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Zu wenig Zeit für Azubis Böckler Impuls

Pflege: Zu wenig Zeit für Azubis

Ausgabe 07/2024

Bei der Reform der Pflegeausbildung im Jahr 2020 wurde großer Wert auf die Schnittstelle zwischen Theorie und Praxis, die sogenannte Praxisanleitung, gelegt. Doch angesichts von Zeit- und Personalmangel kommen die hehren Ziele im Stationsalltag zu kurz.

Das Gelernte bei schulischen Prüfungen abzurufen, ist eine Sache. Erworbenes Wissen im Beruf sinnvoll einzusetzen, ist etwas anderes. Die Kluft zwischen Theorie und Praxis zu überbrücken, war deshalb ein Anliegen, das bei der Abfassung des 2020 in Kraft getretenen Pflegeberufegesetzes eine wichtige Rolle spielte. Ausführlicher als in früheren Zeiten wurde im Zuge der Reform die Praxisanleitung geregelt: die Unterstützung von Pflege-Azubis durch besonders ausgebildete – und wenigstens teilweise vom Routinebetrieb freigestellte – Fachkräfte. Es geht darum, Überforderung zu vermeiden und zu verhindern, dass Menschen, die sich für einen Job in der Pflege entschieden haben, nach dem „Praxis­schock“ ihre Ausbildung infrage stellen oder sogar abbrechen. Etwa, weil sie sehen, dass sie ihrem professionellen Anspruch im stressigen Alltag nur unzureichend gerecht werden können. Zehn Prozent der praktischen Ausbildung sollen daher nun „unter geplanter und strukturierter Praxisanleitung erfolgen“.

Wie steht es um die Umsetzung der Vorgaben? Bislang fehlt es an empirischen Kenntnissen auf breiter Basis. Stefan Bär, Veronica Steinweg und Dominik Dauner von der Universität Heidelberg haben sich des Themas aber im Rahmen einer Fallstudie an einem Krankenhaus mit Intensivstation angenommen. Sie haben Interviews mit Auszubildenden, Vertreterinnen und Vertretern von Krankenhaus und Pflegefachschule sowie Praxisanleitenden geführt. Es wird deutlich, „dass sich Änderungen auf regulativer Ebene nicht unmittelbar in Änderungen der bestehenden Ordnung übersetzen“. Sprich: Obwohl alle Seiten den hohen Stellenwert der Praxisanleitung betonen, hapert es an der Umsetzung.

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Dafür gibt es eine Reihe von konkreten Gründen – die letztlich fast alle im Personalmangel wurzeln. Auf der untersuchten Intensivstation gibt es keine hauptamtlichen Praxisanleitenden, also keine Personen, die zusätzlich zur Standardbesetzung laut Dienstplan nur zur Anleitung der Auszubildenden eingesetzt werden. Die Anleitenden bemühen sich nach Kräften, Patientenversorgung und Wissensvermittlung unter einen Hut zu bringen. Doch im Zweifel geht die Versorgung vor. So ist die Organisationslogik im Krankenhaus nun einmal. Praxisanleitende beklagen, dass der Freistellungsanteil, also der prozentuale Teil der Arbeitszeit, der für die Azubi-Betreuung genutzt werden soll, ohnehin zu gering ausfällt. Praktisch kommen sie oft nicht einmal auf das zugestandene Zeitbudget. Und was für den gesamten Pflegesektor gilt, trifft auch auf die Praxisanleitenden zu: Es gibt nicht genügend Leute mit der nötigen Qualifikation. Die im Gesetz festgelegte Quote von zehn Prozent Praxis­anleitung kann daher häufig nicht eingehalten werden. Oft müssen Pflegekräfte ohne entsprechende Zusatzausbildung einspringen, um Auszubildenden weiterzuhelfen. Eine Situation, mit der beide Seiten unzufrieden sind.

Auf der Ebene des Krankenhausmanagements, konstatieren die Forschenden, gebe es „keine systematische Bearbeitung dieser Problemlage“. Faktisch sind die Betroffenen auf sich allein gestellt, müssen Kompromisse eingehen, improvisieren und teilweise Überstunden leisten, um die in der regulären Schicht vernachlässigten Ausbildungsinhalte zu vermitteln. Auch die Verbindung zur Pflegeschule zu halten, die den Theorieteil der Ausbildung übernimmt, bleibt den Praxisanleitenden selbst überlassen. Genauso allein gelassen fühlen sich in der Folge Azubis, die selbst sehen müssen, ob und wie sie mit Durchwursteln in der Arbeitszeit und Nachholen wichtiger Inhalte in der Freizeit zurechtkommen.

Bär, Steinweg und Dauner haben auch kein Patentrezept, um den Personalmangel in der Pflege auf einen Schlag zu beseitigen. Was die Ausbildung angeht, machen sie aber einen organisatorischen Vorschlag: „Aus unserer Analyse ziehen wir den Schluss, dass die Stärkung der Praxisanleitung einer strukturellen Verankerung in der Organisation bedarf“. Dazu könnte sie aus der Stationshierarchie gelöst und „beispielsweise über eine zentrale Stabsstelle“ neu aufgestellt werden, um ihr Freiräume für zentrale Aufgaben zu verschaffen. Die für Ausbildungszwecke freigestellten Personen sollten in den entsprechenden Zeiten dann nicht mehr im Dienstplan erscheinen und nicht für Versorgungsaufgaben in Beschlag genommen werden.

Stefan Bär, Veronica Steinweg, Dominik Dauner: Verbesserte Ausbildungsbedingungen in der Pflege? WSI-Mitteilungen 2/2024, März 2024

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