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Cassandre Schmid (l.), ehemalige Betriebsratsvorsitzende vom Haus der Kunst in München, und ihre Nachfolgerin,Tina Anjou, leisteten erfolgreich Widerstand gegen die Auslagerung von Arbeitsplätzen. Magazin Mitbestimmung

Betriebsräte-Preis : Die Kunst des Widerstands

Ausgabe 01/2021

Im Münchener Haus der Kunst wehrte sich der Betriebsrat erfolgreich gegen die Auslagerung von vier Dutzend Kollegen an der Kasse und in der Aufsicht der Ausstellungssäle. Von Stefan Scheytt

An der Nominierung des Betriebsrats im Münchener Haus der Kunst für den Deutschen Betriebsräte-Preis 2020 gebührt dem chinesischen Künstler Ai Weiwei ein gewisser Anteil. Im September 2019 hatte der Weltstar in dem Museum für zeitgenössische Kunst unangemeldet den Kartenabreißer gegeben – als Solidaritätsadresse an 48 Mitarbeiter, deren Stellen kostensparend ausgelagert werden sollten. Der Betriebsrat war über die Aktion vorab im Bilde, ebenso die Lokalpresse. Nicht aber der kaufmännische Direktor, der, als er von der Aktion des Prominenten im Haus erfuhr, an die Pforte eilte und auf sein Hausrecht pochte.

In Sachen politische Kommunikation konnte der Direktor nicht dilettantischer agieren: Vor einem Haufen Journalisten ließ er sich auf eine Debatte mit dem weltbekannten Künstler und Menschenrechtler ein. Aus einem öffentlichen Gebäude werfen, das konnte nicht gut gehen, zumal Ai Weiwei schon im Museum ausgestellt hatte und auf einer Wand am Eingang als unterstützender Künstler namentlich neben anderen Förderern genannt wird. Doch der Museumschef setzte sogar noch einen drauf: Er verschickte eine rechtfertigende Pressemitteilung, unter anderem an die Deutsche Presse-Agentur, in der er sich für den Rauswurf Ai Weiweis entschuldigte, obwohl dieser gar nicht stattgefunden hatte. Ai Weiwei hatte, wie vereinbart, das Haus nach einer Stunde verlassen. „Am Tag darauf meldeten sich Medien, die sonst nie über uns berichten“, sagt die Betriebsratsvorsitzende Tina Anjou. Mehr Aufmerksamkeit für ihren Widerstand gegen die Auslagerungspläne hätten sich der fünfköpfige Betriebsrat und die betroffenen Beschäftigten nicht wünschen können.

Das Haus der Kunst, dessen größter Geldgeber der bayerische Freistaat ist, durchlebt schon seit geraumer Zeit Turbulenzen finanzieller, aber auch atmosphärischer Art. Eine der Kontroversen zwischen Belegschaft und Direktion war und ist die Anlehnung an den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder. 2018 kam jener neue kaufmännische Direktor als Sanierer und kündigte an, 48 Stellen von Pförtnern, Kassenmitarbeitern und vor allem von Saalaufsichten zu streichen und deren Dienste billiger bei einer externen Firma einzukaufen; dorthin, so seine Idee, könnten ja – bis auf einige Minijobber – die meisten Entlassenen wechseln.

Der Betriebsrat war jedoch entschlossen, das zu verhindern. „Manche der Kollegen sind seit 20 Jahren und länger dabei. Einige bessern so ihre kleine Rente auf, andere sind als freiberufliche Schauspieler und Künstler auf die Teilzeitjobs angewiesen“, erklärt Betriebsratsvorsitzende Tina Anjou.

Anders als ausgeliehene Aufsichten, die mal auf einer Messe, mal auf dem Oktoberfest eingesetzt werden, würden sich die hauseigenen Kräfte stark mit dem Museum identifizieren, sie seien das „Gesicht“ des Hauses und würden bessere Arbeit leisten. Zudem hätten sich über die Jahre sehr ungleiche Bezahlungen in dieser Gruppe etabliert. „Für uns war es ein Unding“, meint Anjou, „dass ein neuer Direktor ausgerechnet die entlassen wollte, die zuvor jahrelang gelitten hatten.“

Es ist dann anders gekommen, wofür das Betriebsratsgremium und einzelne Mitglieder, vor allem die frühere Betriebsratsvorsitzende Cassandre Schmid, die jetzt wieder einfaches Mitglied ist, manches einstecken mussten. Es gab Abmahnungen, diffamierende E-Mails, Drohbriefe, zermürbende Verhandlungen, allein drei vor einer Einigungsstelle. „Aber es hat sich gelohnt“, urteilt Tina Anjou: Die Stellen wurden nicht outgesourct, von den 48 Arbeitsplätzen blieben 26 erhalten, dafür leisten die verbliebenen Beschäftigten nun im Schnitt mehr Stunden als früher, inzwischen kamen schon wieder fünf neue Mitarbeiter hinzu. „Wir konnten außerdem erreichen, dass alle, die gehen, also auch die Rentner, abgefunden werden.“ Wohl auch deshalb und unter dem Eindruck von Corona nahmen mehr Kollegen als erwartet das Abfindungsangebot an.

Die Kröte, die dafür zu schlucken war: Die Aufsichten werden in Zukunft nach dem Tarifvertrag für Sicherheitskräfte bezahlt. Tatsächlich behalten sie aber ihren alten Stundenlohn von 11,84 Euro so lange, bis der Tariflohn für Sicherheitskräfte besser ist. „Sogar die alte Betriebsvereinbarung bezüglich der Feiertags- und Sonntagszuschläge bleibt für sie erhalten“, freut sich die Betriebsratsvorsitzende.

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