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HBS Böckler Impuls

Pflegeversicherung: Breiter Finanzierungs-Mix für die Pflege

Ausgabe 12/2007

Nach der Reform ist bei der Pflegeversicherung vor der Reform: Eine nachhaltige Finanzierung steht weiter aus. Ein Mix aus mehreren Komponenten könnte genug Geld zusammenbringen und die Lasten so gerecht wie möglich verteilen, zeigt eine neue Expertise.

Dass sich die Große Koalition auf eine "kleine" Reform der Pflegeversicherung beschränkt, ist nach Einschätzung von Heinz Rothgang keine gute, aber auch nicht die schlechteste Lösung: "Der Kompromiss bringt für die Pflegebedürftigen einige Verbesserungen. Und er vermeidet problematische Weichenstellungen bei der Finanzierung", sagt der Professor für Gesundheitsökonomie an der Universität Bremen, der mit Förderung der Hans-Böckler-Stiftung eine Studie zu Finanzierungsalternativen erarbeitet hat. Gleichwohl verschafften die Pläne "nur für einige Jahre Luft", so Rothgang. Die grundsätzlichen Finanzprobleme sind ungelöst, schon weil die Zahl der Pflegebedürftigen künftig weiter wächst und mehr Patienten professionell gepflegt werden müssen. Würden die Ausgaben zusätzlich "dynamisiert", also etwa um zwei Prozent pro Jahr erhöht, um die Kaufkraft der Versicherten zu erhalten, müssten die Beiträge im aktuellen Finanzierungsmodell bis zum Jahr 2040 auf drei bis vier Prozent des Bruttoeinkommens steigen. Damit würde der Faktor Arbeit weiter belastet.

Um das zu vermeiden, favorisiert Rothgang eine "breite Kombination" aus unterschiedlichen Finanzierungselementen. Einige davon spielten schon in der Debatte der vergangenen Wochen eine Rolle. Es komme aber auf die exakte Ausgestaltung des Mixes an, um zu verhindern, dass eine Maßnahme nur kurzzeitig wirkt oder negative Verteilungswirkungen erzeugt, betont der Forscher.

So hält es Rothgang zwar für bedenkenswert, zur Pflegefinanzierung eine ergänzende Kapitalfundierung aufzubauen, wenn für künftig anfallende Lasten schon jetzt vorgebaut werden soll. "Das ist letztlich eine politische Entscheidung, nicht aus Gründen der Generationengerechtigkeit zwingend notwendig." Entscheide sich die Politik dafür, sollte das aber nicht in Form einer privaten Zusatzversicherung mit Pauschalbeiträgen geschehen. Denn dieses Modell ist nicht nachhaltig und belastet Versicherte mit geringeren und mittleren Einkommen, während Gutverdiener entlastet werden. Das zeigen Berechnungen zum Kopfprämien-Modell der bayerischen Sozialministerin Christa Stewens, das nach Rothgangs Analyse beispielhaft für ähnliche Kopfprämien-Modelle steht: Würde es eingeführt, wären im Jahr 2020 weniger gutverdienende Singles schlechter gestellt als nach dem gegenwärtigen Finanzierungsmodus - je nach Grundlohnentwicklung bis zu einem Einkommen zwischen 1.700 bis 2.400 Euro. Ehepaare mit einem Einkommen unter 3.500 Euro hätten ebenfalls Nachteile. Trotz dieser Belastung ließen sich mit dem Modell nicht die Leistungsdynamisierung finanzieren und zugleich eine echte Kapitalrücklage bilden: Spätestens ab Mitte der 2040er-Jahre würde der Kapitalstock wieder aufgezehrt.

Neben einer Erhöhung des Beitragssatzes um "wenige Zehntel Prozentpunkte", wie sie die Große Koalition beschlossen hat, hält Rothgang einen Mix aus drei Komponenten für Erfolg versprechend:

=> Die Übernahme von möglichst vielen Elementen einer Bürgerversicherung. Dazu zählen die Einbeziehung der gesamten Bevölkerung in die gesetzliche (soziale) Pflegeversicherung, Beiträge auf weitere Einkommensarten, etwa Kapitaleinkünfte, sowie die Abschaffung oder Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze.
Eine Bürgerversicherung kann das Finanzproblem zwar alleine nicht lösen, sie ist aber "dem Status quo allokativ und distributiv überlegen", hält Rothgang fest. Sollte sie politisch nicht durchsetzbar sein, empfiehlt der Wissenschaftler "hilfsweise einen umfassenden Risikostrukturausgleich zwischen sozialer und privater Pflegeversicherung".

=> Einen weiteren Baustein könnten steuerfinanzierte Beiträge für mitversicherte Kinder bilden. Immerhin gibt die soziale Pflegeversicherung pro Jahr etwa 900 Millionen Euro für Personen unter 20 Jahren aus, die bislang beitragsfrei mitversichert sind.

=> Wenn zum Vorziehen von Finanzierungslasten eine ergänzende Kapitalfundierung erfolgen soll, könnte diese verknüpft werden mit einem Zusatzbeitrag für Rentner. Beschäftigte müssten dann obligatorisch dafür vorsorgen. Allerdings müsse vor Einführung "geprüft werden, inwieweit die Rentner schon in anderen sozialen Sicherungssystemen belastet werden". Eine andere Variante für die Kapitalfundierung könnte Beiträge in Abhängigkeit von der Kinderzahl staffeln.

Kapitaldeckung ist kein Ausweg. Zur Grafik

Heinz Rothgang: Unterschiedliche Gestaltungs- und Finanzierungskonzepte der Pflegeversicherung, Expertise gefördert von der Hans Böckler Stiftung, Bremen, Juni 2007. Expertise zum Download (pdf)

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