Quelle: HBS
Service aktuellSystemrelevant Podcast: Was die Ampel-Regierung in diesem Jahr schaffen muss
Investitionen, Europa, Inflation: IMK-Direktor Sebastian Dullien beschreibt die Herausforderungen für die neue Regierung und erklärt, warum 2022 ein Schlüsseljahr für das Land wird.
[20.1.2022]
Zu Beginn der neuen Legislaturperiode steht die Ampelkoalition vor großen wirtschaftspolitischen Aufgaben: Umfangreiche Investitionen drängen, die Dekarbonisierung muss unter erhöhtem Zeitdruck und gleichzeitig sozial umgesetzt werden, eine starke Europapolitik ist gefragt. All diese Herausforderungen stehen zudem im Schatten der anhaltenden Pandemie, während die Inflation aktuell Rekordwerte erreicht.
Welche Ziele die Regierung sich vor diesem Hintergrund gesetzt hat – und wie wichtig das Jahr 2022 für deren Umsetzung ist – erklärt Sebastian Dullien, Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung, in der neuen Folge von Systemrelevant.
Dekarbonisierung, Infrastruktur, Bildung und Demokratie: dies sind die wichtigsten Bereiche, in denen Deutschland einen immensen Investitionsbedarf verzeichnet. Sebastian Dullien schätzt die Gesamtsumme auf rund 600-800 Milliarden Euro für die nächsten 10 Jahre. Handlungsbedarf bestehe dringend, denn „wenn wir länger warten, wird es womöglich nur teurer“, so der Ökonom.
Tatsächlich erlaubt es der neue Koalitionsvertrag, bis zu 200 Milliarden Euro für Kredite jenseits der bisherigen Anwendung der Schuldenbremse auszugeben. Gleichzeitig hat die Regierung ungenutzte Kreditspannen aus 2021 in den Energie- und Klimafonds und somit in das laufende Jahr geschoben. Diese Lösung ließe sich zwar wiederholen, sei aber über die Legislaturperiode hinaus keine nachhaltige Strategie, erklärt Dullien.
Kurzfristige Spielräume könnte 2022 auch das Wirtschaftswachstum eröffnen. Hierfür gibt der IMK-Direktor eine positive Prognose ab: Omnikron habe die Unternehmen vergleichsweise weniger hart getroffen, die Spardosen der Deutschen sind voll und auch die Arbeitslosigkeit bliebe bislang im Rahmen. Obwohl weiterhin viel Kurzarbeit besteht, sollte und werde die Regierung vermutlich deren Subvention neu justieren, erklärt Dullien: „Denn wir haben zum Teil auch Kurzarbeit, die auf Managementfehler zurückgeht und wo die Unternehmen selbst mehr beitragen könnten.“
Einen großen arbeitsmarktpolitischen Fehler sieht der Ökonom in der erhöhten Obergrenze für Minijobs. Die damit verbundene Ausweitung des Sektors entspreche keineswegs dem, was die deutsche Wirtschaft brauche: eine stärkere Nutzung des Arbeitskräftepotenzials durch stabile Jobs mit solidem Einkommen. Gerade in der Pandemie habe sich gezeigt, wie wenig Sicherheit Minijobs bieten. „Die beste Entscheidung wäre eine Abschaffung des Modells gewesen“, spitzt Dullien zu.
Im Bereich Europapolitik dominieren laut dem Wirtschaftswissenschaftler Komprommise und Ergebnisoffenheit: Zu Aufbau- und Resilienzfazilität sowie Fiskalreformen verweist der Koalitionsvertrag vage auf „Flexibilitäten“, die eine ganze Menge Spielraum böten. Was das heiß diskutierte Thema Inflation in Europa betrifft, ist sich zumindest Dullien sicher: Ein höherer Leitzins der EZB und eine gedämpfte Wirtschaft würden vor dem Hintergrund auslaufender Sondereffekte keinen Sinn machen. Der Fokus müsse hingegen 2022 ganz klar auf einem Vorhaben liegen: ausreichend in die Zukunft zu investieren.
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In Systemrelevant analysieren führende Wissenschaftler:innen der Hans-Böckler-Stiftung gemeinsam mit Moderator Marco Herack, was Politik und Wirtschaft bewegt: makroökonomische Zusammenhänge, ökologische und soziale Herausforderungen und die Bedingungen einer gerechten und mitbestimmten Arbeitswelt – klar verständlich und immer am Puls der politischen Debatten.
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