zurück
DOMINIK H. ENSTE leitet das Cluster Verhaltensökonomik und Wirtschaftsethik im Institut der deutschen Wirtschaft (IW). Magazin Mitbestimmung

Pro & Contra: Brauchen wir eine Übergewinnsteuer?

Ausgabe 05/2022

NEIN - sagt Dominik H. Enste, Leiter des Cluster Verhaltensökonomik und Wirtschaftsethik im Institut der deutschen Wirtschaft (IW). JA - sagt Andreas Bovenschulte, Bremer Bürgermeister und Präsident des Senats der Freien Hansestadt Bremen.

Dominik H. Enste, Leiter des Cluster Verhaltensökonomik und Wirtschaftsethik im Institut der deutschen Wirtschaft (IW)
Nein. Eine Übergewinnsteuer ist moralisch verständlich, aber sie ist ökonomisch riskant. Auf den ersten Blick scheint die Zusatzsteuer keine negativen ökonomischen Anreize zu entwickeln: Wenn ein Unternehmen ohne eigene Anstrengung nur durch die Krise zusätzliche Gewinne erzielt, mindert die Zusatzsteuer nicht die Investitionsbereitschaft. Nur – so könnte man meinen – wird die Gier gestoppt.

Doch wer diese Sondersteuer erheben will, muss entscheiden: Welche Gewinne sind gut und welche böse? Welche Branche darf hohe Gewinne erzielen, und welche nicht? Und ab wann ist ein Gewinn zu hoch? Jede Festlegung wäre willkürlich und damit auch rechtlich höchst fragwürdig. Hohe Gewinne sind aus ökonomischer Sicht letztlich nur ein wichtiges Signal für besonders lohnenswerte Investitionen – zum Beispiel, weil die Nachfrage das Angebot übersteigt und deshalb neue Anbieter in den Markt eintreten sollten.

Wenn der Markt nicht wie gewünscht funktioniert, sollten die Wettbewerbsregeln dort angepasst und nicht neue Steuern eingeführt werden. Mittelfristig wird die Machtposition der fossilen Brennstoffanbieter durch neue Anbieter von regenerativen Energien zerstört werden. Nicht mehr staatliche, regulierende Eingriffe, sondern mehr Markt sind notwendig, um die beklagten Übergewinne durch Wettbewerb abzuschmelzen.

Andreas Bovenschulte, Bremer Bürgermeister und Präsident des Senats der Freien Hansestadt Bremen
Ja. Wir brauchen diese Steuer. Kann es richtig sein, dass Mineralöl­konzerne seit Monaten ungeniert abkassieren, während viele Menschen sich den Wocheneinkauf im Supermarkt und einmal Volltanken nur noch dank staatlicher Unterstützung leisten können? Kann es richtig sein, dass Stromproduzenten einen Rekordgewinn nach dem anderen verzeichnen, während den Bäcker an der Ecke wegen der Energiepreise die nackte Existenzangst packt?

Nein, das kann nicht richtig sein, und das darf so auch nicht weitergehen. Und deshalb ist es wichtig, so schnell wie möglich eine Übergewinnsteuer auf den Weg zu bringen. Die Diskussion um die Gaspreise hat das Problem noch einmal auf den Punkt gebracht: Wir alle müssen in den kommenden Monaten Gasversorger retten, die angesichts der explodierenden Preise in Not geraten sind. Weil sie ihren Kunden einen Preis versprochen haben, den sie heute nicht mehr halten können. Und weil sie andernfalls schlicht pleite wären.

Wenn wir aber die einen im Interesse des Gemeinwohls mit unserem Geld retten, dann dürfen wir doch auch bei den anderen im Interesse des Gemeinwohls einen Teil der Gewinne abschöpfen. Gewinne, mit denen die Betroffenen selbst übrigens nie gerechnet haben. Für mich sind das zwei Seiten ein und derselben Medaille. Eine Übergewinnsteuer ist deshalb nicht nur eine Frage der Finanzen. Sie ist vor allem eine Frage der Gerechtigkeit und damit des sozialen Friedens in unserem Land.

  •  ANDREAS BOVENSCHULTE ist Bremer Bürgermeister und Präsident des Senats der Freien Hansestadt Bremen.

Zugehörige Themen

Der Beitrag wurde zu Ihrerm Merkzettel hinzugefügt.

Merkzettel öffnen