Vollkonferenz der Engeren Mitarbeiter*innen der Arbeitsdirektor*innen Stahl: „Jetzt ist wirklich mal Machen angesagt“
Die Vollkonferenz der Engeren Mitarbeiter*innen der Arbeitsdirektor*innen Stahl in Essen endete in diesem Jahr mit einem klaren Bekenntnis zum Standort– und einem Appell an die Politik.
[02.10.2025]
Von Kay Meiners
Der Stahlbranche geht es nicht gut. Trotzdem waren nicht etwa Kündigungen oder Sozialpläne das Thema der „Vollkonferenz der Engeren Mitarbeiter*innen der Arbeitsdirektor*innen Stahl“, so der volle Name. Vielmehr ging es um Beispiele innovativer Personalarbeit. Ansätze für eine KI-gestützte Weiterbildung wurden präsentiert, die den Lernstoff für Azubis auf Wunsch über Grafiken, als Podcast oder Rap-Song aufbereitet. Neue Führungsmodelle für Teams mit gemischten Vorkenntnissen aus der Pflegebranche vorgestellt und auf ihre Tauglichkeit in den Stahlunternehmen abgeklopft. Auch wurde viel über Wissenstransfer und die generelle Förderung von Weiterbildung geredet. Vom VW-Konzern war Christoph Lerche angereist, der die Weiterbildung für die Batterie-Fabrik von Volkswagen verantwortet. Er stellte die ehrgeizigen Pläne des Unternehmens vor. Die Milliarden-Investition in Batterien wird von einer Bildungsoffensive begleitet, wie sie der Autohersteller in seiner Geschichte vermutlich noch nie erlebt hat.
Lerches Vortrag setzte in mancherlei Hinsicht Maßstäbe und erhielt besonders viel Applaus – vielleicht auch, weil am Gelingen dieser Investition ein großer Teil der Zukunft von VW hängt. Die Hoffnungszeichen in seinem Vortrag wurden gerne gehört. Denn über der Stahlbrache – und damit auch über vielen Abnehmern wie der Autoindustrie – schwebt ein Damoklesschwert. Eine wirtschaftlich schwierige Lage – unter anderem durch Billigkonkurrenz aus China und politische Rahmenbedingungen, die es schwer machen, noch Geld zu verdienen. Unter dem Strich stand beim Gastgeber ThyssenKrupp, in dessen Hauptquartier die Konferenz stattfand, im Geschäftsjahr 2023/24 ein Fehlbetrag von 1,5 Milliarden Euro nach einem Verlust von 2,1 Milliarden Euro. Ursache ist die Stahlsparte.
Die hoch entwickelte Montanmitbestimmung habe „viel dazu beigetragen, dass diese Industrie überhaupt erhalten werden konnte“, erklärte Jan-Paul Giertz von der Hans-Böckler-Stiftung, der die zwei Tage in Essen moderierte. Aber die wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen werden immer schwieriger. Noch arbeiten rund 80.000 Beschäftigte in der Stahlindustrie – gleichzeitig ist die Rohstahlproduktion in den vergangenen Jahren um etwa 20 Prozent zurückgegangen. Vor diesem Hintergrund erschienen die Appelle von IG-Metall-Vorstandsmitglied Hans-Jürgen Urban, Märkte entstünden nicht von selbst, sondern würden „vom Staat geschaffen“, auch als Zeichen der Gefahr, der die Branche ohne politische Hilfe ausgesetzt ist. Sein Hauptthema war aber das Thema Bildung. Urban, der unter anderem Chancen auch für Schwächere anmahnte und eine „Interventionskompetenz“ als neue Schlüsselressource im Zeitalter der Polykrise. Gleichzeitig verschließt er sich dabei auch nicht mehr einer gewissen Modularisierung der Ausbildung – eine Idee, die Gewerkschaften früher vehement ablehnten.
Einen zweiten wichtigen Vortrag jenseits der vielen Themencafés, in denen über gute Praxis gesprochen wurden, hielt eine Sozialwissenschaftlerin – Bettina Kohlrausch, Wissenschaftliche Direktorin des WSI. Ihr Thema waren „Transformationsängste“ – was oft, aber nicht nur, bedeutet: Angst um den Arbeitsplatz. Ihre Forschung zeigt, wie vor allem die AfD diese „Transformationsängste“ in Stimmen bei Wahlen ummünzt. Diese Partei ist überdurchschnittlich erfolgreich bei Menschen, die männlich sind, weniger gebildet und die etwa niedrige Einkommen haben. Gute Arbeit, so die Botschaft von Kohlrausch, sei ein Mittel gegen Populisten.
Wieviel gute Arbeit es in der Branche noch geben wird, dürfte auch von der Politik abhängen. Die bewusste Entscheidung der Veranstalter, dieses Mal direkt bei einem stahlerzeugenden Unternehmen zu Gast zu sein, blieb nicht der einzige symbolträchtige Akt. Am Ende stand ein Gruppenfoto mit der „Flamme der Solidarität“ – einer Fackel, die bereits am 15. März an einem bundesweiten Aktionstag für eine starke Industrie mit sicheren Arbeitsplätzen entzündet wurde und seitdem von Betrieb zu Betrieb wandert. Dass die Flamme in der Fackel im Tagungsraum aus Feuerschutzgründen nur aus Buntpapier sein durfte, ist hoffentlich kein böses Omen für die Branche, die jetzt dringend auf Unterstützung durch die Politik angewiesen ist.
Die Anwesenden richteten ihren Ruf nach Hilfe direkt an Bundeskanzler Merz. Sie forderten bezahlbare Energie und sichere Rahmenbedingungen für die Transformation, wie Leitmärkte für CO2-reduzierten „grünen“ Stahl. Die Botschaft von Essen ist klar. Es ist höchste Zeit, Stahl als strategische Ressource zu betrachten. Jens Loock, Arbeitsdirektor bei der Salzgitter Flachstahl GmbH, brachte es auf den Punkt: „Jetzt ist endlich mal Machen angesagt.“ Dafür gibt es jede Menge Know-How und hoch motivierte Belegschaften, die entschlossen sind, weiterzumachen und höchste Qualität zu liefern – wenn man sie lässt.