bestellt: Elke Ahlers und Florian Blank vom WSI präsentierten Daten aus der Betriebs- und Personalrätebefragung von 2023, laut denen eine knappe Mehrheit der Betriebe kein Konzept zum Umgang mit dem Klimawandel hat. Wo es Konzepte gibt, werden Belegschaft und Betriebsräte häufig nicht beteiligt. Dort, wo es klare gesetzliche Aufträge gibt, etwa im Betriebsverfassungs- oder im Lieferkettengesetz, sieht die Lage besser aus. Es brauche klare gesetzliche Vorgaben und gestärkte Mitbestimmungsrechte in ökologischen Fragen, forderte Florian Blank und erinnerte an den Entwurf für ein modernes Betriebsverfassungsgesetz, das Deutscher Gewerkschaftsbund, Einzelgewerkschaften, Hans-Böckler-Stiftung und sowie Jura-Professoren von den Universitäten Göttingen und Bremen ausgearbeitet haben . Dieser fordert unter anderem die Einrichtung von Umweltausschüssen: „Es gibt Ideen. Diese gilt es, Wirklichkeit werden zu lassen.“

Dass Beschäftigte bereit sind, die Transformation mitzugehen, zeigte Şerife Erol vom WSI am Beispiel der Fleischindustrie, einer klassischen Niedriglohnbranche. Sie berichtete von Interviews in einem Unternehmen, das auf fleischlose Alternativen umstellte. „Sollen wir alle Gärtner werden?“, sei sie anfangs gefragt worden. Doch bei genauerem Hinsehen sei der Wille zur Weiterbildung groß – nicht zuletzt wegen der Aussicht auf Aufstieg, höhere Löhne und mehr Jobsicherheit. Gleichzeitig seien in der Fleischindustrie in den vergangenen Jahren wichtige Verbesserungen erreicht worden, darunter das Verbot von Werkverträgen. Das zeige, so Erol, „dass soziale und ökologische Transformation Hand in Hand gehen können“.

Es stehen 3 Personen auf dem Podium

Sorgen unterscheiden sich nach Branchen

Ohnehin wurde beim WSI-Herbstforum, das sich jedes Jahr zwei Tage Zeit für eine Tiefenbohrung in zentrale gesellschaftliche Fragen nimmt, deutlich: Die Transformationskonflikte unterscheiden sich stark je nach Branche. In der Autoindustrie sind die Sorgen vieler Beschäftigter berechtigt, wie aktuelle Arbeitsmarktdaten zeigen. Langfristig entstehen jedoch neue Arbeitsplätze, etwa in der Batterietechnik, beim Carsharing oder im öffentlichen Nahverkehr, erklärte Luisa Sievert vom Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung. Allerdings müsse, „wer verlässlichen öffentlichen Nahverkehr will, auch das Geld dafür in die Hand nehmen,“ ergänzte Andreas Schackert, Bundesfachgruppenleiter Busse und Bahnen bei ver.di. Und: Während in der Automobilindustrie weniger Personal gebraucht werde, bewältigten Beschäftigte in anderen Bereichen kaum noch die anfallende Arbeit – etwa beim Ausbau der Stromnetze, die durch die vielen erneuerbaren Energien zunehmend komplexer werden. Auch für die Forstwirtschaft berichtete Hans Rackwitz von steigenden Anforderungen, den durch Umwelteinflüsse geschwächten Wald zu erhalten.

Das Problem: Gewinner*innen und Verlierer*innen der Transformation sind unterschiedliche Beschäftigte mit unterschiedlichen Qualifikationen. Zwar wurden Beispiele für gelungene Umschulungen und Qualifizierungen präsentiert. Doch „insgesamt ist das Weiterbildungssystem sehr unübersichtlich“, sagte Bettina Kohlrausch, Wissenschaftliche Direktorin des WSI. Andrea Nahles, Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit, stellte das Modell der „Arbeitsmarktdrehscheiben“ vor, die an 35 Orten in Deutschland abgebende und suchende Unternehmen zusammenbringen. Der große Unterschied zur klassischen Arbeit der Bundesagentur: Hier werden Menschen beraten, die sich noch in Beschäftigung befinden. „Wenn ich jemanden anspreche, der noch nicht arbeitslos ist, aber Ängste hat, ist das ein ganz anderer Dialog“, sagte Nahles. Auf die Frage, was ihr derzeit die größten Sorgen bereite, nannte sie einen „Verfall der Lösungsorientierung“: „Es gibt kaum noch Räume, in denen wir miteinander sprechen, um zu einer gemeinsamen Strategie zu kommen.“

Dafür hatte Bettina Kohlrausch eine Lösung parat: „Der Betrieb ist ein idealer Raum, um Transformationskonflikte zu verhandeln. Dort sind Menschen daran gewöhnt, lösungsorientiert zu handeln und sich auf verbindliche Regeln zu einigen.“ Dafür müsse die Mitbestimmung gestärkt und Betriebsräte müssten mit mehr Rechten, Kompetenzen und Weiterbildung ausgestattet werden, um ihre Gestaltungsrolle noch besser wahrnehmen zu können.
Über die Gewerkschaften hinaus appellierte das WSI-Herbstforum an progressive Kräfte, die Deutungshoheit zurückzugewinnen. „Wir brauchen eine positive Vision“, forderte Andreas Hövermann. Die Berliner Autorin Sabine Rennefanz vermisste eine solche ebenfalls, mahnte jedoch, sie nicht „von oben herab und ohne moralischen Impetus“ zu verbreiten. Ein Anknüpfungspunkt für gemeinsame Antworten, könnte die Erschöpfung sein, von denen Arbeitenden verschiedener Branchen berichten, so Schaupp. Miriam Rehm regte an, die Chancen der Transformation zu betonen, ohne die Härten zu verschweigen. Denn: „Ein gutes Leben für alle ist weiterhin möglich.“

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