Arbeitszeit: Längere Arbeitstage lösen kein Problem
Mehrarbeit für mehr Wirtschaftskraft? Kanzler Merz setzt auf längere Arbeitszeiten – vor allem bei Frauen. Doch wer Sorgearbeit leistet, hat keine Zeitreserven. Warum mehr Erwerbsstunden nur mit fair verteilter Care-Arbeit möglich sind, erläutert Bettina Kohlrausch.
[07.07.2025]
Der Weg zu einer stärkeren Wirtschaftskraft, davon ist Bundeskanzler Friedrich Merz überzeugt, führt über Mehrarbeit. Die Umstellung von einer täglichen auf eine wöchentliche Höchstarbeitszeit soll dabei flexiblere Arbeitszeiten ermöglichen und vor allem Frauen zeitliche Spielräume eröffnen, ihre Erwerbsarbeitszeit zu erhöhen. Es stellt sich also die schlichte empirische Frage: Hätte eine Abkehr vom Acht-Stunden-Tag tatsächlich das Potenzial, das Erwerbsvolumen von Frauen zu steigern? Spoiler: eher nicht.
Zunächst arbeiten Frauen durchschnittlich ungefähr 1,5 Stunden pro Tag mehr als Männer pro Woche. Sie werden allerdings für einen geringeren Teil der Arbeit bezahlt. Dieses „Mehr“ ist vor allen Dingen Resultat des Gender Care Gaps. Erwerbstätige Frauen leisten im Schnitt acht Stunden mehr unbezahlte Sorgearbeit in der Woche als erwerbstätige Männer. Zwar könnte eine verbesserte staatliche Unterstützung bei der Kinderbetreuung hier hilfreich sein, sie würde das Problem jedoch nicht lösen. Denn der Gender Care Gap ergibt sich nicht ausschließlich oder überwiegend aus der Verantwortung für kleine Kinder, sondern aus Tätigkeiten wie Putzen, Kochen, Waschen und Einkaufen.
Kinderbetreuung ist somit eine wichtige, aber keinesfalls hinreichende Voraussetzung, damit Frauen ihre Erwerbsarbeitszeit erhöhen können. Eine mindestens ebenso wichtige Voraussetzung ist eine faire Verteilung der unbezahlten Sorgearbeit. Eigentlich bräuchte es also eine doppelte Umverteilung von Zeit: Erwerbsarbeitszeit müsste von Männern zu Frauen und Zeit für Sorgearbeit von Frauen zu Männern verteilt werden. Eine Abschaffung der täglichen Höchstarbeitszeit schafft keine zusätzlichen Zeitreserven, sie weicht lediglich den Arbeitsschutz auf.
Darüber hinaus stellt sich die Frage, wie produktiv Menschen sind, die zehn Stunden am Tag arbeiten. Die Forschung zeigt: Menschen arbeiten bei einer kürzeren Stundenzahl tendenziell effektiver. Dafür sprechen auch die zahlreichen Studien, die belegen, dass bei der Verkürzung der Arbeitszeit im Rahmen einer Vier-Tage-Woche die Produktivität nicht sinkt. Längere Arbeitsstunden hingegen führen zu mehr Fehlern und dazu, dass Menschen länger für bestimmte Tätigkeiten brauchen – die Produktivität also sinkt. Dies gilt auch für wissensnahe Tätigkeiten und Büroarbeit.
Wenn man Erwerbspotenziale gerade von Frauen ausschöpfen möchte, gibt es klügere Ansätze. Zugang zu Weiterbildung, Unterstützung bei haushaltsnahen Dienstleistungen, zum Beispiel durch Dienstleistungsgutscheine, sowie verlässliche Kinderbetreuung. Vor allem aber wünsche ich mir einen kulturellen Wandel ebenso wie institutionelle und betriebliche Anreize, damit Männer endlich die Hälfte der Sorgearbeit übernehmen.
Prof. Dr. Bettina Kohlrausch ist die Wissenschaftliche Direktorin des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der Hans-Böckler-Stiftung.
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Debatte um Arbeitszeit: Fragen und Antworten aus der Forschung
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