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REISEBRANCHE IN NOT Böckler Impuls

I.M.U.-Branchenmonitor: Reisebranche in Not

Ausgabe 13/2020

Das Geschäftsmodell vieler Reisebüros und -veranstalter steht seit geraumer Zeit unter Druck, die Arbeitsbedingungen sind oft problematisch. Die Pandemie verschärft die Probleme.

Dass die Reisebranche sich schon vor der Coronakrise in schwierigem Fahrwasser befand, bewies 2019 die Pleite des Tourismuskonzerns Thomas Cook. Was bei den Reisebüros und -veranstaltern aus Beschäftigtensicht im Argen liegt und wie die Unternehmen die aktuelle wirtschaftliche Situation einschätzen, zeigt ein neuer Branchenmonitor, den Henrik Steinhaus und Stephan Kraft für das I.M.U. erstellt haben. „Die Branche befindet sich wegen der Pandemie in einer existentiellen Krise. Es drohen Insolvenzen, Entlassungen und Geschäftsaufgaben. Nach der Krise wird die Branche lange Zeit mit den Folgen zu kämpfen haben“, so I.M.U.-Branchenexperte Oliver Emons.

Mit über 11 000 Reisebüros habe Deutschland eines der dichtesten Netze weltweit, heißt es in dem Papier. Allein dort waren 2018 gut 49 100 Menschen beschäftigt, die einen Umsatz von 26,9 Milliarden Euro erwirtschafteten. Hinzu kommen knapp 33 500 Beschäftigte und 27,1 Milliarden Euro Umsatz bei den Reiseveranstaltern.

Die insgesamt 82 600 Beschäftigten haben es oft nicht leicht: „Die teils ausbeuterischen Arbeitsbedingungen zeigen sich in Form von schlechter Bezahlung, unbezahlten Überstunden, hohem Stress bei Reiseleitern und permanenter Leistungskontrolle, insbesondere im Call-Center-Vertrieb von Reiseportalen.“ Ein zentrales Manko: Die Tarifbindung ist vergleichsweise niedrig. 2014 arbeiteten 23 Prozent der Beschäftigten bei einem tarifgebundenen Betrieb, in der Gesamtwirtschaft waren es 46 Prozent. Zudem sei die Einhaltung von Arbeitsschutzgesetzen in den vielen Firmen ohne Betriebsrat schwer zu gewährleisten, so die Experten. Die widrigen Arbeitsbedingungen dürften nach ihrer Einschätzung auch verantwortlich für die hohen Abbruchquoten bei den Azubis sein. 2018 haben 26,1 Prozent der angehenden Tourismuskaufleute, 26,9 Prozent der Veranstaltungskaufleute und 22,8 Prozent der Kaufleute für Tourismus und Freizeit ihren Ausbildungsvertrag vorzeitig aufgelöst.

Eine zusätzliche Belastung stellt der Strukturwandel dar: Digitalisierung und Automatisierung dürften mit Jobverlusten einhergehen, schreiben Steinhaus und Kraft. Zwar seien Reisen 2018 noch zu 57 Prozent offline gebucht worden. Das Geschäft verschiebe sich allerdings mehr und mehr zu den Online-Reiseportalen, was zu einem weiteren Rückgang bei den stationären Reisebüros führen werde.

Hinzu kommen aktuell die drastischen Auswirkungen der Corona-Pandemie: Nach dem Lockdown im März seien praktisch alle Erträge weggebrochen und keine neuen Buchungen erfolgt. Zugleich hätten Stornierungen und Rückzahlungsforderungen für bereits gebuchte Reisen die Bilanzen belastet. Angesichts des weltweiten Konjunktureinbruchs sei bis auf weiteres mit weniger Nachfrage von Geschäfts- und Urlaubsreisenden wegen sinkender Budgets zu rechnen.

Die Folge: „Reiseveranstalter und -büros werden um Marktanteile kämpfen, herbe Marktverluste hinnehmen und teilweise um ihre Existenz kämpfen müssen.“ Trotz der umfassenden staatlichen Hilfen deuteten immer mehr Indizien darauf hin, dass viele Unternehmen vor der Insolvenz stehen. Die Autoren verweisen auf eine Ifo-Umfrage unter Reiseveranstalter und -büros aus dem Juli 2020, der zufolge 85 Prozent der Betriebe ihre Lage als sehr kritisch beurteilen. Dass die Situation auch im August 2020 weiterhin sehr angespannt ist, bestätigt eine aktuelle Umfrage des Deutschen Reiseverbandes. Branchenvertreter fordern angesichts der bedrohlichen Lage einen Rettungsfonds mit nicht zurückzahlbaren Zuschüssen zur Deckung der Fixkosten.

Henrik Steinhaus, Stephan Kraft: Branchenmonitor Reisebüros und Reiseveranstalter, Hans-Böckler-Stiftung, Juli 2020

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