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Brasilien 2019: Kritiker demonstrieren gegen die Rechtsaußen-Regierung von Jair Bolsonaro. Magazin Mitbestimmung

Solidaritätsfond: Zurück zu den Wurzeln

Ausgabe 03/2019

Als sich 1973 in Chile das Militär an die Macht putschte, gründeten Stipendiaten der Stiftung Mitbestimmung einen Fonds, um Verfolgten zu helfen. Es gibt ihn noch – er soll wieder stärker Gewerkschafter schützen, die Repressionen ausgesetzt sind. Von Joachim F. Tornau

Die Seite aus einem Taschenkalender, in der Mitte durchgerissen, wurde für Rodolfo Ivan Ballesteros Fuentes zur Eintrittskarte in ein neues Leben. Mit dem halben Blatt in der Hand betrat der damals 21-Jährige im Dezember 1973 die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Santiago de Chile – und durfte bleiben, weil hier die andere Hälfte der Kalenderseite deponiert war: Identifikationsmethoden in Zeiten von Verfolgung und Terror. Kurz zuvor hatte das Militär unter General Augusto Pinochet das linke Wahlbündnis Unidad Popular unter Präsident Salvador Allende blutig aus der Regierung gedrängt. Linke Aktivisten wie der junge Student der Landwirtschaft mussten nicht nur um ihre Freiheit, sondern auch um ihr Leben fürchten. 

Als Ballesteros knapp einen Monat später in die Bundesrepublik fliegen durfte, musste er sich entscheiden, wo er wohnen wollte. „Es war mir egal, ich kannte nichts von Deutschland“, erzählt er. „Ich wollte nur meine Ruhe haben.“ Er entschied sich für Hannover. Hier hat er studiert, hier hat er geheiratet, eine Chilenin, die wie er vor dem Pinochet-Regime fliehen musste, hier hat er mit ihr eine Familie gegründet und sechs Kinder bekommen. Heute ist er 67, hat als Erdölingenieur die Welt bereist. 

„Wir wurden damals schnell integriert“, sagt Ballesteros. „Das kann man mit der heutigen Situation von Geflüchteten überhaupt nicht vergleichen.“ Exil-Chilenen wie er trafen auf viel Solidarität – bei den Gewerkschaften, an den Hochschulen, in den Betrieben. „Als ich in den Semesterferien bei VW in Hannover gearbeitet habe, ließ mich der Vorarbeiter extra eine leichte Arbeit machen, damit ich nebenher noch lesen und lernen konnte“, erinnert sich Ballesteros. „Das zeigt, wie groß die Solidarität war.“ 

In ganz besonderer Weise solidarisch zeigten sich dabei die Stipendiaten der Stiftung Mitbestimmung, einer Vorläuferin der Hans-Böckler-Stiftung: Seit dem Frühjahr 1974 spendeten sie einen Teil ihrer Stipendien für den Chile-Solidaritätsfonds, den die Stiftung auf ihre Initiative hin eingerichtet hatte, und unterstützten damit den gewerkschaftlichen Widerstand in Chile ebenso wie das Studium von geflüchteten Chilenen in Deutschland. Der Vertrauensdozent Oskar Negt setzte sich im Herbst 1974 für die Förderung der geflüchteten Chilenen ein. Einer der Geförderten war Ballesteros. Fünf Jahre lang bekam er aus dem Fonds 840 DM im Monat. „Das war besser dotiert als das BAföG“, sagt er.

Sorge um die Türkei, Ungarn und Brasilien

Den Fonds gibt es bis heute. Seit dem Ende der Militärdiktatur in Chile 1992 heißt er „Solidaritätsfonds“ und kommt gewerkschaftlichem Engagement in aller Welt zugute. Es werden vielfältige Projekte im In- und Ausland unterstützt, auch Menschenrechts- und Bildungsarbeit oder der Kampf gegen Rechts gehören dazu. Stipendiaten geben dafür rund ein Prozent ihrer Förderung, und auch die Vertrauensdozenten der Hans-Böckler-Stiftung beteiligen sich mit Spenden. 

Künftig soll sich die Verwendung dieser Mittel jedoch wieder stärker am Ursprungsgedanken orientieren. „Wir wollen Gewerkschaftern, die in ihrem Heimatland von Repression bedroht sind, Forschungs- und Studienaufenthalte in Deutschland ermöglichen“, sagt Pascal Geißler, der für die Verwaltung des Fonds zuständig ist. „Angesichts der Entwicklung in Ländern wie der Türkei, Brasilien oder Ungarn halten wir das für notwendig. Wir freuen uns, wieder an die Tradition des Fonds anknüpfen zu können.“ 

Die Gefahr, dass autoritäre Regierungen Demokratien beschädigen und versuchen, sie zu Fall zu bringen, ist überhaupt nicht gebannt. Wer wissen will, was das für die Menschen bedeutet, muss sich mit Exilanten wie Ballesteros unterhalten. Als er 1984, nach elf Jahren in der Bundesrepublik, zum ersten Mal wieder nach Chile reisen durfte, war er entsetzt von dem, was er sah: „Die Diktatur hatte das Land völlig verändert“, sagt er. „Das war ein Schock für mich.“

  • Brasilien 2019: Kritiker demonstrieren gegen die Rechtsaußen-Regierung von Jair Bolsonaro. (Foto: Cris Faga/ZUMA Wire)

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