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Die Inflation überwinden Böckler Impuls

Tarifpolitik: Die Inflation überwinden

Ausgabe 12/2025

In Europa haben die realen Tariflöhne nach den inflationsbedingten Kaufkraftverlusten der jüngeren Vergangenheit wieder zugelegt. Aufholbedarf besteht jedoch weiterhin.

Erstmals seit dem Inflationsschub des Jahres 2021 haben die Tariflöhne 2024 in Europa wieder deutlich Boden gutgemacht: Für die Eurozone lag der nominale Zuwachs bei 4,5 Prozent. Inflationsbereinigt verblieb den Beschäftigten damit ein Plus von 2,1 Prozent. Besonders profitiert haben Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Österreich, Portugal und der Slowakei mit Steigerungen von 5,4 Prozent, 4,5 Prozent und 3,8 Prozent. Auch in Deutschland lag der preisbereinigte Zuwachs mit 2,8 Prozent leicht oberhalb des Durchschnitts. Die Erfolge wurden von den Gewerkschaften teilweise hart erkämpft: Die vergangenen beiden Jahre waren in Europa ausgesprochen streikreich. Trotzdem besteht weiterhin Aufholbedarf. Das ergibt der neue Europäische Tarifbericht des WSI, für den unter anderem aktuelle Daten der Europäischen Kommission zur Lohn- und Preisentwicklung ausgewertet wurden.

Während der jüngsten Inflationskrise waren die Tarif­erhöhungen zunächst deutlich hinter die Preissteigerungen zurückgefallen. Das lag laut Europäischem Tarifbericht häufig an langen Laufzeiten von Tarifverträgen. In Deutschland etwa gelten Tarifverträge durchschnittlich zwei Jahre. Während dieser Zeit herrscht Friedenspflicht, sodass die Gewerkschaften erst mit Verzögerung auf die Preisschocks reagieren konnten. Die Folge waren erhebliche Kaufkraftverluste für die Beschäftigten, während Preis­erhöhungen gleichzeitig bei vielen Unternehmen zu steigenden Gewinnmargen führten, so die WSI-Forscher Thilo Janssen und Malte Lübker. „Die jüngsten Zugewinne lassen sich deshalb als Gegenbewegung verstehen. Der Aufholprozess ist allerdings noch nicht abgeschlossen, sodass hohe Lohnforderungen weiterhin Berechtigung haben“, sagt Lübker. 

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Infografik: Die realen Tariflöhne in der EU stiegen 2024 um 0,2 bis 5,4 Prozent.
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Mit Ausnahme Portugals liegen die realen Tariflöhne in allen Ländern, für die aktuelle Daten vorliegen, bislang unter dem Niveau des Jahres 2020. Besonders drastisch sind die Verluste in Tschechien, Italien und Spanien. Hier liegt die Kaufkraft der Tariflöhne heute um gut elf bis knapp sechs Prozent niedriger. In Deutschland beträgt der Rückstand gegenüber 2020 nach Daten des WSI-Tarifarchivs 4,7 Prozent. Wird der Tarifindex des Statistischen Bundesamtes verwendet, ergibt sich aufgrund methodischer Unterschiede sogar eine Lücke von 7,8 Prozent; ohne Berücksichtigung von Sonderzahlungen sind es beinahe zehn Prozent.

Mehr Arbeitskämpfe

In der Eurozone insgesamt lagen die realen Tariflöhne im vergangenen Jahr noch rund fünf Prozent unter den Werten von 2020. Um sich dem früheren Niveau überhaupt so weit anzunähern, waren vielerorts Arbeitskämpfe nötig. Die Studie verzeichnet eine deutliche Zunahme des Streikvolumens in den Jahren 2023 und 2024 – und zwar selbst in Ländern wie Österreich, in denen sonst kaum gestreikt wird.

Vor diesem Hintergrund wenden sich Janssen und Lübker gegen „immer wieder lancierte Debatten um eine weitere Einschränkung des Streikrechts in Deutschland“. Zuletzt hatten die Metallarbeitgeber einen entsprechenden Vorstoß gemacht. Den Vorschlägen zufolge könnten die Arbeitgeber künftig das Streikrecht der Gewerkschaften aushebeln, indem sie ein Schlichtungsverfahren beantragen. Noch weitergehende Einschränkungen wurden für Beschäftigte vorgeschlagen, die in der sogenannten Daseinsvorsorge arbeiten. Dies beträfe je nach Definition bis zu 50 Prozent der Beschäftigten in Deutschland. Beschränkungen des Streikrechts würden die Gewerkschaften erheblich schwächen. „Durchsetzungsstarke Gewerkschaften, die die Mittel des Arbeitskampfes im Notfall ausschöpfen können, sind aus Sicht der Beschäftigten aber unbedingt erforderlich“, betont Bettina Kohlrausch, die wissenschaftliche Direktorin des WSI.

Infografik: Mit durchschnittlich 21 Ausfalltagen durch Streiks je 1000 Beschäftigte liegt Deutschland deutlich hinter Belgien oder Frankreich, die auf über 100 kommen.
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Wer streikt wie oft?

Deutschland liegt mit einem Streikaufkommen von jährlich 21 Ausfalltagen pro 1000 Beschäftigten im europäischen Mittelfeld. Umgerechnet auf einzelne Beschäftigte bedeutet dies, dass die Deutschen durchschnittlich zehn Minuten pro Jahr streiken.

Deutlich mehr gestreikt wird in Frankreich, wo es zu 102 Ausfalltagen im Jahr kommt und wo die Gewerkschaften – anders als in Deutschland – auch außerhalb von Tarifauseinandersetzungen zum Streik aufrufen können. Dies war 2023 etwa bei Protesten gegen die Rentenreform der Fall. Auch in Belgien oder Finnland ist das Arbeitskampfvolumen mit 107 beziehungsweise 93 Ausfalltagen weitaus höher als hierzulande. Polen oder Dänemark kommen auf 16 beziehungsweise 15 Ausfalltage.

In Schweden sind die Beziehungen zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern traditionell kooperativ, sodass die Statistik nur einen Ausfalltag verzeichnet. Zuletzt hat in Schweden der Arbeitskampf der Gewerkschaft IF Metall gegen Tesla für internationales Aufsehen gesorgt. Tesla weigert sich, für seine schwedische Niederlassung einen Tarifvertrag zu unterzeichnen. Inzwischen wird der Konzern auch von Gewerkschaften aus anderen Branchen bestreikt, etwa indem sie ihm die Postzustellung oder die Wartung von Ladesäulen verweigern. In Deutschland wären solche Solidaritätsstreiks durch das restriktivere Streikrecht nur sehr eingeschränkt möglich.

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