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Sebastian Dullien spricht über die Krisenstimmung in Deutschland und die Vorteile des Sozialstaats Service aktuell

Krisenstimmung in Deutschland: Wir dürfen unsere Stärken nicht vergessen

Deutschland liegt in 10 von 15 Wohlstandsindikatoren vor den USA. Dennoch stehen weiterhin Herausforderungen wie die Dekarbonisierung und die Wohnungskrise im Fokus. Sebastian Dullien schreibt, warum es wichtig ist, den eigenen Weg konsequent fortzusetzen und nicht das US-Modell blind zu übernehmen.

[19.02.2024]

Derzeit gleicht die Stimmung in Deutschland dem trüben Berliner Winterhimmel: Glaubt man der Medienkommentierung, so ist die Lage schlecht, von Lichtblicken ist nichts zu sehen. Nichts funktioniere bei uns im Land, Steuern und Abgaben seien ungerechtfertigt hoch und die Regulierung erdrosselnd, die Unternehmen in der Masse auf dem Absprung zu Standorten, die vermeintlich billiger, dynamischer und innovativer sind.

Gerne wird dabei ein Vergleich zu den USA gezogen, wo etwa Energie billig und Förderungen für Investitionen durch den Inflation Reduction Act (IRA) üppig seien. Doch sind die USA wirklich die erfolgreichere Volkswirtschaft?

Klar ist, dass das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf und das Wirtschaftswachstum in den USA höher liegen als hierzulande. Gleichzeitig wissen wir aber auch seit Jahrzehnten, dass das BIP nur ein sehr unvollständiger Indikator für wirtschaftlichen oder gar gesellschaftlichen Wohlstand darstellt. Freizeit, Gesundheitsversorgung, Lebenserwartung, erfolgreicher Kampf gegen Armut, Zugang zu bezahlbarem Wohnraum oder eine intakte Umwelt – kurz: Vieles, was das Leben lebenswert macht, taucht im BIP nicht auf.

Jan Priewe, Professor im Ruhestand und früheres Mitglied des Kuratoriums der Hans-Böckler-Stiftung, hat deshalb für das IMK untersucht, wie die USA im Vergleich mit Deutschland abschneiden, wenn man sich den breiteren Wohlstand anschaut. Sein Ergebnis: Bei 10 von 15 wichtigen Indikatoren für wirtschaftlichen Wohlstand hat Deutschland die Nase vorn. So lebt es sich in Deutschland sicherer als in den Vereinigten Staaten, die Kaufkraft der durchschnittlichen Stundenlöhne ist höher als in den USA, die Menschen leben im Durchschnitt länger und sind medizinisch besser versorgt, weniger Menschen leben in Armut, die Umweltbelastung ist geringer und das Rentenniveau ist höher.

Ist also alles gut in Deutschland? Sicher nicht. Es gibt viele Herausforderungen, vom richtigen Management der Dekarbonisierung zum Erhalt von Wohlstand und Arbeitsplätzen über die Lösung der Wohnungskrise bis zur Verteidigung von Tarifbindung und Mitbestimmung. Die Untersuchung von Jan Priewe zeigt aber, dass für diese Lösung unserer Herausforderungen nicht ein blindes Kopieren des US-Sozial- und Wirtschaftssystem der richtige Weg ist, sondern eine Weiterentwicklung des deutschen Weges. Dabei mag es durchaus sinnvoll sein, den ein oder anderen Ansatz von den Vereinigten Staaten zu übernehmen, etwa im Bereich der Industriepolitik, die mit dem IRA gerade eine Renaissance erlebt. Ein Abbau unseres Sozialstaates mit Blick auf die USA aber würde riskieren, unserem Wohlstand zu schaden, ohne die wahren Probleme zu lösen.

Prof. Dr. Sebastian Dullien ist der Wissenschaftliche Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung der Hans-Böckler-Stiftung.

Weitere Informationen

Vorteil Sozialstaat, Böckler Impuls Artikel zur IMK-Study Nr. 91

Comparing living and working conditions - Germany outperforms the United States, IMK-Study Nr. 91

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