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Magazin Mitbestimmung

: Gewerkschafter strafen SPD ab

Ausgabe 10/2009

BUNDESTAGSWAHLEN Deutlicher als im Gesamtwahlergebnis zeigt sich unter gewerkschaftlichen Wählern der Absturz der SPD. Unter der neuen Koalition haben es linke Positionen so schwer wie zuletzt in der Ära Kohl. Von Kay Meiners

KAY MEINERS ist Redakteur des Magazins Mitbestimmung

Die Stimmung in den Gewerkschaftszentralen war nach dem Wahlsonntag geknickt. "Schrecklich!" war da zu hören, oder einfach nur das Wort "Katastrophe". Schwarz-Gelb - das war vor der Wahl eine mögliche, aber keineswegs eine ausgemachte Sache. Die Vertreter der Einheitsgewerkschaft hatten während des Wahlkampfes sorgfältig auf parteipolitische Neutralität geachtet. Doch dass die Zukunft dem Gespann Merkel und Westerwelle gehören sollte, das haben die Gewerkschafter in diesem Land mehrheitlich nicht gewollt. Selbst DGB-Vize und CDU-Mitglied Ingrid Sehrbrock reagierte vor der Wahl ablehnend auf die Frage, ob sie sich auf die Neuauflage von Schwarz-Gelb freue: "Aber nein - als Gewerkschafterin will ich eine Regierung, die Arbeitnehmerinteressen vertritt." Und ergänzte, die große Koalition sei "besser als ihr Ruf".

Nun geht es der CDU mit einem Anteil an den Zweitstimmen von 33,8 Prozent derzeit auch eher bescheiden. Aber es geht ihr besser als der SPD, und damit hat man derzeit schon gewonnen. Die eigentlichen Gewinner der Wahl sind die kleinen Parteien. Die Grünen und die Linkspartei werden davon aber wenig haben, weil sie nicht mitregieren. Die dicke Ernte aber hat die FDP eingefahren, die gewerkschaftskritischste der etablierten Parteien. Nur sie kann ihr historisch gutes Ergebnis von 14,6 Prozent in politische Macht ummünzen und mit der CDU regieren, die sonst eine große Koalition eingegangen wäre.

Es bleibt das Paradox, dass diese Wahl zugleich ein Aufbruch in eine neue Zeit ist und eine letzte Blüte der alten Verhältnisse. Die Wähler haben eine neue Landschaft an den Horizont gemalt, ein Fünfparteiensystem, in dem die großen Volksparteien an Bindekraft verlieren und kleinere Klientelparteien an Einfluss gewinnen. Doch zugleich erinnert die Regierung, die jetzt antritt, Deutschland aus der Krise zu führen, an die alte politische Landschaft der 80er Jahre, an die Zeit vor und nach der Wende, in der die Regierung Kohl Sicherheit und Stabilität versprach, aber soziale Reformen verschlief.

Warum konnten die Gewerkschaften nicht verhindern, was offensichtlich unerwünscht war? Ein Grund ist, dass ihr gesellschaftlicher Einfluss allein nicht ausreicht, Wahlentscheidungen zu drehen. Der zweite ist, dass Gewerkschafter zwar linker, aber am Ende kaum weniger heterogen wählen als die Gesamtbevölkerung.

HERAUS KÄME DER KOALITIONSKANZLER STEINMEIER _ Die Mannheimer Forschungsgruppe Wahlen befragte im Auftrag des DGB-Informationsdienstes "einblick" rund 2400 Gewerkschaftsmitglieder nach ihrem Wahlverhalten.* Deutlich zeigte sich in den Zahlen eine Hassliebe zur SPD - eine immer noch starke Beziehung, bei der derzeit die kritische Distanz zu überwiegen scheint. Noch immer ist die SPD unter Gewerkschaftern die beliebteste Partei. Immerhin 33,6 Prozent der Gewerkschaftsmitglieder geben der linken Volkspartei ihre Stimme. Hätten sie das Sagen in Berlin, regierte jetzt eine große Koalition mit Frank-Walter Steinmeier als Kanzler.

Doch zugleich haben die Gewerkschafter die SPD brutal abgestraft. Die 33,6 Prozent Zweitstimmen sind ein kläglicher Rest dessen, was noch 2005, wohlgemerkt nach der Agenda 2010, möglich war. Seit der vergangenen Bundestagswahl rutschte die alte Arbeiterpartei in der gewerkschaftlichen Wählergunst noch einmal um 13,7 Prozentpunkte nach unten, während die CDU und die FDP im gleichen Zeitraum sogar zulegen konnten. Dabei muss man mitbedenken, dass zu den Befragten auch Mitglieder des Deutschen Beamtenbundes sowie der christlichen und anderen kleinen Spartengewerkschaften zählen. Trotzdem ist das Bild weniger exotisch, als man denkt. Denn auch in der Gesamtwählerschaft hat die SPD mit einem Minus von 11,2 Prozentpunkten erdrutschartig verloren, die CDU hat sich trotz eines Minus von 1,4 Prozentpunkten stabilisiert, wogegen die FDP ihr Ergebnis um 4,8 Prozentpunkte verbessern konnte.

Die Bindung junger Gewerkschaftsmitglieder an die altehrwürdige SPD, die stets bereit war, Verantwortung für das Ganze zu übernehmen, lässt dramatisch nach. Während von den alten Kämpen im Rentenalter fast jeder Zweite sein Kreuz bei der SPD macht, ist es in der Altersklasse der 18- bis 29-Jährigen, zu der auch die gewerkschaftlich organisierten Erstwähler gehören, nur jeder Vierte. Da bei den Gewerkschaften eher die älteren Jahrgänge dominieren, fällt das noch nicht so auf - schließlich vereinen die Volksparteien unter gewerkschaftlichen Wählern noch immer 58,5 Prozent der Zweitstimmen auf sich. Das ist ungefähr so viel wie in der Gesamtbevölkerung, wobei im Wahlvolk insgesamt die CDU, unter Gewerkschaftern aber die SPD die milieufestere Partei ist. Die Erosion ist freilich nicht zu übersehen.

Es scheint, als hätten die Eingriffe des Staates in die Wirtschaft die liberal-konservative Wählerschaft in doppelter Weise stabilisiert. Merkel gelang es während ihrer Liaison mit der SPD, ihre Fangemeinde in der CDU immerhin zu halten, was auch eine Leistung ist - die marktliberal eingestellten Wähler, die sich abwandten und mit einer starken FDP gegen den wachsenden Einfluss des Staates im Zuge der Krisenbewältigung protestierten, fängt sie jetzt durch einen Wechsel des Koalitionspartners wieder ein. Das war strategisch klug, es könnte ihr aber noch schwerfallen, diese gegenläufigen Strömungen auszutarieren.

In diesem Spektrum müssen sich auch die Gewerkschaften orientieren. Der DGB-Vorsitzende Michael Sommer hat dazu erklärt, die Gewerkschaften seien bereit, mit der neuen Regierung "konstruktiv zusammenzuarbeiten", wo dies möglich sei, wo es nicht mögliche sei, würden sie sich aber zu wehren wissen: "Es liegt in der Hand der Koalition." Dabei kommt es entscheidend darauf an, welche Rolle der Arbeitnehmerflügel der Union künftig im Regierungslager spielen wird.

DER UMKÄMPFTE LINKE KUCHEN_ Die linken Parteien sind, obwohl zahlenmäßig fast genauso stark wie die neue Koalition, einflusslos und uneinig wie seit vielen Jahren nicht mehr. Da es keine der im Bundestag vertretenen Parteien geschafft hat, Nichtwähler in nennenswerter Zahl zu mobilisieren, gibt es einen häßlichen Verdrängungskampf um den linken Kuchen. Unter den gewerkschaftlich organisierten Wählern lässt sich dieser Kampf besonders gut verfolgen. Hier erreichte die Linkspartei 17,3 Prozent der Wähler, deutlich mehr als in der Wählerschaft insgesamt, wo es 11,9 Prozent sind.

Es ist auch der Erfolg der Linkspartei, der die SPD geschwächt hat. Die Mannheimer Zahlen zeigen, dass Gewerkschaftsmitglieder die Linkspartei vehementer unterstützen als der Rest der Bevölkerung. Bei ostdeutschen Gewerkschaftern ist sie besonders beliebt. Zwar dürfte auch in dieser Wählergruppe eine Koalition der beiden Volksparteien CDU und SPD mit knapp über 50 Prozent weiterregieren. Die dritte - und als Einzelpartei stärkste - Kraft aber wäre mit 32 Prozent die Linkspartei. Bemerkenswert ist jedoch, dass sie bei der jüngsten Wählergruppe unter 29 Jahren deutlich schlechter abschneidet. Hier erreicht sie nur 19,3 Prozent.


* Als Gewerkschaften versteht die Forschungsgruppe Wahlen alle Arbeitnehmerorganisationen, u.a. den Deutschen Beamtenbund.

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