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Die Lieferkette geht auch den Betriebsrat an Böckler Impuls

Beschäftigtenrechte: Die Lieferkette geht auch den Betriebsrat an

Ausgabe 19/2022

Ab Januar 2023 gilt für große Unternehmen das Lieferkettengesetz. Das ist auch ein Thema für die Vertreterinnen und Vertreter der Beschäftigten in Betriebs- und Aufsichtsräten.

Menschen- und Beschäftigtenrechte gelten nicht nur in Deutschland oder der EU. Hiesige Unternehmen haben auch in Osteuropa, Südostasien und allen Ländern, aus denen sie Vorprodukte oder Dienstleistungen beziehen, dafür zu sorgen, dass dort Mindestlöhne gezahlt werden, keine Kinder- oder Zwangsarbeit vorkommen, keine Gewalt gegen Beschäftigte angewandt wird, Beschäftigte nicht diskriminiert sowie Arbeitsschutz- und Umweltbestimmungen eingehalten werden. Auch Entlassungen aufgrund gewerkschaftlicher Betätigung sind nicht zulässig. Nachdem sich in der Vergangenheit nur ein kleiner Teil von ihnen dieses Themas freiwillig angenommen hat, gilt ab kommendem Jahr das Lieferkettengesetz. Es verpflichtet Unternehmen mit wenigstens 3000 Beschäftigten, die Einhaltung grundlegender Regeln entlang der gesamten Wertschöpfungskette sicherzustellen. Ein Jahr später soll die Verpflichtung auf Unternehmen ab 1000 Beschäftigten ausgedehnt werden. Wobei bereits ein Entwurf für eine EU-Richtlinie existiert, in dem die Grenze bei 500 Beschäftigten gezogen wird.

Praktisch heißt das für die Unternehmen: Sie müssen Strukturen schaffen, die es ihnen ermöglichen, ihren Sorgfalts- und Kontrollpflichten nachzukommen, etwa durch ein Lieferketten-Risikomanagement und die Einsetzung von Menschenrechtsbeauftragten. Doch die Kontrolle der Lieferkette ist nicht allein Sache des Managements. Auch für Vertreterinnen und Vertreter der Beschäftigten im Betriebs- und Aufsichtsrat ergeben sich neue Aufgaben und Möglichkeiten zur Mitgestaltung. Die Jura-Professorin Reingard Zimmer gibt in einem Gutachten für das HSI einen ausführlichen Überblick dazu. Zwar habe der Gesetzgeber „eine Einbindung der deutschen Mitbestimmungsakteure“ lediglich „punktuell vorgesehen“, so Zimmer, dennoch könnten sie eine zentrale Rolle bei der Umsetzung spielen – was sogar im Interesse der Arbeitgeber sein könne. Denn damit würde der gesetzlichen Verpflichtung Rechnung getragen, auch die Interessen der eigenen Beschäftigten angemessen zu berücksichtigen. 

In jedem Fall von der Umsetzung des Lieferkettengesetzes betroffen sind Vertreter und Vertreterinnen der Beschäftigten im Aufsichtsrat. Denn der Aufsichtsrat hat die Einhaltung der Verpflichtungen aus dem neuen Gesetz zu überwachen – schließlich können Verstöße das Unternehmen Millionen kosten. Mitglieder kommen im für das Risikomanagement zuständigen Prüfungsausschuss mit Fragen der Lieferketten in Berührung, wo die entsprechenden Berichte vorgelegt werden müssen. Ähnlich verhält es sich mit dem Wirtschaftsausschuss des Betriebsrats, dem die Unternehmensleitung in Sachen Lieferkette Rede und Antwort zu stehen hat. „Fragen der unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten“ werden zum 1. Januar 2023 ausdrücklich in die zugehörige Vorschrift des Betriebsverfassungsgesetzes aufgenommen. Auch bei der Information des Europäischen Betriebsrates können Lieferkettenfragen künftig eine Rolle spielen. Doch auch durch andere Kanäle werden Betriebsräte in der Regel Gelegenheit zur Mitsprache haben. Denn aus dem Gesetz folgt vieles, das auch im Inland Wirkung entfaltet. Wenn etwa Ethikrichtlinien oder Verfahren zur Meldung von Rechtsverstößen vereinbart werden, sind Betriebsräte gemäß ihren Mitbestimmungsrechten immer beteiligt. 

Zimmer rät Beschäftigtenvertretern und -vertreterinnen, sich aktiv einzubringen. Sie regt etwa an, paritätisch besetzte „Due Diligence“-Komitees unter Vorsitz des oder der Menschenrechtsbeauftragten zu bilden, „um die zentralen Fragen der Implementierung der Sorgfaltspflichten im Unternehmen oder Konzern zu bearbeiten“. Rechtlich verankert werden könnte ein solches Gremium per Haustarifvertrag. „Die gewerkschaftlichen Betriebsbeauftragten haben zudem eine wichtige Rolle bei der Unterstützung der Mitbestimmungsakteure“, so die Juristin. Auch Hauptamtliche von Gewerkschaften könnten Beschwerden über das neu einzurichtende Beschwerdesystem einreichen, um auf bestehende Risiken oder Rechtsverletzungen hinzuweisen. Gewerkschaften hätten die Möglichkeit, das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle als zuständige Behörde über die Nichteinhaltung der Verpflichtungen durch einzelne Unternehmen zu informieren. Gewerkschaften könnten auch – unter Einbeziehung globaler Gewerkschaftsföderationen und mithilfe Internationaler Rahmenabkommen – helfen, größere Netzwerke zur Einhaltung von Menschenrechten zu bilden. Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter aus dem „globalen Süden“ einzubeziehen, sei in jedem Fall wichtig, um Verstöße gegen Beschäftigtenrechte aufzudecken und zu unterbinden, betont Zimmer. Insgesamt könne „die Beteiligung von Mitbestimmungsakteuren und Gewerkschaften einen wichtigen Beitrag zur Demokratisierung der Wirtschaft sowie zur Sicherung grundlegender Menschenrechtsstandards für das Arbeitsleben weltweit leisten“.

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