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Magazin Mitbestimmung

: Eine offene Rechnung

Ausgabe 10/2006

In El Salvador setzen sich Frauen, die für Zulieferer von Adidas, Nike und Co. geschuftet haben, gegen Lohnbetrug und schlechte Arbeitsbedingungen zur Wehr. Dabei nehmen sie auch die Konzerne selbst in die Pflicht.



Von Reingard Zimmer
Die Autorin ist Juristin und Stipendiatin der Hans-Böckler-Stiftung. Sie promoviert bei Wolfgang Däubler, Professor für Arbeitsrecht an der Universität Bremen zu internationalen Mindeststandards und ihren Durchsetzungsmechanismen.


Es ist laut vor dem Hilton Princess Hotel in San Salvador, der Haupstadt El Salvadors, an diesem Nachmittag. Aus dicken Lautsprechern schallen den eleganten Hotelgästen Forderungen einer aufgebrachten Menge Frauen entgegen: "Seit neun Monaten haben wir kein Geld mehr erhalten, wir haben genug davon, verschaukelt zu werden", brüllt die Gewerkschafterin Estela Marina Ramirez ins Mikrofon. Die Demonstranten, ganz überwiegend Frauen, sind ehemalige Beschäftigte von Hermosa Manufacturing, einer der Firmen, die hier für den Weltmarkt produzieren. Von den Firmen Adidas und Nike, für die sie geschuftet haben, fordern sie eine Entschädigung für erlittene Arbeitsrechtsverletzungen sowie für ausstehende Löhne und Abfindungen.

Die Hotelgäste sind irritiert. "Was wollen diese Demonstranten hier?" fragen sie das Hotelpersonal. Die Angestellten sind ratlos. Sie haben keine Ahnung, warum seit Stunden die Eingänge des Luxushotels blockiert werden. Die Antwort ist einfach: Im Hilton Princess logiert Gregg Nebel, der Sozialverantwortliche von Adidas, zuständig für den amerikanischen Kontinent, der auch die Kooperation mit salvadorianischen Lieferanten des Sportartikelkonzerns aus Herzogenaurach betreut. Eine gute Gelegenheit, Druck auf die Markenkonzerne auszuüben, für die die Frauen bei Hermosa-Manufacturing produziert haben - auch wenn ein Gespräch mit Gregg Nebel bei dieser Gelegenheit nicht zustande kommt.

Markenunternehmen wie Adidas oder Nike lassen schon lange nicht mehr im eigenen Land fertigen. Stattdessen wurde die Produktion in Länder verlagert, wo die Arbeit billiger zu haben ist. Allerdings unterhalten sie in Ländern wie Thailand, Vietnam oder El Salvador keine eigenen Produktionsstätten - gearbeitet wird mit einem Netzwerk von Zulieferern, die nicht selten auf Subunternehmer zurückgreifen.

Regelmäßig weisen internationale Beobachter wie die Hilfsorganisation Oxfam auf die überwiegend problematischen Arbeitsbedingungen in der weltweiten Bekleidungs- und Sportartikelproduktion hin. Arbeitszeiten von 90 Wochenstunden sind in Stoßzeiten keine Seltenheit und die geleisteten Überstunden nicht immer freiwillig.

Gewerkschaften werden in aller Regel nicht toleriert. Zudem decken die Löhne nicht den Lebensunterhalt. Auch in den Maquilas, den Weltmarktfabriken von El Salvador, beklagen die Mitarbeiter einer anderen Maquila, des taiwanesischen Adidas-Vertragspartners Chi Fung, die schlechte Behandlung durch das Aufsichtspersonal und den enormen Arbeitsdruck. Wenn das hohe Soll nicht erreicht werde, so erzählen sie, müsse nachgearbeitet werden, um überhaupt den nationalen Mindestlohn von 151,20 US-Dollar monatlich zu erhalten.

Zum Arzt durfte nur, wer schwer krank war

"Dabei reicht der Mindestlohn schon vorn und hinten nicht zum Leben", erklärt eine Arbeiterin. Das bestätigt auch eine Untersuchung der Christlichen Initiative Romero aus Münster, nach deren Berechnungen eine vierköpfige Familie in El Salvador bereits ca. 138 US-Dollar benötigt, um nur den Grundbedarf an Nahrung zu decken. Zur Befriedigung der Grundbedürfnisse setzt sie die doppelte Summe an, für einen erweiterten Grundwarenkorb, der auch Konsumgüter einschließt und als Grundlage eines würdevollen Lebens angesetzt wird, wäre das Fünffache dessen nötig, was eine Person in der Maquila verdienen kann.

Estela Ramirez und ihre Kolleginnen, die jetzt vor dem Hilton Hotel demonstrieren, waren zusammen mit ein paar Männern bis Mai 2005 bei der Maquila Hermosa im Norden von San Salvador beschäftigt - hier haben sie Sportkleidung für Markenunternehmen wie Adidas, Nike, Reebok, oder Russel Athletics gefertigt.

Die Arbeitsbedingungen in dem Betrieb waren noch extremer als bei anderen Adidas-Zulieferern. Zum Arzt durfte nur, wer schwer krank war, Toiletten waren verschlossen und Schwangere, die das Soll nicht mehr erfüllten, wurden "zur Strafe", wie es hieß, tagein tagaus in die Cafeteria gesperrt, wo sie bewegungslos verharren mussten. Nachdem Estela und sechs Kolleginnen den Mut gefasst hatten, im April 2005 eine Betriebsgewerkschaft zu gründen, wurde knapp einen Monat später die Fabrik geschlossen.

"Er hat immer gedroht, den Laden dicht zu machen"

Montalvo Marchado, der Inhaber von Hermosa, macht hierfür wirtschaftliche Gründe geltend - schon länger, so erklärte er, sei es dem Unternehmen nicht gut gegangen. Das lassen die Gewerkschafterinnen nicht gelten: "Er hat doch immer damit gedroht, den Laden zuzumachen, falls sich eine Gewerkschaft bildet", sagt Florinda Jaminez*. Außerdem, so erzählen sie, habe der Unternehmer seine zweite Fabrik ausgebaut. "Dahin hat er aber nur diejenigen mitgenommen, die nichts mit uns zu tun hatten." Ihre Kollegin Rosa Stradena* berichtet, dass während der fünf Jahre, die sie in dem Betrieb arbeitete, immer wieder entlassen worden sei, wer gewerkschaftlich aktiv geworden sei. Dennoch haben sich schließlich sieben Frauen organisiert.

"Die Arbeitsbedingungen waren hier nie besonders gut, aber als uns dann nicht einmal mehr der mickrige Lohn ausgezahlt wurde, war das Maß voll", erklärt Ramirez. "Und dann hat sich auch noch herausgestellt, dass Montalvo jahrelang die Sozialabgaben nicht abgeführt, sondern in die eigene Tasche gesteckt hat. All diese Gelder fordern wir jetzt." Bereits ohne die veruntreuten Sozialabgaben, so haben die Gewerkschafterinnen ausgerechnet, schuldet der Unternehmer ihnen und 64 Kolleginnen, die sie unterstützen, exakt 164.577 US-Dollar.

Die Chancen, das Geld im eigenen Land einzutreiben, stehen schlecht. Ihr früherer Boss hat alle Güter auf seine Frau überschrieben und ist als Mitglied der Regierungspartei ARENA mit der Elite des Landes fest verbandelt. Unter fadenscheinigen Begründungen wurden die meisten Individualklagen der Mitarbeiter zugunsten des Arbeitgebers entschieden. Nun wenden sich die Hermosas, wie sie sich nennen, direkt an die Konzerne, für die sie in den letzten Jahren geschuftet haben.

Adidas, einer der früheren Auftraggeber von Hermosa, weist jede Verantwortung weit von sich. Man sei letztlich nicht verantwortlich, da es sich um einen "unabhängigen und eigenverantwortlichen Zulieferbetrieb" handele, lautet die Erklärung aus Herzogenaurach. Zudem, behauptet Adidas heute, hätten nach Mitte 2002 keine Geschäftsbeziehungen mehr zu Hermosa bestanden. "Das stimmt nicht", sagen die Arbeiterinnen und erklären, sie hätten bis zum Schluss Adidas-Produkte genäht. "Zuletzt waren es kurze Shorts für Basketball oder Baseball", erklärt der Arbeiter Ernesto Pandoso*.

Noch andere Indizien deuten darauf hin, dass bei Hermosa auch nach Mitte 2002 Sportkleidung für Adidas gefertigt wurde. So war auf der konzerneigenen Internetseite noch im November 2004 eine Stellungnahme zu finden, in der von einer Beendigung der Geschäftsbeziehung zu Hermosa Mitte 2003 die Rede ist. In einem Briefwechsel mit der Christlichen Initiative Romero (CIR) war gar die Rede von Produktion bei Hermosa bis Mitte 2004.

Die Näherinnen sind der Ansicht, nach Ende 2003 habe Hermosa als Subunternehmer für den Adidas-Vertragspartner Chi Fung gefertigt. Warum Adidas sich als direkter Vertragspartner von Hermosa zurückzog, bleibt unklar. Adidas behauptet, die mangelnde Qualität habe den Ausschlag gegeben - vielleicht waren es aber auch die kontinuierlichen Proteste von Organisationen wie CIR.

Juristische Verantwortung für die Arbeitsbedingungen (und für die ausstehenden Löhne) trägt Adidas in der Tat nicht, sondern der salvadorianische Unternehmer als Arbeitgeber der Beschäftigten. Die "Standards of Engagement" (SoE), ein von Adidas selbst proklamierter Verhaltenskodex, erkennen jedoch durchaus eine Verantwortung des Konzerns für Arbeitsbedingungen bei Subunternehmern an. Sie wurden im Jahr 1998 eingeführt, nachdem Adidas im Vorfeld der Fußball-Europameisterschaft 1996 wegen Kinderarbeit bei der Fertigung von Fußbällen in die Schlagzeilen geriet.

Mittlerweile sind die Kernwerte, nach denen sich der im Fränkischen beheimatete Konzern richten will, schon fast vorbildlich - lediglich hinsichtlich der Entlohnung wird Kritik laut, da in den Richtlinien nur der gesetzliche Mindest- oder branchenübliche Lohn festgeschrieben ist, unabhängig davon, ob dieser auch wirklich den Lebensunterhalt sichert. Doch Papier ist geduldig - und so muss sich ein solcher Verhaltenskodex vor allem an der Praxis messen lassen. In El Salvador jedenfalls wird massiv gegen den Verhaltenskodex verstoßen.

Der Fall Hermosa offenbart Mängel im Monitoring-System

Die Arbeitsrechtsverletzungen dürften dem Konzern freilich nicht ganz unbekannt sein. Nach Angaben von Adidas wurden von 2000 bis Mai 2002 mehrfach Inspektionen bei Hermosa durch Mitarbeiter des konzerneigenen Kontrollteams vorgenommen, das den Kodex überwachen sollte. Allerdings förderte weder das interne Monitoring noch eine Betriebsüberprüfung 2002 durch die Monitoringorganisation Fair Labour Association (FLA) irgendwelche Verstöße zu Tage.

Wenn man weiß, dass die Betriebsinspektionen ganz überwiegend angekündigt erfolgen, ist dieses Ergebnis allerdings wenig überraschend. "Manchmal haben sie vor einem Fabrikbesuch sogar Atemschutzmasken verteilt", erinnert sich Florinda Jaminez, die Näherin Sara Gonzalez* setzt nach: "Schwangere, die sich im Speisesaal aufhalten mussten, wurden vor Kontrollen wieder in die Produktion integriert." Damit nicht genug: Bei den Befragungen der Mitarbeiter war das Management immer dabei.

Ob Estela Ramirez und ihre Kolleginnen jemals Geld von den Konzernen sehen werden, ist ungewiss, da diese einen Präzedenzfall fürchten. Bemerkenswert ist, dass die Arbeiterinnen sich mit ihren Forderungen an die als Auftraggeber hinter dem lokalen Arbeitgeber stehenden Konzerne wenden und sich in ihrer Argumentation auf den Verhaltenskodex der Multis beziehen. "Darauf sind wir allerdings erst durch Kontakte zu Organisationen im Norden gekommen."

Im Mai dieses Jahres dann trat Estela Ramirez eine Rundreise durch Deutschland an. Auf Veranstaltungen in ganz Deutschland, die die Clean Clothes Campaign (CCC) organisierte, verlieh sie ihrer Forderung Nachdruck. Sie traf Vertreter der Kirchen, der Gewerkschaften - und besuchte schließlich die Adidas-Zentrale in Herzogenaurach. Vertreter des Unternehmens sagten ihr zu, sich bei der Regierung El Salvadors für die Einhaltung von Arbeitsrechten und für eine Lösung des aktuellen Konfliktes einzusetzen - sie erklärten aber auch, in einen Fonds für die Arbeiterinnen werde Adidas nicht einzahlen.

 

Zum Weiterlesen
Reingard Zimmer: Auswirkungen der Globalisierung. In: Arbeitsrecht im Betrieb 2005 (Heft 11), S. 675-678

Internet
Über den Fall Hermosa informiert die Webseite der Christlichen Initiative Romero. www.ci-romero.de

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