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Mehr Geld für Millionen Böckler Impuls

Mindestlohn: Mehr Geld für Millionen

Ausgabe 18/2021

Fast neun Millionen Menschen verdienen weniger als zwölf Euro pro Stunde – darunter viele Frauen und Beschäftigte ohne Tarifvertrag.

Beschäftigte in etwa 8,6 Millionen Arbeitsverhältnissen werden aktuell mit weniger als zwölf Euro brutto pro Stunde bezahlt. Etwa zwei Drittel davon sind Frauen. Durch die Anhebung des Mindestlohns würde vor allem die Entlohnung von Beschäftigten ohne Tarifvertrag verbessert, denn diese sind rund dreimal so häufig von Niedriglöhnen betroffen wie Beschäftigte mit Tarifvertrag. Zu diesen Ergebnissen kommt eine Studie des WSI.

„Ein Mindestlohn von zwölf Euro findet nicht nur breite Zustimmung, er würde auch für viele Beschäftigte spürbare Lohnsteigerungen bedeuten“, schreibt WSI-Arbeitsmarkt­experte Toralf Pusch. In seiner Untersuchung hat er die neusten verfügbaren Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) von 2019 und des Statistischen Bundesamts ausgewertet und daraus eine Hochrechnung für das laufende Jahr erstellt.

Die Analyse zeigt, dass die große Mehrheit der Arbeitsverhältnisse, in denen der höhere Mindestlohn direkt zu einer Lohnanhebung führen müsste, für die jeweiligen Beschäftigten der Hauptjob ist. Das gilt 2021 für 7,3 Millionen, etwa 1,3 Millionen sind Nebentätigkeiten. Von den Hauptjobs sind rund 3 Millionen Vollzeit- und knapp 4,3 Millionen Teilzeitstellen. 

Ob Beschäftigte mit oder ohne Tarifvertrag arbeiten, macht einen großen Unterschied: Rund 30 Prozent der Beschäftigten, die im Hauptjob nicht nach Tarif bezahlt werden, arbeiten für weniger als zwölf Euro pro Stunde. Mit Tarifvertrag sind es lediglich 9,5 Prozent. Eine Anhebung des Mindestlohns auf zwölf Euro würde für Beschäftigte, die nach Tarifvertrag bezahlt werden, eine durchschnittliche Lohnerhöhung von 1 Prozent bewirken. Bei den Beschäftigten ohne Tarif wären es 4,1 Prozent. Die Zahlen zeigten, dass der höhere Mindestlohn „keinen tiefen Eingriff in die Tarifautonomie“ bedeuten würde, betont Pusch. Er wäre „vor allem eine wirksame Stütze zur Stabilisierung der Löhne von Beschäftigten ohne Tarifvertrag“.

Die Mehrzahl der Jobs, in denen aktuell weniger als zwölf Euro bezahlt werden, erfordert eine abgeschlossene Ausbildung. Nach den SOEP-Daten von 2019 kamen Niedriglöhne am häufigsten in der Ge­bäudebetreuung, der Gastronomie, dem Einzelhandel und der Nahrungsmittelindustrie vor. Unter den Berufen waren unter anderem Fachkräfte in Gastronomie und Hauswirtschaft, Verkäuferinnen und Verkäufer, medizinische Fachangestellte, Köche oder Kraftfahrer stark betroffen, außerdem Hilfskräfte in Reinigung, Hauswirtschaft, Küche und Logistik. Pusch geht davon aus, dass dieselben Branchen und Berufe auch 2021 nach wie vor am stärksten von Niedriglöhnen betroffen sind. 

Erst kürzlich hatte eine vom IMK geförderte Studie gezeigt, dass eine Erhöhung des Mindestlohns auf zwölf Euro auch gesamtwirtschaftlich sinnvoll wäre. Langfristig würde die Wirtschaftsleistung um etwa 50 Milliarden Euro im Jahr steigen. Die Staatseinnahmen erhöhten sich um rund 20 Milliarden Euro jährlich. Die Gesamtbeschäftigung würde langfristig nicht beeinträchtigt, zeigen die Modellrechnungen, die Tom Krebs und Moritz Drechsel-Grau von der Universität Mannheim durchgeführt haben. Viele Minijobs auf 450-Euro-Basis würden wegfallen, dafür Voll- und Teilzeitjobs entstehen. Die Forscher gehen außerdem davon aus, dass die Anhebung der Lohnuntergrenze auch auf Löhne etwas über zwölf Euro ausstrahlen dürfte.

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