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HBS Böckler Impuls

Essenskuriere: Rider vernetzen sich

Ausgabe 14/2019

Essenskuriere arbeiten in der Regel unter widrigen Bedingungen. Dass sie untereinander gut vernetzt sind, könnte gemeinsame Organisation für bessere Arbeit erleichtern.

Der Markt für Essenslieferdienste ist hart umkämpft: Deliveroo hat sich gerade erst aus Deutschland zurückgezogen. Foodora ist ebenfalls vom Markt verschwunden, übernommen von Lieferando. Für die Kuriere der Lieferdienste, von denen es in Deutschland nach Schätzungen zwischen 2000 und 4000 gibt, bringt das Unsicherheit mit sich. Dabei arbeiten die sogenannten Rider ohnehin schon unter schwierigen Bedingungen, wie eine Studie des Soziologen Heiner Heiland von der TU Darmstadt zeigt. Der Promotionsstipendiat der Hans-Böckler-Stiftung hat 246 Kuriere von Deliveroo und Foodora online befragt. Den Ergebnissen zufolge sind sie üblicherweise prekär beschäftigt, mit ihrer Arbeit eher unzufrieden und identifizieren sich wenig mit dem Job. Völlig vereinzelt sind sie aber nicht: Die meisten suchen regelmäßig den Kontakt zu anderen Kurieren.

Laut Heilands Analyse ist der typische Kurier männlich, nur 14 Prozent der Befragten sind Frauen. Das Durchschnittsalter liegt bei 29 Jahren, die meisten sind per Fahrrad unterwegs. Das formale Bildungsniveau ist „recht hoch“: Unter den Deutschen, die 62 Prozent der Befragten ausmachen, haben 53 Prozent Hochschulreife, 23 Prozent einen Hochschulabschluss. Bei den Nicht-Deutschen verfügt gut die Hälfte über einen akademischen Abschluss, ein Viertel über Hochschulreife.

Die Fluktuation sei sehr ausgeprägt, schreibt der Wissenschaftler. Die Kuriere hätten ihren Job überwiegend seit maximal sechs Monaten inne. Ihre Arbeit sei „notorisch prekär“, nämlich in der Regel befristet, von beschränktem zeitlichem Umfang und gering entlohnt. Von den Befragten hatte zum Zeitpunkt der Untersuchung lediglich ein Zehntel einen unbefristeten Arbeitsvertrag, 60 Prozent waren befristet beschäftigt, 30 Prozent selbstständig. 

Zu den Besonderheiten der Kurier-Jobs gehörten „marktabhängige Arbeitszeiten“, so Heiland. Die Verfügbarkeit von Schichten schwanke mit dem Angebot von Arbeitskräften und der Nachfrage von Essenslieferungen. Die Folge: 52 Prozent der Befragten arbeiten meist weniger als vertraglich vorgesehen, 19 Prozent mehr. Der Durchschnitt liegt bei 72 Stunden pro Monat. 87 Prozent arbeiten sehr häufig oder oft am Wochenende, 80 Prozent zwischen 18 und 23 Uhr.

Netto verdienen 39 Prozent der Kuriere maximal bis zur Minijobgrenze, 30 Prozent auf Midijob-Niveau. 63 Prozent berichten, dass ihr Monatseinkommen deutlichen Schwankungen von bis zu 300 Euro unterliegt. Fast drei Viertel finden ihr Einkommen gar nicht oder kaum angemessen. 42 Prozent der Rider haben einen zweiten Job, obwohl ein gutes Drittel noch andere finanzielle Unterstützung wie Kindergeld oder Bafög erhält.

Bei ihrer Arbeit fühlen sich 63 Prozent der Essenslieferanten der digitalen Technik ausgeliefert. Darin drücke sich die Spezifik der Plattformarbeit aus, in der die App das zentrale und oft einzige Verbindungsglied zwischen Unternehmen und Arbeitenden ist, erklärt der Soziologe. Dazu kommen analoge Unannehmlichkeiten, die die Rider nicht beeinflussen können: Wetter und Straßenverkehr, der unter Zeitdruck gemeistert werden muss. Fast die Hälfte der Befragten war schon mal in einen Unfall verwickelt. 

Die Freude an der Arbeit fällt dementsprechend gering aus: 60 Prozent der Kuriere identifizieren sich gar nicht oder in geringem Maß mit ihrer Tätigkeit. Die durchschnittliche Arbeitszufriedenheit liegt auf einer elfstufigen Skala bei 5,7. Zum Vergleich: Der Mittelwert für die gesamte Arbeitnehmerschaft in Deutschland beträgt 7,49. Nur knapp 14 Prozent der Befragten sehen keinen Anlass für Streik oder Protest, nur 31 Prozent können sich vorstellen, den Job auch noch in fünf Jahren zu machen, 51 Prozent sind auf der Suche nach einer anderen Arbeit.

Die Vereinzelung der Fahrer während der Arbeit gelte zwar gemeinhin als charakteristisches Merkmal dieser Beschäftigungsform und als hohe Hürden für kollektive Aktionen, so der Forscher. Der Erhebung zufolge haben allerdings 61 Prozent der Befragten sehr häufig oder oft Kontakt zu anderen Kurieren, auch außerhalb der eigentlichen Arbeit. Ein wichtiger Grund: 70 Prozent geben an, über die mitunter monatlichen Änderungen der Arbeitsmodalitäten gar nicht, unzureichend oder nicht rechtzeitig informiert zu werden. Auch deswegen gebe es viele informelle Chatgruppen oder Foren für Austausch und Selbsthilfe wie das Projekt „Liefern am Limit“ der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten. Diese Gruppen können nach Heilands Einschätzung eine „Keimzelle für kollektive Aktionen“ sein.

  • Rund 60 Prozent der Essenslieferanten identifizieren sich wenig oder gar nicht mit ihrer Arbeit. Zur Grafik

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