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HBS Böckler Impuls

Arbeitsmarkt: Hartz-Reformen: Wirkung überschätzt

Ausgabe 15/2014

Angeblich sind die Hartz-Reformen der Grund für die relativ gute Arbeitsmarktentwicklung hierzulande. Dafür fehlen die Belege. Aber auch die Kritiker der Reformen liegen manchmal falsch: Das Wachstum des Niedriglohnsektors und die Zunahme atypischer Beschäftigungsformen haben schon früher eingesetzt.

Wie eine Zunahme der Erwerbstätigkeit zustande kommt, ist nicht mit wenigen Worten zu erklären. Wirtschaftswachstum, demografische Veränderungen, Einstellungs- und Kündigungsverhalten der Betriebe, Ruhestandsregelungen, Lohnpolitik, Leistungen der Arbeitslosenversicherung, Arbeitszeiten und viele andere Faktoren wirken zusammen. Das macht es schwierig, genau zu erkennen, woran Veränderungen der Arbeitslosigkeit tatsächlich liegen. Matthias Knuth, Professor an der Universität Duisburg-Essen und Mitarbeiter am Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ), hat untersucht, was am deutschen Arbeitsmarkt vor und nach den Hartz-Reformen geschehen ist.

Weniger Menschen im Erwerbsalter, mehr Teilzeitarbeit, mäßiger Rationalisierungsdruck: Diese Konstellation besteht schon seit der Jahrtausendwende und sorgt für Rückenwind beim Abbau von Arbeitslosigkeit, erläutert Knuth. Die Arbeit wird auf mehr Personen verteilt – und bei eher geringen Produktivitätszuwächsen fallen dem technischen Fortschritt weniger Stellen zum Opfer als in früheren Zeiten. Das Arbeitsvolumen – die Anzahl jährlich gearbeiteter Stunden – nimmt seit 2003 nicht mehr ab und ist zuletzt sogar wieder auf das Niveau von 1993 gestiegen. Dass sich der Arbeitsmarkt ab 2006 vorteilhaft entwickelt hat, habe jedenfalls mehr mit diesen Faktoren zu tun als mit den Hartz-Reformen, so Knuth. Zumal die angestrebte verbesserte Förderung und Vermittlung wegen diverser Schwierigkeiten bei der Umsetzung 2006 noch gar nicht hätten wirken können, wie der Forscher betont. Auch dass die Zunahme der Erwerbstätigkeit „zu einem Gutteil aus sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung“ bestand, sei nicht mit den Arbeitsmarktreformen zu erklären. Diese hätten ja gerade auf die Einrichtung weniger regulierter Beschäftigungsformen gezielt. Lediglich die Umverteilung von Arbeit in kleinere Portionen passt nach Knuths Analyse zur Reformlogik, nämlich zur Förderung von Minijobs.

Die hohe Arbeitslosigkeit um die Jahrtausendwende, für die viele Ökonomen seinerzeit die „Reformunfähigkeit“ Deutschlands verantwortlich machten, bleibt natürlich trotzdem erklärungsbedürftig. Knuth fand wesentliche Anhaltspunkte in Statistiken, die Übergänge von Erwerbstätigkeit in Arbeitslosigkeit und umgekehrt abbilden. Daraus lässt sich ablesen, dass sich Beschäftigung und Arbeitslosigkeit damals weitgehend entkoppelt hatten: Beschäftigte verloren ihren Job, ohne einen anderen zu finden. Und neu entstandene Arbeitsplätze wurden häufig aus der so genannten Stillen Reserve besetzt, also von Personen, die nicht arbeitslos gemeldet waren. So blieb die Arbeitslosenquote selbst in den wirtschaftlich besseren Jahren über zehn Prozent.

Erst in der Mitte des vergangenen Jahrzehnts veränderte sich dieses Muster, hat der Forscher beobachtet. 2006 seien im konjunkturellen Aufschwung wieder mehr Arbeitslose „in den Beschäftigungsanstieg mitgenommen“ worden.

Ist dies ein Effekt der Reformen? Knuth ist skeptisch. Denn eine Statistik zum Einstellungsverhalten der Unternehmen zeigt, dass der Anteil der zuvor Arbeitslosen an den Neueingestellten nach den Hartz-Reformen unverändert blieb. Damit scheint das Fordern und Fördern eher ins Leere gelaufen zu sein. Die Arbeitslosigkeit ging lediglich zurück, weil die Nachfrage nach Arbeitskräften insgesamt zunahm und die Zahl der Entlassungen zurückging.

Dass die Arbeitslosigkeit kurz nach den Reformen recht stark sank, hat auch damit zu tun, dass gerade die Ankündigung der Reformen die Quote zunächst in die Höhe trieb. Viele Betriebe nutzten 2004 nämlich die letzte Chance, ältere Beschäftigte ohne übermäßige finanzielle Einbußen für die Betroffenen mit einer Zwischenstation in der Arbeitslosigkeit in die Rente zu lotsen.

Eine schnellere Arbeitsvermittlung zählte zu den wesentlichen Zielen der Reformen. Allerdings ist nach Knuths Auswertungen fraglich, ob hier von einem Erfolg die Rede sein kann. Lediglich Menschen, die seit weniger als sechs Monaten ohne Job sind, finden seither schneller einen neuen Arbeitsplatz. Bei allen anderen hat sich kaum etwas verändert. Bei denen, die schon ein bis zwei Jahre zu Hause sitzen, beträgt die „monatliche Abgangsrate in Erwerbstätigkeit“ nach wie vor nicht einmal drei Prozent.

Flexibler sollte der Arbeitsmarkt durch die Hartz-Reformen werden. Und Bewegung im Arbeitsmarkt ist durchaus von Vorteil, wie der Wissenschaftler erläutert: Wenn Beschäftigte vermehrt den Job wechseln, weil ein anderer Arbeitgeber bessere Konditionen bietet, können Arbeitslose auf die frei gewordenen Plätze nachrücken. Der deutsche Arbeitsmarkt sei nach den Hartz-Reformen allerdings „träger als zuvor“. Dies dürfte vor allem an den seit Jahren rückläufigen Einstiegslöhnen liegen, mutmaßt Knuth. Zudem ist die Risikobereitschaft der Beschäftigten offenbar gerade wegen der verschärften Bedingungen für Arbeitslose gesunken.

Die Zunahme der Niedriglohnbeschäftigung wird häufig ausschließlich den Hartz-Reformen angekreidet, schließlich war es ein wichtiges Ziel, dass Arbeitslose auch unattraktivere Jobs annehmen. Allerdings ist hier kein plötzlicher Sprung in den Statistiken zu sehen. Real stagnierende Durchschnittslöhne – nicht zuletzt infolge schwindender Tarifbindung –, immer mehr Billigjobs: All dies begann nicht erst mit den Hartz-Reformen, sondern schon in den späten 1990er-Jahren. Auch so genannte Aufstocker, die trotz Arbeit auf Hilfe zum Lebensunterhalt angewiesen sind, gab es schon vorher; sie waren nur statistisch weniger sichtbar, weil sie verschiedene Arten von Sozialleistungen bekamen.

Vor allem zwei Entwicklungen am Arbeitsmarkt sind laut Knuth jedoch eindeutig der Deregulierung im Zuge der Hartz-Reformen zuzurechnen: die „Wachstumsschübe bei Leiharbeit und Minijobs“.

Als Vorbild für Europa taugen die Hartz-Reformen jedenfalls nicht, resümiert der Forscher. Schließlich sei es bisher niemandem gelungen, einen plausiblen Zusammenhang zwischen den Reformen und dem Rückgang der Arbeitslosigkeit herzustellen. Zudem gebe es keinen Grund, mit der aktuellen Situation zufrieden zu sein: Als die Arbeitslosenquote 1982 zum ersten Mal das heutige Niveau erreichte, habe man nicht von wirtschaftspolitischen Erfolgen gesprochen, sondern von Massenarbeitslosigkeit. „Wirklich gut“, so Knuth, „sieht Deutschland nur im EU-Vergleich aus“.

  • Nach den Hartz-Reformen haben Unternehmen nicht öfter Arbeitslose eingestellt als zuvor. Zur Grafik
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  • Mehr geringfügige Beschäftigung dank Hartz Zur Grafik

Matthias Knuth: Rosige Zeiten am Arbeitsmarkt? Strukturreformen und „Beschäftigungswunder“ (pdf), Expertise im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung, WISO Diskurs, Juli 2014

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