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Magazin Mitbestimmung

: Mitbestimmung im permanenten Ausnahmezustand

Ausgabe 11/2005

Die HypoVereinsbank hat turbulente Jahre hinter sich. Für die Interessenvertreter war das nicht leicht - zumal der Organisationsgrad der Belegschaft bescheiden ist und die ver.di-Mehrheit im Betriebsrat knapp. Was bringt die Übernahme durch UniCredit?

Von Wilhelm Pauli
Der Autor ist Publizist in Berlin.   

Früher, bei der Bayerischen Vereinsbank, da war's noch schön. Jedenfalls gemütlich. Der Betriebsratsvorsitzende war ein patriarchalischer Mensch, der quatschte mit den Chefs und dann entschied er. Manchmal hörte er sich die tiefen Gedanken seines Betriebsrates an. Manchmal kam was Vernünftiges raus. Nicht, dass so die Vision des Roland Pauli, damals in HBV-Opposition zur DAG-Mehrheit, von erfolgreicher Interessenvertretung gewesen wäre.

Aber so war's. Betriebsratssitzungen dauerten, wenn's hoch kam, einen Tag. Die Themen waren von geringer Brisanz. "Beigaben zu Quarknachspeisen", spitzt Pauli zu. Heute, bei der HypoVereinsbank, geht nichts unter drei Tagen. Und es geht fast immer ums Überleben: von Hunderten von Kollegen im Betrieb, von Abteilungen und Niederlassungen. Oder ums Beerdigen, Abbremsen von panikdurchschossenen Firmenstrategien.    

"Strategien!" 

Bei einer geträumten Weltbank wie der HVB sieht es so aus: Der Hälfte der Belegschaft - Aktienhändler, Derivatehändler, Firmenhändler, jungakademische Neoliberale - ist eine Gewerkschaft, ein Betriebsrat eher peinlich, vorsintflutlich, "geht ihnen glatt am Arsch vorbei". Zürnt der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende. Der Organisationsgrad ist von solcher Delikatess', dass man ihn immerzu gerade leider nicht weiß. Nur so viel: Er ist noch geringer, als man befürchtete. Gleichwohl, die andere Hälfte weiß ihren Betriebsrat zu nutzen, als Ratgeber, Rechtsanwalt, Informationsschalter, Sprachrohr. Alte Schwellenscheu hat merklich nachgelassen. Allerdings nimmt gegenwärtig die Muffigkeit unter dem Eindruck diverser Enthüllungen an anderen Orten wieder zu.

Die Wahlbeteiligung lag zuletzt (2002) bei 52 Prozent. Mobilisierung zu Versammlungen oder seltenen eintägigen Streiks zeugen von Einfluss weit über den Organisationsgrad hinaus, so dass das "Manager Magazin" anlässlich erster Schweißperlen auf der Nase von "Deutschlands bekanntester Managerin", Christine Licci, die seit Anfang des Jahres das Privatkundengeschäft der HVB wieder zu einem Geschäft machen soll, sich im Juni derart hinreißen ließ: "Bei der Citibank zogen alle mit, meist bekam Licci, was sie wollte. Bei der HVB aber ist der Betriebsrat mächtiger - so mächtig, dass der Konzernvorstand es nicht einmal schafft, die Poststelle gegen seinen Willen auszulagern."

Hier befinden wir uns schon im Zentralmassiv des "permanenten Ausnahmezustandes", so Pauli. Allein im Privatkundengeschäft hat die HVB in den letzten vier Jahren fünf Vorstände verbraucht, und Nummer sechs, Frau Licci, scharrt wenige Monate nach Übernahme der Verantwortung, wegen der Fusion mit der UniCredit, so heftig an der Schwelle zum Büro des Vorstandsvorsitzenden, dass wieder ein Rumor sondergleichen ist.

Jeder Neue aber muss mit neuen Ideen glänzen, und jede neue Idee bedeutete bei der HVB: Umstrukturierung. Und jede Umstrukturierung bedeutet Verschieben von Mitarbeitern, Auslagern von Abteilungen - "aus jedem Scheiß wird ein Profit- oder Kompetenzcenter", höhnt Pauli, mit der Folge von immer komplizierteren Abläufen und Reibungsverlusten an den Schnittstellen und abenteuerlichen Schönrechnereien.

Der Betriebsrat, zunehmend gezwungen, die Geschäftsstrategien präventiv zu hinterfragen und Gegenstrategien zu entwickeln, kommt beim ständigen Strategienwechsel kaum noch hinterher. Vor den Betriebsratszimmern bilden sich gelegentlich Schlangen verunsicherter Mitarbeiter. 

Es ist schon so, dass - über den Daumen - 50 Prozent der Belegschaft die Vorteile eines Betriebsrates zu schätzen wissen. Aber in die Gewerkschaft eintreten wollen sie dann doch nicht. Vielen ist der Beitrag zu hoch. Ein Schmerz kommt hinzu: Sie haben hier eine nicht ungeschickte Opposition am Hals, deren Wurzeln noch in der alten Hypo liegen, wo man stolz darauf war, möglichst gewerkschaftsfern, wenn nicht gewerkschaftsfeindlich zu agieren, die einen altbayerischen "Mir-san-mir"-Standpunkt" mitbrachte und sich bloß um "unsere Leit", die "Hyponesen" kümmern wollte.

53 Prozent hat die ver.di-Liste bekommen bei den letzten Wahlen, sechs Prozent eine Liste junger Akademiker, mit der sich gut koalieren lässt. 40 Prozent diese Opposition, das "Gesamtbetriebsteam". Und das ist zu keiner Zusammenarbeit bereit. Eher herrscht Sabotage. Und die herzlose Belegschaft spricht: "Verschon mich damit, Betriebsrat, wir haben euch nicht gewählt, damit ihr euch streitet." Das ist der Stoff, aus dem die Magengeschwüre sind.   

Wie konnte es zu diesem Chaos kommen?  

Roland Pauli ist betrübt. Eigentlich hatte es nach der Fusion von Bayerischer Vereinsbank und Bayerischer Hypotheken- und Wechselbank zur HVB erträglich begonnen. Die Folgen der ersten großen Stellensparwelle 2003, es ging in München um 1000 Seelen, konnten abgefedert werden, unter anderem durch ein eigens vom Betriebsrat ersonnenes System von gut abgefundenem freiwilligen Ausscheiden.

Aber mehr und mehr verdüsterten verschleierte Milliardenflops aus Immobilien, Verdampfung von Geld in Südostasien und Aktienhype die Stimmung, die kurz davor in höheren Kreisen geradezu aufgeputscht worden war. So wurde da geredet: "Meine Damen und Herren, eine Bank ist kein Kreditinstitut. Das können Sie vergessen! Wir verkaufen Aktien, Aktien, Aktien!"

Als die Blase der neuesten Ökonomie platzte und man leidlich zur Besinnung kam, war inzwischen das Kundengeschäft verschlampt, die Kompetenz dafür nur noch sparsam vorrätig. Es gab keine attraktiven Produkte, die man anzubieten hatte. Außerhalb Münchens und Umgebung war die Welt aufgeteilt. Warum sollte jemand zur HVB?

Statt aber neue Produkte zu entwickeln: wieder Umstrukturierung. Seltsame Pläne von sechs Banken in einer Bank wurden entwickelt. Die Kundschaft sollte je nach Einlagekraft segmentiert, hin- und hergereicht oder nur noch am Telefon verarztet werden. Die aber war verärgert und drehte der HVB den Rücken.

Warum nur fehlt es einem Vorstand so an Verstand? - gefragt ins Weite des deutschen Managements. "Natürlich gibt es Unterschiede", schnauft Roland Pauli: "Der vorherige Chef, Albrecht Schmidt, war ein beratungsresistenter, sturer Holzkopf. Von Beruf Jurist. Der jetzige, Dieter Rampl, ist ein diskursfähiger Mensch, der Bank von der Pike auf gelernt hat."

Aber insgesamt sind sie nicht so schlau, wie sie glauben: "Sie sind relativ abgehoben und haben auch keine Lust, sich mit den Niederungen des konkreten Geschäftes zu beschäftigen. Die sitzen mit Unternehmensberatern zusammen und lassen sich die neuesten Management-Philosophien einblasen. Dann treten sie ein in die Konkurrenz der Management-Moden, um dabei zu sein. Und die zweite Reihe lebt vom Hüpfen von Projekt zu Projekt und will nicht Filialleiter werden."   

Und was jetzt? 

Jetzt muss in der Aufdröselung der verwinkelten und verblockten Arbeitsabläufe wieder verschlankt und erneut Belegschaft verwirbelt und verabschiedet werden. Bis zu 600 Mitarbeiter sind in München betroffen. Und das hat noch nichts mit den Italienern zu tun. "Wir sitzen schon wieder im Abwehrkampf dagegen, und dagegen, dass die relativ guten Bedingungen, die wir 2003 ausgehandelt haben, ausgehebelt werden.

Und ganz oben im Aufsichtsrat, da sitzt unser Vertreter als stellvertretender Vorsitzender und wird mit in die ‚Alles-ein-Pack‘-Gesamthaftung genommen." Da ist er sehr im Zweifel, der Roland Pauli, ob das was bringt. Ob da nicht die Fronten im Auge der Belegschaft zu sehr verschwimmen?

"Ein guter Betriebsrat muss halt präsent sein. Auf Rücken- und Handschlag. Die Belegschaft sollte ihn nicht bloß vom Foto kennen. Er muss Vertrauen aufbauen. Taten müssen Worten folgen. Die Belegschaft muss ständig informiert sein. Unsere Informationsdichte ist wahrscheinlich die höchste in München. Und wenn ein Betriebsrat auch ein bisschen Politiker ist und auf den Versammlungen anheizen kann, kann das auch nicht schaden.

Aber wir hocken in Sitzungen, bis wir ertauben, dann kommt die Büroarbeit, die Einzelberatung der Konfliktfälle…" Der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende hat rund 3000 Leute in seinem Betreuungsbereich. Wann soll er die betreuen? Zumal er gezwungen ist, immer wieder dahin zu laufen, wo es gerade brennt. Die Vertrauensleute, die Betriebsratskandidaten müssen auch betreut und motiviert werden. Gott sei Dank macht ver.di gute Schulungsarbeit. 

Roland Pauli: "Wir fallen von einer Krise in die nächste. Wir fallen von einer Umstrukturierung in die nächste. Wir fallen von einem Personalabbauprogramm in das nächste. Und weil das nicht reicht, verkaufen wir in der Kantine noch fette Kontingente von Karten für den FC Bayern. Oder tüten bestellte ein und kontrollieren, ob auch bezahlt wird. Wir arbeiten viel zu lang und schleppen die ungelösten Probleme durch die Wochenenden. Die Häute werden dünner, die Ausfallzeiten häufiger. Es gibt Kollegen, bei denen fängt die Schreibhand zu zittern an."  




"Mit Blick auf die erweiterte EU" 
Warum die Betriebsräte der HypoVereinsbank mehrheitlich der Fusion mit UniCredit zugestimmt haben: Fragen an Peter König, den Vorsitzenden des Gesamtbetriebsrates und stellvertretenden Vorsitzenden des Aufsichtsrats.  

Wie hat sich die Aufsichtsratsarbeit seit der "bayerischen Fusion" 1998 entwickelt?
Die Veränderungen der letzten Jahre waren dramatisch. In meinem ersten Aufsichtsratsjahr war ich der Einzige, der nach dem Prüfbericht verlangte. Das war damals eine verdammt elitäre Veranstaltung: Der Aufsichtsratsvorsitzende hat keine Fragen gestellt und so gut wie keine zugelassen, und der Vorstand hat keine beantwortet, weil er keine gestellt bekam. Immerhin gab es dann Einblick in einen schmalen Ausdruck. Heute packt man mir 1670 Seiten auf den Tisch. Fürs Wochenende. Die Änderung ging mit der Fusion von Bayerischer Vereinsbank und Bayerischer Hypotheken- und Wechselbank einher. Durch das Aufeinandertreffen zweier Bankkulturen und ihrer Protagonisten, die Zeit brauchten, um sich einzuspielen, war der Aufsichtsrat gefordert. Und dennoch wurde uns der wirkliche Zustand der Bank erst Ende 2002, mit dem Ende der Ära Albrecht Schmidt als Vorstandsvorsitzendem, offenbar. Mit Dieter Rampl kam es zur notwendigen Offenheit und Transparenz. Zu spät, wie wir jetzt wissen. 

Die neuerliche, "italienische Fusion" ist in der Belegschaft unumstritten?
Die Betriebsratsmehrheit hat der Fusion mit der Mailänder UniCredit zugestimmt. Allein konnten wir uns nicht mehr halten. Jedes stürmische Wetter hätte uns umgeblasen. Wir haben eine Bestandsgarantie von fünf Jahren für die HBV AG in Deutschland erreicht. Was sie wert ist, wird sich zeigen. Eine Fusion mit einer deutschen Bank hätte unüberschaubar viele Arbeitsplätze gefordert. Man denke an die letzte: In jeder größeren Münchner Straße rechts eine Hypo-, links eine Vereinsbankfiliale. In Deutschland gibt es keine UniCredit. Wir wollen jetzt 100 neue Filialen in Polen eröffnen. Die UniCredit hat da schon 400. Das muss nicht automatisch zu Kollisionen führen. In Polen hat erst jeder Dritte ein Konto. Da ist noch Musik drin. Deutschland, Italien, Österreich, Tschechien, Polen - die Basis der neu fusionierten Bank: Das hat, gerade mit Blick auf die erweiterte EU, gute Perspektiven.  

Welche Auswirkungen hat die Fusion auf Kräfteverhältnisse und Mitbestimmung?
Nur eine Warnung: Selbst bei unserer Bank Austria, dem Zuckerstückerl für UniCredit-Chef Profumo, beträgt der Organisationsgrad 65 Prozent. Bei der UniCredit ungefähr 75 Prozent. In Italien sind das alles bezahlende Gewerkschaftsmitglieder. Die wollen was für ihr Geld. Gerade waren zwei italienische Gewerkschaftskundschafter da, die wollten wissen, wie unsere Mobilisierungsbereitschaft ist für den Fall, dass bei der Fusion etwas schräg läuft.
Die fragen nicht nach dem "Ob", da geht's nur ums "Wann". Wenn also Herr Profumo einmal spannt, wie bei uns die Mitbestimmung in Banken funktioniert, wird er sich gegebenenfalls seine Gedanken machen, wo er spart. Auch in unserem Europäischen Betriebsrat steht dann die Frage, ob er sich in Richtung deutscher Mitbestimmung oder italienischer Gewerkschaftsmacht verändert.  

Was macht den redlichen Arbeitnehmer im Aufsichtsrat aus?
Gradlinigkeit. Sich nicht vereinnahmen lassen. Kompetenz. Sich gegen die aufsteigende Einsamkeit wehren, die aus der Verschwiegenheitspflicht rührt. Ich habe zu wenig Zeit für die Kollegen in meinem Betreuungsbereich, also muss ich mich noch mehr im Betriebsrat absprechen und austauschen. "Erden". Manchmal wird auch Bankenpolitik über lancierte Presseberichte gemacht. Als die UniCredit in der Tür stand, da konnte ich sagen: "Kollegen, geht mal davon aus, dass das, was in der Zeitung steht, richtig ist." Da war mir wohler. Aber es bleibt traurig: Bei weniger Managementfehlern hätten jetzt wir die UniCredit übernommen, und nicht die uns.  




Der Übernahmekandidat 
Die Bayerische Hypovereinsbank (HVB) ist nach der Deutschen Bank die zweitgrößte Bank in Deutschland. Die Geschichte ihrer Vorgänger reicht bis ins 18. Jahrhundert zurück - in ihrer heutigen Gestalt entstand die HVB jedoch erst im Jahr 1998: In der größten Fusion der deutschen Bankengeschichte schlossen sich die Bayerische Vereinsbank sowie die Bayerische Hypotheken- und Wechsel-Bank zur HVB zusammen.  Durch Altlasten der Vorgänger geriet die neue Großbank jedoch noch im Gründungsjahr ins Straucheln, als sie Sonderabschreibungen in Höhe von 3,5 Milliarden Mark aus ostdeutschen Immobilienbeständen der Hypo bekannt geben musste.

Mittlerweile summieren sich die Abschreibungen auf 23 Milliarden Euro. Den Altlasten steht im ersten Halbjahr 2005 ein Gewinn von 550 Millionen Euro gegenüber, hauptsächlich aus der Bank Austria Creditanstalt, die im Jahr 2001 von der HVB übernommen wurde.  Der HVB-Konzern, der stark in Mittel- und Osteuropa expandiert, beschäftigt insgesamt 59300 Mitarbeiter (Stand: Juni 2005). Vor fünf Jahren waren es noch 73000.

Derzeit steht die HVB vor der Übernahme durch die italienische Großbank UniCredit, die im Tausch gegen eine HVB-Aktie fünf eigene Aktien anbietet. Für eine erfolgreiche Übernahme benötigen die Italiener 65 Prozent der Aktien. Am Ende waren es über 80 Prozent, darunter Aktien aus Landesbesitz und das 18,3-Prozent-Paket des Großaktionärs Münchener Rück.

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