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Magazin Mitbestimmung

: Wenn die Arbeit ausbleibt

Ausgabe 05/2009

STANDORTSICHERUNG Dramatische Auftragseinbrüche bedrohen vielerorts Arbeitsplätze. Doch einige Betriebsräte lassen sich davon nicht einschüchtern und kämpfen mit Kompetenz und innovativen Konzepten gegen die Folgen der Krise.

Von MATTHIAS HELMER, Journalist in Göttingen/Foto: Jürgen Seidel

Tief hängen die Wolken über dem Rothaargebirge, Nebelschwaden, Nieselregen - der Himmel an diesem Aprilmorgen passt zur Krisenstimmung dieser Tage. Doch der Eindruck trügt. "Wir stehen noch halbwegs gut da", sagt Wolfgang Schlabach, der Betriebsratsvorsitzende der SMS Siemag AG in Hilchenbach. Erst Ende März wurde sein Unternehmen - ein führender Anbieter für Hütten- und Walzwerkstechnik - umbenannt: Aus der SMS Demag wurde die SMS Siemag, ein Name, der an die Wurzeln der Firma erinnern soll, die 1918 gegründete, traditionsreiche Siegener Maschinenbau AG (Siemag).

GEWACHSENE AKZEPTANZ_ Auch Betriebsrat Schlabach versucht in der Krise, an bewährte Tugenden anzuknüpfen. Er kämpft schon seit einigen Jahren dafür, dem Dumping-Dogma der Wirtschaft Alternativen entgegenzusetzen: Besser statt billiger. "Oder: ,Billig gleich teuer‘, wie wir hier sagen", erklärt Schlabach. Die Kampagne der IG Metall Nordrhein-Westfalen wurde in diesem Betrieb mit geboren, was bei genauerem Hinsehen allerdings nicht verwundert. Immerhin hat der zweite Vorsitzende der Gewerkschaft, Detlef Wetzel, hier seine Lehre absolviert und sitzt heute noch im Aufsichtsrat der AG und der Holding.

"Besser statt billiger" lautet auch heute die Devise bei SMS Siemag, um die Krise halbwegs schadlos zu überstehen. "Unser Auftragsvolumen ist um die Hälfte zurückgegangen, und genauso sieht es bei den geplanten Projekten aus. Im Moment haben wir keine Planungssicherheit", sagt Wolfgang Schlabach. Doch der Betriebsrat lässt sich nicht entmutigen, sondern baut auf seine guten Erfahrungen mit der "Besser"-Strategie. Am Ausgangspunkt der 2004 gestarteten Kampagne stand seinerzeit zwar kein mit heute vergleichbarer Einbruch, aber ein gewaltiger Strukturwandel: Zwischen 1995 und 2007 gingen in NRW im Organisationsbereich der IG Metall rund 195 000 Arbeitsplätze verloren. Und weitere Standortschließungen und Verlagerungen wurden angedroht. Auch bei der SMS Demag, einem Unternehmen, das vor allem vom Export - zunehmend auch nach Asien - lebt. "Wir haben damals gesagt, das kann auf Dauer so nicht laufen, wir können hier in Deutschland nicht die Personaldiskussion führen und uns mit Ländern wie China vergleichen", erinnert sich Schlabach.

Stattdessen machte man sich Gedanken über Produktionsabläufe, Produkte und die Qualifizierung der Beschäftigten. Der gelernte Konstrukteur Schlabach und seine Kollegen machten sich beispielsweise für den Erhalt der Getriebefertigung stark. Und sie setzten sich für den Ausbau des Servicegeschäfts ein. Die Manager begegneten all dem anfangs mit Skepsis. Doch angesichts der geballten Kompetenz des Betriebsrates - auch bei wirtschaftlichen Themen - konnten sie nur schwerlich widersprechen. Auch weil es mit dem Unternehmen aufwärtsging: Die Beschäftigtenzahlen des Wälzanlagenherstellers sind seit 2004 kontinuierlich gewachsen, von rund 4700 auf über 6000 Anfang 2009 - und der Anstieg erfolgte dabei vor allem im Inland. "Mittlerweile ist ‚Billig gleich teuer‘ auch ein gängiger Slogan bei unserem Vorstand", sagt Schlabach mit einem Augenzwinkern. Und die Akzeptanz der Arbeitnehmervertreter ist seitdem enorm gewachsen, auch bei Führungskräften und Ingenieuren.

"Anpacken, durchhalten und speziell auch weiterqualifizieren - das ist der Ansatz, den wir auch jetzt fahren, um aus der Krise gestärkt hervorzugehen", sagt Schlabach. So wurde ein Projekt mit dem Titel "Innovationsoffensive" aufgesetzt. Zudem arbeitet man gerade an einer neuen Werksrahmenplanung, um die Zusammenarbeit der Unternehmensbereiche zu verbessern. Dabei geht es um nicht unbeträchtliche Investitionen. "Wir sagen jetzt in der Krise nicht, alles ist Mist, sondern investieren in Zukunft und Zukunftstechnologien", sagt der Betriebsrat, der nie nur Experte für Kündigungen und Sozialpläne sein wollte. Erst tags zuvor hat er einen Workshop zum Thema Ressourceneffizienz besucht. Solch vorausschauendes Handeln sorgt mit dafür, dass auch in diesen schweren Zeiten der Firmenparkplatz der SMS Siemag nicht wegen Kurzarbeit oder Zwangsurlaub leer bleibt wie bei vielen anderen Betrieben. Und das, obwohl es dem Hauptkunden des Unternehmens, der Stahlindustrie, momentan besonders dreckig geht. "Dort wurden die Kapazitäten um 50 Prozent zurückgefahren", weiß Schlabach.

Vom Auftragseinbruch sind die SMS-Standorte in China genauso betroffen wie in Indien, den USA und Europa. "So extrem wie im Moment habe ich das in meinen fast 40 Berufsjahren noch nicht erlebt", sagt Schlabach. Da müsse man schon schauen, wie lang das Durchhaltevermögen ist - auch eines Besitzers. "Wir haben das Glück, dass wir zwar eine Aktiengesellschaft, aber nicht börsennotiert sind. Wir sind im Familienbesitz, daher ist der lange Atem noch gegeben", ist Schlabach froh.

HAUSAUFGABEN GEMACHT_ Knapp 100 Kilometer westlich, bei der Deutz AG in Köln, ist die Lage ernster. "Unser Unternehmen verzeichnet im ersten Quartal rund 50 Prozent weniger Auftragseingänge und Umsatz als im Frühjahr 2008. Und auch das Gesamtergebnis ist negativ", sagt der Betriebsratsvorsitzende Werner Scherer. Beim Dieselmotorenbauer steht deshalb seit einigen Wochen Kurzarbeit auf der Tagesordnung, nachdem sich der Handlungsspielraum über Arbeitszeitkonten im Januar erschöpft hatte, wie Scherer berichtet. Deutz beliefert vor allem Hersteller von Baumaschinen und Nutzfahrzeugen, eine Branche, die besonders massiv von der Krise betroffen ist. Etwas besser sah es bislang noch im Bereich Landmaschinen aus, aber auch hier zeichnet sich allmählich ein Auftragsrückgang ab. Gleichwohl ist der Betriebsrat zuversichtlich. "Entscheidend ist, dass wir schon vor der Krise unsere Hausaufgaben gemacht haben." Die Hausaufgaben, von denen Scherer spricht, wurden wie im Fall SMS Demag über den Weg einer "Besser"-Strategie erledigt.

Ausgangspunkt war, dass das Unternehmen im Jahr 2005 plante, die mechanische Fertigung nach Polen zu verlagern. In den Jahren zuvor hatte es bereits andauernde Reibungen zwischen Management und Betriebsrat gegeben, unter anderem mit Lohnverzicht und Sanierungs-Tarifvertrag, die jedoch die Situation bei Deutz kein Stück verbessert hatten (siehe Magazin Mitbestimmung 11/2005). "Da ist uns klar geworden, dass wir in den entscheidenden Gremien, also im Wirtschaftsausschuss und im Aufsichtsrat, mit eigenen Konzepten aufwarten müssen", berichtet Betriebsrat Scherer. Man habe dann angefangen, neben den herkömmlichen, isolierten Einzellösungen, die man im betriebsrätlichen Tagesgeschäft so entwickelt, ein ganzheitliches Konzept zu entwerfen. Am Ende stand ein Standort- und Fertigungskonzept für alle deutschen Standorte unter der Prämisse, nicht "Billiger Jakob" zu sein, sondern bei Produkten und Prozessen besser zu werden. Dazu gehörten hohe Investitionen in Forschung und Entwicklung sowie die Stärkung des Servicebereichs. In dieser Zeit wurde auch viel in die Betriebe investiert, um die Eigenfertigung zu stärken und um mittlerweile ausgelagerte Fertigung wieder reinzuholen. "Durch die Prozessverbesserungen können wir günstiger produzieren und wettbewerbsfähig gegenüber Fremdanbietern sein", berichtet Scherer. Die Beschäftigtenzahlen stiegen derweil von 4800 auf über 6000 im Jahr 2008 an, wobei 80 Prozent davon zuletzt in Deutschland arbeiteten.

NICHT OHNE DRUCK_ Innerhalb der Belegschaft hat der Betriebsrat seinerzeit massiv für seinen Ansatz geworben. Auf Betriebsversammlungen, wo das Konzept zur Wahl gestellt wurde, stimmten 97 Prozent der Beschäftigten für das Gesamtpaket - eine deutliche Aufforderung an den Vorstand. "Unsere Devise war, mit Konzept, aber auch mit Druck zu arbeiten", sagt Scherer. Er ist sich sicher: Ohne Druck aus der Belegschaft lassen sich solche Konzepte nicht gegenüber Unternehmensleitungen und Anteilseignern durchsetzen. Und dieses Signal ist offenbar bei der Geschäftsführung angekommen: Jedenfalls gibt es aktuell keine erneuten Vorstöße, Bereiche auszulagern. Vielmehr hat man sich gemeinsam mit dem Betriebsrat darauf verständigt, keine Abstriche bei Forschung und Entwicklung zu machen. F&E ist auch der einzige Bereich, wo keine Kurzarbeit gefahren wird. In den anderen Abteilungen kommt man allerdings auch bei Deutz nicht mehr ohne Kurzarbeit aus, in unterschiedlichsten Varianten von vier bis zu zehn oder zwölf Tagen. Parallel dazu läuft seit einem Monat ein Programm zum freiwilligen vorzeitigen Rentenbeginn, bei dem Beschäftigte, die älter als 60 Jahre sind, ein Angebot vom Unternehmen bekommen, vor dem 65. Lebensjahr auszuscheiden.

Werner Scherer ist überzeugt, dass Deutz für die Zeit nach der Krise gut gerüstet ist. "Wir haben versucht, die Eigenfertigung stark zu beeinflussen, also das Thema ‚Make or buy'. Und da liegen im Moment auch die Erfolge, die wir uns in den zurückliegenden vier Jahren kräftigst erarbeitet haben." So hat man gemeinsam mit dem Management ein Entscheidungsraster für etwaige Verlagerungen erarbeitet. Zudem schaut man sich nach neuen Produkten und Technologien um: So wurden etwa unlängst Hybridmotoren für Baumaschinen präsentiert. Besonders wichtig aber sei es, so Scherer, dass man heute anhand von Daten, Fakten und Analysen mit dem Management diskutieren könne.

GRÖSSERE OFFENHEIT_ Inger Korflür von der Dortmunder Beratungsfirma Sustain Consult hat den "Besser-statt-billiger"-Ansatz in den vergangenen Jahren - gemeinsam mit der IG Metall - in viele Unternehmen getragen und etlichen Betriebsräten unter die Arme gegriffen. Ihrer Einschätzung nach gehen vor allem jene Betriebe, die auch vorher schon fantasielos agiert haben, jetzt völlig kopflos mit der Krise um. "Viele Unternehmen haben auch schon vor der Krise Troubleshooting für eine gute Form des Managements gehalten", kritisiert Korflür. "Dagegen stehen die Betriebe, die über den Tag hinaus denken, jetzt ein bisschen besser da." Eben auch jene "Besser-statt-billiger"-Firmen, in denen Betriebsräte Innovationen mit vorantreiben und die richtigen Themen setzen.

Die Beraterin stellt fest, dass in der Krise kurzfristiges Handeln dominiere, einfach um das Überleben zu sichern. Denn auch gesunde Unternehmen bringe diese Krise in Schwierigkeiten. Auf der anderen Seite müssten sich die Unternehmen aber strategische Gedanken machen. "Gerade in Krisenzeiten werden die Weichen für langfristige Entwicklungen gestellt - wie man jetzt an der Autoindustrie sieht. Da muss man sich einen guten Startplatz für das Rennen danach sichern", sagt Korflür. Daher sei in der Krise die Offenheit für Diskussionen über neue Technologien oder Produkte eher größer geworden. Das gelte sowohl für Unternehmensleitungen wie auch für Betriebsräte. "Die Offensive ,Besser-statt-billiger‘ passt sehr gut dazu, weil wir immer die zukünftigen industriellen Perspektiven in den Mittelpunkt stellen", sagt Korflür. Darüber hinaus gebe es auch in den operativen Fragen der Krise ein "Besser": Man könne Kurzarbeit machen, oder man könne Kurzarbeit mit Qualifizierung verbinden.

"Gerade jetzt sind die Kompetenzen von Betriebsräten gefragt", sagt Korflür. Sie sind oft seit Jahrzehnten im Betrieb und kennen sich in strategischen Fragen genauso aus wie in den Prozessen - häufig besser als das Management. Durch diese einzigartige Perspektive und ihre Möglichkeiten als Betriebsräte sind sie oft die einzigen, die Dinge anstoßen, welche Unternehmensleitungen - gerade in Krisenzeiten - nicht auf dem Schirm haben, die aber überlebenswichtig sind.

Da es noch nicht überall zum Besten bestellt ist, hilft Sustain Consult - gemeinsam mit der IG Metall - Betriebsräten dabei, sich gegenseitig zu stärken. "Wir ermuntern sie, die Form der kollegialen Beratung für den Erfahrungsaustausch zu nutzen", sagt Korflür. Dabei werden auch Wissenschaftler und andere Experten hinzugezogen. Es geht zum Beispiel um die Frage, wie sich die Einführung des Elektromotors perspektivisch auf Automobilzulieferer auswirken könnte oder welche Entwicklungen es in Sachen Produktionskonzepte gibt.

ATMENDE INSTRUMENTE_ "Wir müssen gerade in der Krise Argumentationsstärke und Durchsetzungskraft aufbauen und Alternativen zu den gängigen ,Billiger‘-Strategien des Managements aufzeigen", sagt Jochen Schroth. Er leitet beim Vorstand der IG Metall das 2008 neu gegründete Ressort "Arbeit und Innovation". Im Augenblick gebe es bei der Gewerkschaft eine absolute Fokussierung auf Krisenbewältigung und Beschäftigungssicherung, berichtet Schroth. So wurde eine "Taskforce Krisenintervention" eingerichtet, deren operative Umsetzung bei den Bezirksleitungen liegt. Ergänzend hat man in Frankfurt eine Clearingstelle gebildet, die bei Bedarf die Finanzierung von Unternehmensberatern unterstützt. Momentan laufe das aber noch vergleichsweise ruhig, "weil wir in den meisten Fällen unsere betriebsverfassungsrechtlichen Möglichkeiten zur Finanzierung betrieblicher Erstberatungen nutzen können." Zudem lasse sich derzeit noch viel über die "atmenden Instrumente" wie Arbeitszeitkonten, Kurzarbeit oder Beschäftigungssicherungs-Tarifverträge regeln. Schroth befürchtet aber, dass auf die Taskforce noch viel Arbeit zukommen wird, wenn die Krise voll durchschlägt. Immerhin habe die IG Metall durch politische Einflussnahme schon einiges bewegt, etwa die Abwrackprämie oder die Verlängerung von Kurzarbeit, kombiniert mit Qualifizierung. Damit habe man Zeit gewonnen, um langfristige Lösungen suchen zu können.

"Unsere Aufgabe ist es, Hilfestellungen zu entwickeln und den Kolleginnen und Kollegen vor Ort zur Verfügung zu stellen, damit sie damit arbeiten können. Das tun wir im Augenblick sehr erfolgreich", sagt Schroth. So wurde ein "Notfallkoffer" zusammengestellt, der über das Intranet abrufbar ist und der umfangreiche Instrumente enthält, die je nach Situation eingesetzt werden können - von Musterbetriebsvereinbarungen zur Kurzarbeit bis hin zu Tipps für Landesbürgschaften. Zudem hat der Vorstand das Projekt "Früherkennung und Innovation" gestartet mit Teilprojekten in den Bezirken, bei denen es gerade in der Krise darum gehe, die Rolle der Gewerkschaft als aktiv handelndem Akteur zu stärken und mittel- und langfristige Perspektiven zur Beschäftigungssicherung zu entwickeln. Derzeit wird ein Diagnosewerkzeug getestet, mit dem die Innovationsfähigkeit von Unternehmen geprüft werden kann. "Wir wollen, dass die Rolle der Arbeitnehmer im Innovationsprozess, die in vielen Betrieben völlig ungenügend ist, stärker wahrgenommen wird. Und die momentane Situation ist ein sehr guter Zeitpunkt, sich als IG Metall mit diesem Thema auf neue Art zu beschäftigen", sagt der Metaller.


Mehr Informationen

Standortverlagerung - Fehlentscheidungen kosten Arbeitsplätze und Geld. Herausgegeben von der IG Metall Bezirksleitung Nordrhein-Westfalen. Düsseldorf 2008, http://www.nrw.igmetall.de/, http://www.kompetenz-innovation.de/

Mit "Früherkennung und Innovation" in die Offensive. Arbeit und Innovation 1/2009. Herausgegeben vom
Vorstand der IG Metall, Betriebs- und Mitbestimmungspolitik, www.igmetall.de/download

http://www.sustain-consult.de/

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