zurück
HBS Böckler Impuls

Vereinbarkeit: Familie und Beruf in Ostdeutschland häufiger unter einem Hut

Ausgabe 09/2013

Dass beide Eltern Vollzeit arbeiten, ist in den neuen Bundesländern eher üblich als im Westen. Einem erfüllten Familienleben steht das nicht im Wege.

Zwischen alten und neuen Bundesländern gibt es nach wie vor markante Unterschiede – beispielsweise bei den Löhnen, den religiösen Überzeugungen oder den Familienstrukturen. Wie es um die Erwerbstätigkeit von Eltern in Ost und West bestellt ist, haben Heike Wirth und Angelika Tölke untersucht. Die Soziologinnen vom GESIS Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften und dem Deutschen Jugendinstitut München (DJI) haben dafür den Mikrozensus und die Erhebung „Aufwachsen in Deutschland: Alltagswelten“ des DJI ausgewertet. Laut ihrer Analyse arbeiten die meisten westdeutschen Mütter in Teilzeit oder sind nicht erwerbstätig. In Ostdeutschland dagegen haben beide Eltern sehr häufig einen Vollzeitjob – und äußern in Befragungen mehr Freude am Familienleben als im Westen.

Wirth und Tölke unterscheiden drei Formen von Erwerbsarrangements: Paare mit männlichem Alleinverdiener ordnen sie dem traditionellen Modell zu. Bei der semi-traditionellen Variante arbeitet der Vater Vollzeit, die Mutter Teilzeit. Zum egalitären Typ gehören Eltern, die entweder beide einen Vollzeit- oder beide einen Teilzeitjob haben.

Den Berechnungen der Wissenschaftlerinnen zufolge war in Westdeutschland Anfang der 1990er-Jahre noch das traditionelle Arrangement vorherrschend: In 45 Prozent der Familien mit minderjährigen Kindern war allein der Vater berufstätig. 2009 waren es nur noch 27 Prozent. Stattdessen hat sich das semi-traditionelle Modell als Standard durchgesetzt: Der Anteil der Mütter mit Teilzeitjob und einem vollzeiterwerbstätigen Partner ist von 29 Prozent im Jahr 1991 auf 46 Prozent 2009 gestiegen. Die Quote der egalitär erwerbstätigen Eltern hat sich hingegen im gleichen Zeitraum von 19 auf 13 Prozent verringert. Die zunehmende Bedeutung semi-traditioneller Arrangements in den alten Bundesländern beruhe also nicht nur auf einer besseren Integration von Müttern in den Arbeitsmarkt, so Wirth und Tölke, sondern teilweise auch auf dem Rückzug von Müttern aus der Vollzeit.

Anders stellt sich die Situation in den neuen Bundesländern dar: Hier war zu Beginn der 1990er-Jahre die überwiegende Mehrheit der Eltern egalitär erwerbstätig. Bis 2006 ist der Anteil von 60 auf 36 Prozent zurückgegangen, danach war wieder ein leichter Anstieg zu verzeichnen. Ähnlich wie im Westen hat die Bedeutung semi-traditioneller Arrangements zugenommen, allerdings auf deutlich niedrigerem Niveau. Nach wie vor sei im Osten das egalitäre Modell das dominierende Muster, stellen die Forscherinnen fest.

Zum Teil könnte die vergleichsweise geringe Erwerbsbeteiligung westdeutscher Mütter mit fehlenden Betreuungsangeboten für Kinder zusammenhängen, so Wirth und Tölke. Dafür spräche die Tatsache, dass die traditionelle Arbeitsteilung gerade bei Familien mit Kleinkindern besonders verbreitet ist. Darüber hinaus vermuten die Wissenschaftlerinnen, dass familienpolitische Leitbilder und das „historisch gewachsene kulturelle Klima“ eine wichtige Rolle spielen. So gelte Berufstätigkeit von Müttern im Osten in der Regel als unproblematisch. Die zu DDR-Zeiten erlebte faktische Vereinbarkeit von Beruf und Familie scheine auf das Verhalten und die Einschätzungen der Ostdeutschen nachzuwirken. Im Westen dagegen werde Erwerbstätigkeit von Müttern eher als Doppelbelastung betrachtet, die sich nachteilig auf das Wohl der Familie auswirken könnte.

Dass solche Bedenken größtenteils unbegründet sind, zeigen Befunde zum Wohlbefinden der Eltern: Ostdeutsche Väter und Mütter äußern mehr Freude am Familienleben als Eltern im Westen. „Beruf und Familie müssen demnach keineswegs als konkurrierende Lebensbereiche wahrgenommen werden“, urteilen Wirth und Tölke.

  • Egalitäre Erwerbsbeteiligung ist unter Eltern in den neuen Bundesländern eher üblich als im Westen. Zur Grafik
  • Ostdeutsche Väter und Mütter äußern mehr Freude am Familienleben als Eltern im Westen. Zur Grafik

Heike Wirth, Angelika Tölke: Egalitär arbeiten – familienzentriert leben: Kein Widerspruch für ostdeutsche Eltern (pdf), in: Informationsdienst Soziale Indikatoren (ISI) 49, Februar 2013

Impuls-Beitrag als PDF

Zugehörige Themen

Der Beitrag wurde zu Ihrerm Merkzettel hinzugefügt.

Merkzettel öffnen