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Magazin Mitbestimmung

: Immer in Alarmbereitschaft

Ausgabe 12/2010

FRACHTGUT Durch Paketbomben sind Beschäftigte von Fluggesellschaften und Speditionen besonders gefährdet. Es mangelt an Kontrollen und damit an sicheren Arbeitsbedingungen. Von Eva-Maria Simon

EVA-MARIA SIMON ist Journalistin in Plauen./Foto: Roberto Pfeil, dapd

Christian T.* muss jeden Tag mit dem Schlimmsten rechnen. Er arbeitet in der Abfertigung einer großen Frachtfluggesellschaft. Jeden Tag nimmt er Pakete von Lieferanten an, untersucht die Frachtdokumente nach auffälligen Absendern, nach einer möglichen Paketbombe. Seit im Oktober zwei Pakete mit sprengstoffgefüllten Druckerpatronen aus dem Jemen auftauchten - eins wurde am Flughafen Köln/Bonn umgeladen und gelangte bis nach Großbritannien -, sind Christian T. und seine Kollegen in Alarmbereitschaft. Wer jeden Tag Pakete transportiert oder untersucht, für den ist das Risiko, bei einer Explosion verletzt oder getötet zu werden, besonders hoch. Außerdem müssen die Beschäftigten derzeit mit fast täglich wechselnden Sicherheitsregeln klarkommen: "Wenn das so weitergeht, brauchen wir mehr Personal", sagt Christian T.

Doch daran hapert es bei den Fluggesellschaften oft; sie klagen, dass sie keine geeigneten Mitarbeiter fänden. Arne von Spreckelsen, Referatsleiter Nationale und Internationale Verkehrspolitik in der ver.di-Bundesverwaltung, kritisiert, dass jetzt die Airlines die Pakete selbst untersuchen. Früher war das Aufgabe des Bundesgrenzschutzes, der heutigen Bundespolizei. "Der Staat muss sich auf seine Kernaufgabe besinnen: die Gewährleistung der Sicherheit", so von Spreckelsen. Wenn Personal fehle, steige die Gefahr vor allem für die Beschäftigten: "Darüber sind wir sehr besorgt."

WIE SICHER IST DIE ‚SICHERE LIEFERKETTE'?_ Zwar hat der Bundestag für das kommende Jahr 450 neue Planstellen für die Luftfrachtkontrolle genehmigt. Doch es ist noch nicht klar, wo und wie die Sicherheitsleute arbeiten sollen. Nach Auskunft der Bundespolizei steht auch noch nicht fest, ob die Regierung bis 2014 tatsächlich 1000 Stellen streicht, wie ursprünglich geplant.

Mehr Sicherheit geht nur mit mehr Personal; das sieht auch der Deutsche Speditions- und Logistikverband (DSLV) so: "Das Luftfahrtbundesamt ist personell nicht besonders gut ausgestattet", kritisiert sein Sprecher Ingo Hodea. Und der Bundesverband Internationaler Express- und Kurierdienste (BIEK), der fast alle Großen der Branche vertritt, wünscht sich von der Politik vor allem eins: "Die Zuständigkeit für die Luftfracht muss endlich geklärt werden", sagt Geschäftsführer Marten Bosselmann. Zurzeit ist die Bundespolizei für die Passagiere, das Luftfahrtbundesamt aber für die Fracht zuständig.

Nicht nur Politiker, auch viele Transportunternehmen basteln an neuen Sicherheitslösungen. Die meisten wollen aber nicht darüber reden. Michael Göntgens, Sprecher von Lufthansa Cargo, spricht aus, was sich wohl alle wünschen: "Die Fracht muss sicher sein, wenn sie an Bord unserer Flugzeuge geht." In der Praxis ist das nicht so einfach. Lufthansa Cargo verlädt nach eigenen Angaben im Schnitt pro Lieferung Güter von einer Tonne Gewicht. Zudem: Eine Industriewalze passt in kein Röntgengerät.

Deshalb müssen sich die Mitarbeiter auf die sogenannte "sichere Lieferkette" verlassen: Sie brauchen Pakete nicht zu durchleuchten, wenn diese von einem "reglementierten Beauftragten" kommen. Das ist zum Beispiel eine Spedition, die vom Luftfahrtbundesamt zertifiziert und regelmäßig überprüft wird. Der reglementierte Beauftragte wiederum muss die Pakete untersuchen, etwa mit Röntgengeräten - es sei denn, er hat die Ware von einem "bekannten Versender" erhalten. Auch dieses Zertifikat vergibt das Luftfahrtbundesamt; es kontrolliert zum Beispiel, ob der Versender die Pakete vor Unbefugten schützt und seine Mitarbeiter schult. Fazit: Verschickt ein bekannter Versender seine Pakete über einen reglementierten Beauftragten, so gelangen diese undurchleuchtet in den Flugzeugbauch. Somit können die Mitarbeiter der Frachtfluggesellschaften nicht darauf zählen, dass sie nur röntgengeprüfte Pakete in die Hand bekommen - und müssen immer auf Überraschungen gefasst sein. ver.di-Luftfahrtexperte Arne von Spreckelsen bezweifelt, dass diese Kontrollen des Luftfahrtbundesamtes ausreichen: "Das sind doch Potemkinsche Dörfer."

ZEITDRUCK UND MIESE BEZAHLUNG_ Potenzielle Sicherheitslücken gebe es vor allem bei kleinen und mittleren Speditionen, sagt Anton Hirtreiter vom Fachbereich Postdienste, Speditionen und Logistik bei ver.di in Bayern. Die Branche wachse schnell, sei kaum zu überblicken. Das Luftfahrtbundesamt hat über 600 reglementierte Beauftragte gezählt. Und die Wirtschafts- und Verkehrsberatungsgesellschaft KE-Consult stellt in ihrer Marktanalyse 2010 zur Bedeutung der Kurier-, Express- und Paketdienste fest, dass die Zahl der Sendungen seit dem Jahr 2000 um 29 Prozent gewachsen ist. Der Preisdruck sei groß.

Den scheint so manches Unternehmen an seine Beschäftigten weiterzugeben. Auf Hirtreiters Schreibtisch liegen Arbeitsverträge über 780 Euro Bruttomonatslohn bei 48 Wochenstunden. In der Praxis seien Fahrer sogar oft 60 bis 70 Stunden pro Woche auf der Straße. "Dass bei diesen Firmen einiges im Sicherheitsbereich nicht gut läuft, ist klar", so Hirtreiter. Bei solchen Arbeitsbedingungen sei es auch denkbar, dass ein Mitarbeiter empfänglich werde für Angebote von Terroristen. Hinzu kommt ein Grundproblem der Branche: "Man steht ständig unter Zeitdruck", sagt ein Betriebsrat bei einem großen Paketdienstleister. Der Branchenverband BIEK schätzt, dass seine Mitglieder dennoch fast alle Sendungen durchleuchten.

Die kleineren Unternehmen dagegen schaffen das nicht. "Wenn man alle Pakete mit Röntgenstrahlen untersuchen wollte, könnte man den Frachtverkehr in Deutschland gleich ganz einstellen", sagt ver.di-Experte Arne von Spreckelsen. Zu zeitaufwendig und teuer wäre das. Stattdessen müssten bereits die Hersteller dafür sorgen, dass beim Produzieren und Verpacken niemand von außen ein Paket einschmuggeln könne. Fremde sollten möglichst keinen Zugang zu den Werkshallen haben. Mitarbeiter müssten beim Betreten nicht nur den Ausweis, sondern auch den Inhalt ihrer Taschen zeigen. Trennwände in den Fabriken sollten so gebaut sein, dass eine Explosion nur einen Teil des Gebäudes zerstören kann. Entsprechende Baumaßnahmen solle der Staat steuerlich fördern. Und für Frachtfluggesellschaften und Speditionen gelte, dass die Arbeiter an den Röntgengeräten etwa jede halbe Stunde wechseln sollten, wie es bei einigen großen Unternehmen schon üblich ist: "Da darf sich keine Routine einschleichen."

Leicht gesagt, bei der Menge an Paketen, die in Deutschland täglich durch die Luft fliegen. Etwa am europäischen Luftfrachtdrehkreuz von DHL am Flughafen Leipzig/Halle: Jede Nacht verladen die Mitarbeiter dort bis zu 1500 Tonnen Päckchen und Dokumente; in der Stoßzeit landen die Flugzeuge im Minutentakt. Ob und wie das Unternehmen das alles durchleuchtet, gibt es nicht bekannt. Klar ist aber: Wer schon vorher mit Paketen hantiert, etwa hinter dem Schalter in einer der 14 000 DHL-Filialen, hat keinen Schutz. Somit bleiben Sicherheit und Kontrolle in der Logistikbranche stets relativ. Und die Beschäftigten weiterhin in Alarmbereitschaft.


* Name von der Redaktion geändert

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