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HBS Böckler Impuls

Kinderbetreuung: Im August wird’s knapp: Der Kita-Ausbau hinkt der Nachfrage hinterher

Ausgabe 12/2013

Am 1. August tritt die Betreuungsgarantie für Kinder über einem Jahr in Kraft. Derzeit ist jedoch fraglich, ob das Angebot ausreichen wird, um den Rechtsanspruch erfolgreich umzusetzen. WSI-Forscher Eric Seils hat die Betreuungsgarantie aus international vergleichender Perspektive analysiert.

Haben auch andere Länder in Europa eine Betreuungsgarantie für Kinder unter drei Jahren?

Seils: Einen individuellen Rechtsanspruch, wie er in der Bundesrepublik im August Wirklichkeit werden soll, findet man in den nordischen Ländern. In Finnland besteht dieser Anspruch für alle Kinder. In Dänemark haben alle Kinder ab einem Alter von 26 Wochen ein Recht auf einen Betreuungsplatz. In Norwegen und Schweden gilt das wie bei uns für Kinder ab einem Jahr. In Island gibt es zwar keinen individuellen Rechtsanspruch, aber die Kommunen sind verpflichtet, ein bedarfsgerechtes Angebot vorzuhalten.

Erreichen wir im August in Sachen Kleinkindbetreuung also das nordische Niveau?

Seils: Die Betreuungsgarantie für Kleinkinder stellt ein ehrgeiziges Ziel dar. Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass es sich bei der Betreuungsgarantie in Deutschland lediglich um eine Garantie für einen Teilzeitplatz handelt. In Schweden sind die Kommunen verpflichtet, Kinderbetreuung in dem Umfang zu erbringen, wie dies von den Eltern gewünscht wird. Dort wird Kinderbetreuung sogar in der Nacht angeboten. In Norwegen, Island und Dänemark erfolgt die Betreuung ganz überwiegend in Vollzeit. Die Kleinen werden also im August keineswegs eine Betreuungsinfrastruktur auf nordischem Niveau vorfinden.

Vielerorts werden Zweifel daran laut, ob im August überhaupt genug Plätze vorhanden sind, um die Betreuungsgarantie auch umzusetzen. Ist das zu schaffen?

Seils: Ich denke, es wird sehr knapp. Es ist zu befürchten, dass es nicht überall gelingt, eine bedarfsdeckende Versorgung sicherzustellen, weil dazu seit März 2012 mehr Plätze hätten geschaffen werden müssen als in den vier Jahren davor zusammen. Selbst wenn es gelingen sollte, im August hinreichend viele Plätze zur Verfügung zu stellen, dann wird das nur den Auftakt zu einem ständigen Wettrennen zwischen Angebot und Nachfrage darstellen.

Worauf beruht diese Einschätzung?

Seils: Dass die Nachfrage nach Betreuungsleistungen für diese Altersgruppe steigt, sehen wir bereits an der Entwicklung in Deutschland. Als auf dem Krippengipfel 2007 die Betreuungsgarantie ins Auge gefasst wurde, plante man für 2013 mit 750.000 Plätzen für 35 Prozent aller Kinder. Heute geht man von einem Bedarf von 780.000 Plätzen für 39 Prozent der Kinder aus. Die Erfahrungen anderer westeuropäischer Länder zeigen, dass ein steigendes Angebot an Kinderbetreuung zu einer wachsenden Nachfrage führt. Dafür gibt es mehrere Ursachen: Erstens verschieben sich mit der wachsenden Inanspruchnahme formaler Kinderbetreuung die Normen. Typischerweise dehnt sich die Nutzung der Kinderbetreuung von den älteren auf die jüngeren Kinder aus. Mit der Verbreitung steigt dann die soziale Akzeptanz. Schließlich gilt es als unschicklich, sein Kind nicht in den Kindergarten zu geben. Zweitens zeigt das dänische Beispiel, dass Kinder bei wachsenden Betreuungsquoten außerhalb von Betreuungseinrichtungen immer weniger Spielkameraden finden.

Das würde bedeuten, dass zukünftig die allermeisten Kleinkinder eine Tagesstätte besuchen. Gibt es da keine Grenze?

Seils: Der internationale Vergleich lehrt, dass in allen Ländern nur wenige Kinder unter einem Jahr in Kitas oder zu Tageseltern gebracht werden. Außerdem stagniert der Anteil in dieser Altersgruppe im Zeitverlauf. In vielen Ländern greifen in diesem Alter noch Transferzahlungen, die es den Eltern ermöglichen sollen, ihre Kinder selbst zu betreuen. In Deutschland gibt es das Elterngeld. Bei den Kindern, die ihren ersten Geburtstag bereits gefeiert haben, steigen die Betreuungsquoten hingegen rasch an. Diese Kinder werden in Zukunft ganz überwiegend einen Kindergarten besuchen. In Dänemark gehen bereits 90 Prozent aller Ein- bis Zweijährigen in eine Kindertagesstätte. Dies deutet darauf hin, dass eine bedarfsdeckende Betreuungsquote in Deutschland nicht – wie von der Bundesregierung angenommen – bei 39 Prozent, sondern erst bei etwa 60 Prozent erreicht sein könnte.

Das ist eine enorm hohe Zahl…

Seils: …die von der Wirklichkeit in manchen Gegenden Deutschlands schon überholt ist. In Sachsen-Anhalt liegt die Betreuungsquote heute bei 57,5 Prozent. In einigen Kreisen auch darüber. Das Jerichower Land liegt bei der Betreuungsquote der Unter-Dreijährigen bei 63,5 Prozent.

Was haben die Betriebe getan, um dem Mangel an Betreuungsplätzen abzuhelfen?

Seils: Trotz der hohen Nachfrage relativ wenig. Betriebskindergärten spielen im Bereich der Kleinkinderbetreuung nur eine untergeordnete Rolle. Nach den aktuellen Zahlen von 2012 werden 10.400 Kinder unter drei Jahren in einem Betriebskindergarten betreut. Das sind gut 2,2 Prozent aller in Tageseinrichtungen betreuten Kleinkinder. Viel aktiver waren da die Eltern. Die Zahl der in Elterninitiativen betreuten Kleinkinder hat von 17.700 im Jahre 2006 auf derzeit 29.000 zugenommen. Das entspricht knapp 6,2 Prozent der betreuten Kleinkinder. Immerhin ist die Bedeutung der Elterninitiativen zuletzt zurückgegangen. Dies deutet auf eine gewisse Entlastung der Eltern hin.

  • Betriebskindergärten spielen bei der Kleinkinderbetreuung nur eine untergeordnete Rolle. Zur Grafik
  • Bei der Kleinkinderbetreuung gibt es erhebliche regionale Unterschiede: Die Betreuungsquote lag im März 2012 zwischen 10,5 Prozent in Amberg und 63,3 Prozent im Jerichower Land. Zur Grafik

Eric Seils forscht im WSI zu sozialer Sicherung, Einkommensverteilung und Staatstätigkeit.

Eric Seils, Daniel Meyer: Bestimmungsgründe der öffentlichen Kleinkinderbetreuung im regionalen Vergleich, in: WSI-Mitteilungen, Ausgabe 04/2013.

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