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HBS Böckler Impuls

Niedriglöhne: Was Briten und Franzosen besser machen

Ausgabe 04/2012

Eigentlich sollen subventionierte Minijobs Geringverdiener entlasten. In der Realität haben sie stark zur Ausbreitung von Niedriglöhnen beigetragen. Wie der Staat die Bezieher niedriger Einkommen anders unterstützen kann, zeigen Beispiele aus Großbritannien und Frankreich.

Seit gut 15 Jahren driften die unteren und mittleren Einkommen in Deutschland immer weiter auseinander. In Großbritannien war keine vergleichbare Einkommensspreizung zu beobachten. In Frankreich verlief der Trend gar gegenläufig, zeigen WSI-Forscher Alexander Herzog Stein und Werner Sesselmeier, Professor an der Universität Koblenz-Landau. Eine Ursache für die unterschiedliche Entwicklung: In Deutschland ist der Niedriglohnsektor durch immer mehr atypische Beschäftigungsverhältnisse stark gewachsen. Dabei spielen die 7,3 Millionen subventionierten Minijobs eine große Rolle. Franzosen und Briten zahlen zwar ebenfalls Lohnzuschüsse, doch zugleich sichern sie das Lohnsystem nach unten ab.

Deutsche Probleme: Arbeitnehmer müssen bei 400-Euro-Jobs weder Einkommensteuer noch Sozialabgaben zahlen, stattdessen überweist der Arbeitgeber eine Pauschale von etwa 30 Prozent an die Minijob-Zentrale. Das klingt für viele Minijobber zunächst attraktiv, hat aber gravierende negative Folgen, zeigen die Forscher: Erstens gelinge es den Arbeitgebern, die Pauschale auf die Arbeitnehmer abzuwälzen. Die Bruttostundenlöhne der Minijobber sind laut WSI-Untersuchungen oft deutlich geringer als die der Vollzeit-Beschäftigten. Für Arbeitgeber kann es sich somit rechnen, sozialversicherungspflichtige Stellen in Minijobs aufzuspalten. Zweitens gebe es etwa für Ehepartner, die mit einem Minijob das gemeinsame Einkommen aufstocken, kaum Anreize, über die 400-Euro-Grenze hinaus zu arbeiten. Denn die hinzukommenden Abgaben würden die Bezahlung der Mehrarbeit faktisch auffressen. Minijobs sind meist keine Brücke in reguläre Beschäftigung. Stattdessen säßen viele Minijobber in einer „Geringfügigkeitsfalle“ fest.

Steuergutschrift für Geringverdiener: Solche Nebenwirkungen werden in Großbritannien und Frankreich weitgehend vermieden, schreiben die Wissenschaftler. In Großbritannien erhalten Geringverdiener seit 2003 einen Zuschuss. Dabei gelten aber bestimmte Voraussetzungen: Kinderlose Antragsteller müssen in der Regel mehr als 30 Stunden die Woche arbeiten. Leben auch Kinder im Haushalt, sind es mindestens 16 Stunden. Ausgezahlt wird der Zuschuss als Steuergutschrift. Die maximale Höhe liegt für einen Zweipersonenhaushalt bei 5.407 Euro im Jahr. Ist das Einkommen so gering, dass die zu zahlenden Steuern niedriger sind als die Gutschrift, wird die Differenz ausgezahlt. Der in Großbritannien geltende Mindestlohn – 2008 lag er bei 7,20 Euro die Stunde – verhindert laut Herzog-Stein und Sesselmeier, dass die Löhne aufgrund der Zuschüsse nach unten abrutschen.

Auch Frankreich gibt einen Lohnzuschuss, der von der Steuer abgezogen oder direkt ausgezahlt wird. Bekommen können ihn nicht nur Beschäftigte in Voll- und Teilzeit, sondern auch Selbstständige. Die maximale Höhe lag 2008 bei 961 Euro im Jahr. Der Zuschuss ist also deutlich geringer als in Großbritannien. Wie dort gibt es aber auch in Frankreich eine Mindestförderschwelle. Sie richtet sich allerdings nicht nach der Arbeitszeit, sondern nach dem Einkommen.

Subvention der Sozialversicherungsbeiträge: Die Arbeitgeber bekommen in Frankreich für den unteren Einkommensbereich einen Zuschuss zu den Sozialabgaben, die dort mit insgesamt 60 Prozent des Bruttolohns vergleichsweise hoch sind. Bei einem Einkommen in Höhe des Mindestlohns – 2008 lag er bei 8,71 Euro die Stunde – werden die Abgaben so auf knapp 38 Prozent gedrückt. Mit steigendem Lohn sinkt die Subvention. Die vollen Beiträge sind ab einem Einkommen in Höhe des 1,6-fachen des Mindestlohns zu zahlen. Den Staat hat diese Subvention im Jahr 2006 etwa 18 Milliarden Euro gekostet, was in etwa einem Prozent des Bruttoinlandsproduktes entspricht.

Vorteile bei den Nachbarn: Die Mindestförderschwelle in Frankreich und Großbritannien garantiert, dass nur Arbeitsverhältnisse ab einem bestimmten Umfang gefördert werden, erläutern die beiden Forscher. In Deutschland sei das genaue Gegenteil der Fall. Die Minijob-Förderung fällt oberhalb von 400 Euro weg, ab 800 Euro sind die vollen Sozialbeiträge fällig. Mehr zu arbeiten werde dadurch finanziell oft unattraktiv. Der in Frankreich und Großbritannien geltende Mindestlohn setze zudem klare Untergrenzen für die Stundenlöhne und sorge dafür, dass die Sozialabgaben der Arbeitgeber nicht auf die Arbeitnehmer abgewälzt werden. Laut Herzog-Stein und Sesselmeier könnte in Deutschland die Einführung eines Lohnzuschusses, einer Mindestförderschwelle und eines Mindestlohns die Unterschiede zwischen den Bruttostundenlöhnen von Minijobbern und sozialversicherungspflichtig Beschäftigten minimieren.

Alexander Herzog-Stein, Werner Sesselmeier: Alternativen zu Mini- und Midijobs? Die Beispiele Frankreich und Vereinigtes Königreich. in: WSI-Mitteilungen, Heft 1/2012.

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