zurück
Ernesto Klengel, HSI Direktor, links und Christina Schildmann, Leiterin der Forschungsförderung, rechts Service aktuell

Aussetzen des deutschen Lieferkettengesetzes: "Der Habeck-Vorschlag ist auch aus juristischen Gründen unausgereift“

Pause für das deutsche Lieferkettengesetz? Der Vorschlag des Bundeswirtschaftsministers sorgt für Gesprächsstoff. Wir haben mit Ernesto Klengel, Direktor des HSI, und Christina Schildmann, Leiterin der Forschungsförderung, über die rechtlichen Rahmenbedingungen und mögliche Auswirkungen auf Beschäftigte gesprochen.

[13.06.2024]

Robert Habeck hat vorgeschlagen, das Lieferkettengesetz auszusetzen, bis die europäische Regelung greife. Was ist der Hintergrund?

Ernesto Klengel: Zum 1.1.2023 ist das Lieferkettengesetz in Kraft getreten. Es verpflichtet große Unternehmen und Konzerne, sich darum zu bemühen, das Risiko von Menschenrechtsverletzungen in ihren Lieferketten zu vermeiden. Aber nicht nur die Bundesrepublik, auch die EU hat an dem Thema gearbeitet. Die neue Lieferketten-Richtlinie verpflichtet alle Mitgliedstaaten dazu, ein Lieferkettengesetz einzuführen. Allerdings weicht die Richtlinie an einigen Punkten vom deutschen Gesetz ab. Das Lieferkettengesetz muss also geändert werden. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hat nun vorgeschlagen, das deutsche Gesetz so lange auszusetzen, bis die EU-Richtlinie umgesetzt werden muss.

Hintergrund des Habeck-Vorschlags sind vor allem Klagen von Verbandsvertretern und ihnen nahestehenden Politikerinnen über das Gesetz, dessen Umsetzung die Unternehmen stark belaste. Allerdings dürften die vielen Unternehmen, die das Gesetz bereits umsetzen, den Vorschlag nicht begrüßen. Im Übrigen ist das Gesetz ohnehin nicht richtig scharf gestellt worden – es ist nicht bekannt, dass ein einziges Bußgeld verhängt worden wäre. Torsten Safarik, der damalige Präsident der zur Überwachung berufenen Behörde, der BAFA, hat im November 2023 auf einer Tagung von HBS und der Stiftung Arbeit und Umwelt geäußert, dass es nicht in erster Linie darauf ankommt, ob die Papierform stimmt, sondern ob das Unternehmen etwas unternimmt, um die relevanten Risiken zu senken. Das Gesetz verlangt also längst nicht so komplizierte Verfahren, wie viele Verbandsvertreter und Beratungsunternehmen glauben machen.

  • Dr. Ernesto Klengel ist der Wissenschaftliche Direktor des HSI.
    Dr. Ernesto Klengel ist der Wissenschaftliche Direktor des HSI.

Hat der Vorschlag eine rechtliche Basis?

Ernesto Klengel: Der Habeck-Vorschlag hat bereits einigen Widerspruch geerntet – vor allem, weil er als Zurückrudern in Menschenrechtsfragen angesehen wird. Er ist aber auch aus juristischen Gründen unausgereift. Die Lieferketten-Richtlinie erzeugt nämlich aus EU-rechtlichen Gründen bereits vor dem Ablauf der Frist zur Umsetzung ein „Rückschrittsverbot“: Sobald die Richtlinie in der Welt ist, darf Deutschland keine neuen Regelungen einführen, mit denen es von der Richtlinie abweicht. Damit würde eine Rücknahme des deutschen Lieferkettengesetzes oder wesentlicher Teile daraus gegen Unionsrecht verstoßen. Deutschland könnte in einem Vertragsverletzungsverfahren vom EuGH verurteilt werden. Richtig heikel würde es, wenn es während oder sogar aufgrund der Aussetzung des Gesetzes zu schlimmen Menschenrechtsverletzungen käme. Schließlich würden sich Unternehmen, die das Gesetz vorbildlich bereits heute umgesetzt haben, in ihrem Vertrauen auf das Gesetz – und einen verlässlichen Gesetzgeber – verletzt sehen.

Was wären die Folgen eines „Zurückruderns“ beim Lieferkettengesetz – gibt es hier Hinweise aus der Forschung und der Praxis?

Christina Schildmann: Ein von uns gefördertes Forschungsprojekt (siehe unten) untersucht, inwiefern große börsennotierte Unternehmen in Deutschland ihrer Sorgfaltspflicht in der Lieferkette nachkommen und welche ersten Erfahrungen mit dem deutschen Lieferkettengesetz vorliegen. Grundlage waren Fallstudien multinationaler Unternehmen mit Sitz in Deutschland, die Analyse der Unternehmensberichte von 90 Dax- und MDax-Unternehmen sowie Interviews mit Expert*innen. Viele der untersuchten Unternehmen berichten, dass sie im Rahmen der Umsetzung des Lieferkettengesetzes aktiv geworden sind oder planen, dies künftig zu tun. Zwar haben sich zumindest fast alle Dax-Unternehmen bereits in der Vergangenheit grob mit der Frage befasst, wie sich menschenrechtliche und ökologische Risiken auf das Geschäft auswirken könnten. Seit Einführung des Gesetzes gehen die Aussagen dazu jedoch weiter. Auch die befragten Arbeitnehmervertreter*innen in den Unternehmen betonen, dass das Gesetz beziehungsweise bereits seine Ankündigung zu Verbesserungen geführt hat. Aus meiner Sicht wäre es daher kontraproduktiv, das Gesetz auszusetzen. Es würde diejenigen „bestrafen“, die sich schon auf den Weg gemacht haben, und diejenigen verunsichern, die gerade dabei sind, sich auf den Weg zu machen.  

Und wir sehen, dass das Lieferkettengesetz eine wichtige Handhabe ist, um effektiv Arbeitnehmer*innenrechte durchzusetzen – auch in Deutschland! Einer der ersten „Anwendungsfälle“ waren die Proteste von LKW-Fahrenden auf einem Autobahn-Rastplatz in Gräfenhausen. Der Anlass: ein polnischer Speditionsunternehmer, der im Auftrag namhafter deutscher Unternehmen Transporte durchführte, hatte Löhne an seine Fahrer*innen nicht ausgezahlt. Rund 65 Fahrer*innen, die überwiegend aus osteuropäischen und zentralasiatischen Ländern stammen, begannen einen wilden Streik und versuchten Druck auf ihren Arbeitgeber auszuüben, indem sie ihre mit Fracht beladenen Fahrzeuge nicht vom Rastplatz bewegten. Damit die LKW-Fahrenden schlussendlich ihren Lohn bekamen, war wichtig, dass sich - mit gewerkschaftlicher Unterstützung – das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) in einschaltete. Das BAFA sichtete in diesem Rahmen 1.000 Dokumente, darunter Frachtbriefe von 284 Unternehmen, von denen im Jahr 2023 58 Unternehmen unter das LkSG fielen. Ohne das Lieferkettengesetz hätte das BAFA gar keine Grundlage gehabt, um hier dafür zu sorgen, dass die LKW-Fahrenden nicht um ihren Lohn geprellt werden.  

  • Christina Schildmann ist die Leiterin der Forschungsförderung.
    Christina Schildmann ist die Leiterin der Forschungsförderung.

Weitere Informationen

Literaturhinweis: Forschungsförderung Working Paper – Beile, Judith; Vitols, Katrin: Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz

Wie funktioniert das Lieferkettengesetz, was klappt, was fehlt vielleicht noch? – erfahrt ihr im Podcast Systemrelevant – Folge 175

Zugehörige Themen

Der Beitrag wurde zu Ihrem Merkzettel hinzugefügt.

Merkzettel öffnen