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Magazin Mitbestimmung

Arbeit der Zukunft: Europa muss auch sozial führend sein

Ausgabe 04/2016

Der Präsident der Europäischen Kommission will die soziale Säule stärken und lädt ein zum Dialog. Von Jean-Claude Juncker, Präsident der Europäischen Kommission

Europa muss Weltklasse bleiben – für mich bedeutet das, dass wir nicht nur wirtschaftlich, sondern auch sozial führend sind. Die von mir geleitete Europäische Kommission hat deshalb in diesem März einen Dialog eröffnet, mit dem wir die soziale Säule der Europäischen Union stärken. Zu diesem Dialog möchte ich Sie herzlich einladen. 

Dabei verstehe ich das Buch zur „Arbeit der Zukunft“, das der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann herausgegeben hat, als wichtigen Beitrag – nicht nur, weil ich gern darin gelesen habe, sondern auch, weil ich darin die Themen gefunden habe, die mich und einen Großteil meiner Kollegen in der Kommission ebenfalls beschäftigen. Vieles finden Sie in meinen zehn Prioritäten wieder, die ich im Europäischen Parlament vorgestellt habe, bevor ich von diesem zum Präsidenten der Europäischen Kommission gewählt wurde. Unser gemeinsames Bestreben geht für mich aber weit über die einzelnen Bereiche hinaus, die wir ganz offenkundig europäisch gestalten müssen, wie den digitalen Binnenmarkt, Migration oder eine soziale Handels- und Wirtschaftspolitik. 

Denn die Frage, wie die Arbeit der Zukunft aussieht, können wir letztlich nur beantworten, wenn wir unser gesamtes europäisches Konzept der sozialen Marktwirtschaft für die Zukunft wappnen. Die Beiträge des Buches führen deutlich vor Augen, dass wir keine Zeit zu verlieren haben, wenn es darum geht, die Weichen für die Arbeitswelten von morgen zu stellen. Globalisierung und Digitalisierung verändern diese so schnell, dass die Verfasser der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, die 1948 das Recht auf Arbeit niederschrieben, vermutlich einen Schock erleiden oder sich in einem Science-Fiction-Roman wähnen würden, wenn sie auch nur einen Tag unseren Alltag erlebten. Computer und Smartphones, Digitalisierung und Flexibilisierung, Algorithmen und Globalisierung bestimmen die Geschwindigkeit unseres Handelns – und das kann eine große Chance sein, neue Arbeitsplätze und Geschäftsmodelle für die Zukunft zu schaffen. Wir müssen das Potenzial nur nutzen und die Bedingungen der digitalen Revolution in unserem Sinne gestalten. 

Es ist deshalb an uns, schnell Antworten zu finden, die Europas Arbeits- und Sozialmodell zukunftssicher machen und gewährleisten, dass die Arbeit dem Menschen dient – und nicht die Menschen für Maschinen oder die Wirtschaft arbeiten. Wir werden Lösungen finden müssen, wie wir junge Menschen für die Zukunft ausbilden und Arbeitnehmern Chancen bewahren, indem sie ständig weiterlernen können. Arbeit schafft nur dann Zukunft, wenn sie Fairness gewährt und sichert: So haben wir bereits einen Vorschlag vorgelegt, um die EU-Entsenderichtlinie zu ändern, damit gleiche Arbeit am gleichen Ort auch gleich entlohnt wird. Wir arbeiten außerdem an europäischen Regelungen, die ein Gleichgewicht aus Sicherheit und Flexibilität für Arbeitnehmer und Unternehmen herstellen. Darüber hinaus bedeutet ein angemessener sozialer Schutz auch, dass alle einen Zugang zu wichtigen Dienstleistungen, zu Gesundheitsversorgung und Pflegediensten – also zu einem Leben in Würde – haben. 

Sozialpartner stärker beteiligen 

Jene europäischen Leitplanken arbeits- und sozialrechtlicher Standards, die Reiner Hoffmann zu Recht fordert, bauen wir also bereits. Wir haben ebenfalls das Europäische Semester so umgestaltet, dass nicht nur die nationalen Parlamente, sondern auch die Sozialpartner frühzeitig Teil des Politikprozesses sind. Damit begegnen wir einer der Schwachstellen des Euro, die die Autoren des von Reiner Hoffmann herausgegebenen Buches diagnostiziert haben: Wir vollenden deshalb einerseits die Bankenunion, damit die Steuerzahler nicht länger für Banken, die in Schieflage geraten, aufkommen müssen. Und wir stellen andererseits sicher, dass alle Reformen und Investitionen, zu denen sich die EU-Mitgliedstaaten verpflichtet haben und verpflichten werden, von sozialen Prinzipien als Kompass des Handelns geleitet sind. Denn ich bin fest davon überzeugt, dass wir alle – jetzt und langfristig – von den Stärken unserer gemeinsamen Währung profitieren, wenn wir die Architektur des Euro wirtschaftlich wie sozial stärken.

So wie bei Fragen unserer Gemeinschaftswährung möchte ich die Sozialpartner künftig bei allen Politikbereichen enger eingebunden wissen. Der Dialog zur sozialen Säule ist der Moment und die Möglichkeit, gemeinsam die soziale Marktwirtschaft von morgen und übermorgen zu gestalten – sodass uns die Menschen in aller Welt auch künftig darum beneiden. 

Mehr Informationen

Reiner Hoffmann/Claudia Bogedan (Hrsg.): Arbeit der Zukunft. Möglichkeiten nutzen – Grenzen setzen. Campus Verlag 2015. 520 Seiten 29,90 Euro

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