Nachruf: Mit Kraft und trockenem Humor
Michael Sommer erzielte an der Spitze des DGB viele Erfolge für Beschäftigte. Er verstarb am 30. Juni im Alter von 73 Jahren. Von Gustav Horn
Mitte des Jahres 2004 lud mich Michael Sommer zu einem Treffen bei seinem Lieblingsitaliener am Stuttgarter Platz in Berlin ein. Er empfing mich mit den Worten: „Ich möchte dir ein unsittliches Angebot machen.“ Das unsittliche Angebot bestand in der Gründung eines neuen Wirtschaftsinstituts. Es war die Zeugung des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung, dessen Geburt dann Anfang 2005 folgte. Und es war gleichsam der Beginn einer beruflichen Beziehung, die den Perspektiven der Gewerkschaften in Deutschland im makro-ökonomischen Diskurs wieder mehr Gehör verschaffte.
Das war in jener Zeit nicht selbstverständlich. Es war die Zeit der Agenda 2010 und unter Ökonomen und in der Politik wurde ernsthaft darüber diskutiert, ob kollektive Tarifverhandlungen noch zeitgemäß seien. Michael Sommer hat damals sehr gelitten. Diese öffentliche Missachtung und diese seinerzeit weitverbreitete Geringschätzung der Gewerkschaftsbewegung widersprach allem, wofür er stand und gehandelt hat.
Aufgewachsen in der Nachkriegszeit in sehr bescheidenen Verhältnissen und als Kind einer ledigen Mutter, konnte er durch die Arbeit in Gewerkschaften eine gesellschaftliche Akzeptanz erreichen, die ihm und seiner Mutter ansonsten verwehrt blieb. Das Beispiel Michael Sommers zeigt deutlich, welche bedeutende Rolle die Gewerkschaften für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft spielen. Sie ermöglichen vielen den sozialen Aufstieg, die sonst am Rande stehen würden und keine Chance hätten. Das galt seinerzeit für große Teile der Nachkriegsgeneration und es gilt auch heute noch. Gewerkschaften sind für viele Menschen mit Migrationshintergrund der Weg in die Mitte unserer Gesellschaft.
Michael Sommer ist diesen Weg mit seiner Postgewerkschaft, der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi und später dem DGB gegangen. Bei seinem Abschied als DGB-Vorsitzender sprach die damalige Bundeskanzlerin, und das halbe Kabinett war anwesend. Das hatte auch mit den großen Erfolgen zu tun, die Michael Sommer im Laufe seiner Amtszeit als Vorsitzender des DGB und des Vorstands der Hans-Böckler-Stiftung erzielte. So konnte er in der Finanzkrise vorher verpönte Konjunkturprogramme durchsetzen, wodurch sich der Anstieg der Arbeitslosigkeit in Grenzen hielt. Angesichts des stärksten Wirtschaftswachstumseinbruchs seit dem Zweiten Weltkrieg wäre er ansonsten dramatisch gewesen.
Michael Sommer hat sich für den Mindestlohn starkgemacht. Zum Ende seiner Amtszeit als DGB-Vorsitzender rückte dessen Einführung in greifbare Nähe und wurde wenige Wochen später beschlossen. Er brachte vor allem im Osten unseres Landes Millionen von Menschen deutliche Einkommenssteigerungen.
Michael Sommer steht für eine Generation, die mit dem wirtschaftlichen Aufstieg der Nachkriegszeit aufgewachsen ist. In dieser Zeit erreichten auch die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dank starker Gewerkschaften ihren gerechten Anteil am Wohlstand. Später, in Verantwortung stehend, sah er sich dann den ersten Krisen einer globalisierten Welt ausgesetzt, bei denen Arbeitnehmerrechte teilweise massiv unter Druck gerieten und immer noch geraten.
Michael Sommer hat sich diesen Herausforderungen mit seiner ganzen Kraft und seinem trocken-sarkastischen Humor gestellt. Er hat uns nun verlassen. Wir werden ihn vermissen.
GUSTAV HORN, Gründungsdirektor des IMK