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Magazin Mitbestimmung

Arbeitsrecht: Zeitenwende – aber in welche Richtung?

Ausgabe 03/2020

Für Arbeitszeit, Mitbestimmung und Arbeitsgerichte wurden in der Krise Sonderregeln geschaffen. Es muss genau geprüft werden, was davon wirklich fortschrittlich ist – und was sich allenfalls als Notlösung eignet.Von Johanna Wenckebach, Direktorin des Hugo Sinzheimer Instituts für Arbeitsrecht (HSI) der Hans-Böckler-Stiftung

In beeindruckender Schnelligkeit hat die Bundesregierung in den letzten Wochen wichtige arbeits- und sozialrechtliche Gesetzgebung auf den Weg gebracht, um die Folgen der Pandemie abzumildern. Im Zuge der Krise werden auch Themen angegangen, deren Bearbeitung Gewerkschaften schon lange einfordern – zum Beispiel die unsäglichen Bedingungen von Arbeit in der Fleischindustrie unter anderem durch Einsatz von Werkverträgen. An einigen Stellen sind die Gesetzesänderungen wiederum deutlich über das Ziel hinausgeschossen, und hier droht die Gefahr, dass die Krise zu einem dauerhaften Einschnitt in die Rechte von Beschäftigten und Mitbestimmungsgremien führt. Es gibt nicht wenige Stimmen, die einfordern, die Krise explizit als „Testphase“ für langfristige Lösungen zu nutzen, oder gar weitgehendere Einschnitte verlangen als die geltenden. Die Krise als Zeitenwende – aber in welche Richtung? Drei Beispiele, die sehr kritischer Betrachtung bedürfen:

1. Die Änderung des Arbeitszeitgesetzes. Unter bestimmten Umständen besteht nun befristet die Möglichkeit, die tägliche Arbeitszeit auf bis zu zwölf Stunden auszudehnen und die täglichen Ruhezeiten auf neun Stunden zu verkürzen. Eine entsprechende Verordnung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales gilt zunächst bis zum 30. Juni. Es ist aber möglich, dass sie verlängert wird. Sie gilt für die „systemrelevanten“ Berufe wie den Gesundheitssektor, die Polizei, aber auch für Teile des Handels, die Landwirtschaft oder IT-Berufe. Die wöchentliche Höchstarbeitszeit von 60 Stunden darf zwar nicht überschritten werden, sofern in Zwölf-Stunden-Schichten gearbeitet wird. Selbst davon kann in dringenden Ausnahmefällen abgewichen werden. Das gibt Arbeitgebern zwar nicht die Möglichkeit, einseitig Arbeitsbedingungen oder gar Tarifverträge zu verändern. Trotzdem ist das Signal fatal falsch und weckt bereits jetzt Begehrlichkeiten auf Arbeitgeberseite auch für die Zeit nach der Krise. Die Betriebs- und Personalräte stellt diese Situation vor große Herausforderungen. Sie sollten nur in Notsituationen, befristet und unter engen Auflagen Betriebsvereinbarungen abschließen, die längere Arbeitszeiten ermöglichen.

2. Die Mitbestimmung von Betriebs- und Personalräten. Durch eine Ministererklärung des Bundesarbeitsministers sind jetzt auch Betriebsratssitzungen mittels Video- oder Telefonkonferenz zulässig; die gefassten Beschlüsse sind wirksam. Es war wichtig, die Handlungsfähigkeit der Gremien in der Zeit des Lockdown zu erhalten, kein Zweifel. Aber es macht den Eindruck, als seien lange und aus gutem Grund umstrittene Entscheidungen zur Digitalisierung nun übers Knie gebrochen worden. Die nun geltenden Regeln zu Beschlüssen ohne gemeinsame Präsenzsitzung, um ein Beispiel zu nennen, stellen nicht ausreichend klar, dass diese nur befristet und als letztes Mittel Präsenzsitzungen ersetzen können. Der Grundsatz der Nichtöffentlichkeit hat für die Arbeit von Interessenvertretungen nicht nur, aber vor allem dort eine ganz wichtige Funktion, wo Betriebsräte von Arbeitgebern bekämpft werden. Gleichzeitig wurde eine wichtige Regelung dazu, wie Wahlen von Interessenvertretungen auch in der Pandemie ermöglicht werden sollen, nicht getroffen. Damit hat der Kompromiss eine Schlagseite. 

3. Die Digitalisierung im Arbeits- und Sozialgerichtsverfahren. Auch hier freuen sich bereits einige über Corona als „Testphase für Online-Courts“. Denn ebenfalls im Eilverfahren wurde u. a. befristet geregelt, dass Arbeitsgerichte ehrenamtlichen Richtern gestatten können, an der Verhandlung von einem anderen Ort aus per Video teilzunehmen, wenn ihre persönliche Anwesenheit aufgrund der epidemischen Lage „unzumutbar“ ist. Ehrenamtliche Richterinnen und Richter sind insbesondere mit ihrer Praxiserfahrung für die Arbeitsgerichtsbarkeit aber unverzichtbar. Sie sind Richter im Sinne des Grundgesetzes und Teil des Gerichts. Dass nun ausgerechnet ihre physische Anwesenheit für verzichtbar erklärt wurde, wird dem Grundsatz der Gleichberechtigung mit Berufsrichtern nicht gerecht. Bedenklich ist auch, dass die Arbeitsgerichte anders als bisher auch anordnen dürfen, dass „die Parteien, ihre Bevollmächtigten und Beistände sowie Zeugen und Sachverständige an einer mündlichen Verhandlung von einem anderen Ort aus teilnehmen, sofern diese die technischen Voraussetzungen für die Bild- und Tonübertragung in zumutbarer Weise vorhalten können“. Abgesehen von vielen daraus folgenden Rechtsunsicherheiten: Studien zeigen, dass die Parteien, die nicht vor Gericht präsent sind, Nachteile in Gerichtsverfahren haben. Zudem ist eine perfekte technische Ausstattung auch eine Ressourcenfrage. Der DGB hatte deshalb dringend davon abgeraten, diese Regeln zu erlassen, weil zu Recht Nachteile für die Arbeitnehmerseite bei der „prozessualen Waffengleichheit“ befürchtet werden. Ein faires Arbeits- und Sozialgerichtsverfahren ist essenziell für die Durchsetzung von Beschäftigtenrechten.

Zum Ende dieser Pandemie wird also sehr genau darauf zu achten sein, dass Notlösungen für Krisenzeiten auch solche bleiben. 

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