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HBS Böckler Impuls

Grundsicherung: Mit Hartz IV nur in der Stadt mobil

Ausgabe 16/2010

Auch im neu berechneten Hartz-IV-Regelsatz ist wenig Geld für Mobilität vorgesehen. Besonders Familien auf dem Land, die auf ein Auto angewiesen sind, können ihre Verkehrsausgaben damit nicht decken.

Nach den Plänen der Bundesregierung sollen erwachsene Grundsicherungsempfänger ab 2011 rund 23 Euro pro Monat für Fahrkarten und Fahrradreparaturen bekommen. Dies ist einer der zwölf Posten, aus denen sich der Hartz-IV-Regelsatz von 364 Euro zusammensetzt. Für Kinder sind in der Rubrik Verkehr je nach Alter 12 bis 14 Euro vorgesehen. Mit den geplanten Beträgen lassen sich die Mobilitätsbedürfnisse von Grundsicherungsbeziehern jedoch nicht decken, so der Sozialexperte Rudolf Martens vom Paritätischen Wohlfahrtsverband. Hilfsbedürftige, die an Stadträndern oder auf dem Land leben, würden von wichtiger Infrastruktur abgeschnitten. Dies betrifft fast 60 Prozent der Hartz-IV-Bevölkerung. Besonders problematisch sei die eingeschränkte Mobilität für Familien mit Kindern, betont Martens.

Wie viel Geld Langzeitarbeitslosen und deren Familien zusteht, leitet das Arbeitsministerium aus den Ausgaben von Geringverdienerhaushalten ab. 2008 gaben die unteren 15 Prozent aller nicht von Grundsicherung lebenden Alleinstehenden im Schnitt etwa 60 Euro im Monat für Verkehrsmittel aus. Paarhaushalte mit einem Vorschulkind und geringem Einkommen hatten pro Erwachsenem Verkehrausgaben von 105 Euro; dazu kommen gut 30 Euro für das Kind.

Dass nicht einmal die Hälfte dieser Kosten Eingang in die Hartz-IV-Berechnung findet, liegt daran, dass die Regierung große Teile der statistisch erfassten Mobilitätsausgaben als "nicht regelsatzrelevant" einstuft - vor allem die Kosten für Benzin und Diesel. Der Verkehrsanteil der Regelsätze wird daher anhand einer Extra-Stichprobe ermittelt, die nur Haushalte ohne Ausgaben für Kraftstoffe enthält.

Martens sieht hier einen "strukturellen Widerspruch" im Sozialrecht: Einerseits wird ein "angemessenes Kraftfahrzeug für jeden in der Bedarfsgemeinschaft lebenden erwerbsfähigen Hilfebedürftigen" im zweiten Sozialgesetzbuch ausdrücklich anerkannt. Andererseits wird Hartz-IV-Empfängern aber kein Geld für Treibstoff und Kfz-Bedarf zugebilligt.

Zudem spiegeln die Verkehrsausgaben der Haushalte, die kein Auto unterhalten, Martens zufolge nicht die Mobilitätsbedürfnisse aller Haushalte wider - und sind damit keine geeignete Bezugsgruppe zur Bestimmung der Regelsätze. Mit dieser Stichprobe würden vermutlich vor allem Haushalte in zentralen Wohnlagen erfasst, die höheren Mobilitätskosten von Menschen auf dem Land fallen dagegen unter den Tisch, erklärt der Sozialexperte. Bei den Familien mit Kindern seien die zugrunde gelegten Daten noch aus einem anderen Grund wenig repräsentativ: Die Fallzahl ist relativ gering, da die überwiegende Mehrheit der Paarhaushalte mit Kind ein Auto nutzt.

Um zu einer realistischen Einschätzung der Mobilitätsbedürfnisse von Hartz-IV-Empfängern zu kommen, hat Martens Daten zur Bevölkerungsdichte und die räumliche Verteilung der von Grundsicherung lebenden Bevölkerung kombiniert. Dabei zeigt sich: Ein gutes Drittel der Hartz-IV-Bevölkerung lebt im Umland von Städten, ein Viertel in ländlichen Regionen. Die durchschnittlichen Entfernungen zum nächsten Mittelzentrum liegen zwischen 9 und 15 Autominuten. Während im Ruhrgebiet hohe Hartz-IV-Quoten mit relativ geringen Mobilitätsanforderungen zusammenfallen, haben die vielen Hartz-IV-Bezieher in Ostdeutschland für alltägliche Besorgungen oft weite Wege zu bewältigen.

In Zukunft werden Hartz-IV-Haushalte in schrumpfenden Regionen immer mehr Geld für Individualverkehr ausgeben müssen, schreibt Martens unter Verweis auf Verkehrsprognosen des deutschen Instituts für Urbanistik. Ein Grund: Infolge rückläufiger Schülerzahlen verschlechtert sich häufig der öffentliche Nahverkehr. 

Rudolf Martens: Mobilitätsbedarf: Ein verdrängtes Thema in der Regelsatzdiskussion, in: WSI-Mitteilungen 10/2010.

 

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